AfD nach Wahlen im Osten: „Bürgerlich“? - Kalbitz spricht diesen vielsagenden Dank aus

Die AfD will sich als „bürgerliche“ Kraft ins Gespräch bringen. Doch ein offizieller Dank ihres brandenburgischen Spitzenkandidaten deutet anderes an. In der Partei rumort es.
Potsdam/Berlin - Als „bürgerlich“ empfindet sich die AfD nach ihrem Wahlsieg in Brandenburg - so hat es unter anderem Alexander Gauland noch am Sonntagabend bei „Anne Will“ gesagt. Der Hintergrund wohl: Das Schlagwort würde - wäre es denn ernstzunehmen - die Tür zu einer Koalition mit der seit jeher bürgerlichen Union öffnen. Allerdings offenbarte ausgerechnet AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz schon unmittelbar nach der Wahl in einem offiziellen Statement ziemlich unbürgerliche Tendenzen.
Derweil rumort es wieder im - laut Gauland - „gärigen Haufen“ der AfD: Einige Abgeordnete wollen die Rechtsaußen-Spitzenkandidaten Kalbitz und Jörg Urban nicht als Macher des ostdeutschen Wahlerfolgs durchgehen lassen. Offenbar bahnt sich nun tatsächlich ein Richtungsstreit an. „Äußerst rechts“ oder „extrem rechts“ könnte die Fragestellung lauten.
AfD nach Wahlen im Osten: Kalbitz dankt mit der Identitären Bewegung verbandeltem Netzwerk
Kalbitz gab noch am Sonntagabend einen Hinweis auf seine persönlichen Präferenzen. In einer Videobotschaft bedankte er sich „bei allen, die dieses Wahlergebnis möglich gemacht haben“, bei „allen Mitstreitern“ - und ausdrücklich bei „Ein Prozent“. Der Clip wurde offenbar eigens für das „Bürgernetzwerk Ein Prozent“ aufgenommen und „exklusiv“ von ihm auf Twitter verbreitet.
Das von Kalbitz so hervorgehobene Netzwerk ist nicht verboten und wird auch nicht offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet. Als „bürgerlich“ geht es nach den üblichen Maßstäben allerdings kaum durch. Einer der beiden Vorstände ist Philip Stein - als Redner ist er beispielsweise schon bei der - vom Verfassungsschutz beobachteten - Identitären Bewegung und bei der NPD-nahen Zeitschrift „Umwelt und Aktiv“ aufgetreten. Die Welt verortet ihn als „völkischen Strategen“.
Auch die Mitgliederstruktur der Gruppierung hat es in sich: Laut einem Bericht der Zeit aus dem März 2019 waren die Aktivisten „früher bei der NPD-Jugend oder sind heute bei den Identitären aktiv“. Stein sprach damals von elf engagierten Personen. Laut Mitgründer Götz Kubitschek finanzierte „Einprozent“ die Identitäre Bewegung in Österreich auch mit „10.000 Euro“. Diesem eingetragenen Verein sprach Kalbitz also explizit seinen Dank aus.
AfD nach Wahlen im Osten: Kritik an Kalbitz und Urban auch aus der eigenen Partei
Gut möglich, dass das auch so einigen Politikern der AfD übel aufstieß. Denn Kalbitz und Urban stehen ohnehin bei Teilen der Partei in der Kritik. „Ohne die beiden und mit Alexander Gauland und Frauke Petry an der Spitze hätten wir noch bessere Ergebnisse geholt. Da war mehr drin“, erklärte Frank Scheermesser, Vorstandsmitglied der Berliner AfD, am Dienstag dem Tagesspiegel. Nicht zuletzt Kalbitz‘ Verbindungen ins „rechtsextreme Lager“ schreckten viele Wähler ab, lautete Scheermessers Urteil. Ohne Björn Höcke seien auch in Thüringen bessere Ergebnisse drin.
Andere AfD-Mandatsträger aus dem Berliner Abgeordneten-Haus stimmten der Einschätzung zu, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, schreibt das Blatt weiter. Tatsächlich gibt es Indizien, die Scheermessers These stützen könnten: Etwa schwache Ergebnisse für Kalbitz in Umfragen zur Ministerpräsidenten-Präferenz der Brandenburger Bürger abgefragt wird. Der Strippenzieher von Höckes „Flügel“ blieb in diesen meilenweit hinter den Ergebnissen seiner Partei.
AfD nach Wahlen im Osten: Politikwissenschaftler gibt „Traditionsparteien“ Schuld am Erfolg
Der Münchner Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld wunderte sich unterdessen in einem Interview mit dem Portal web.de über den vergleichsweise stabilen Erfolg der Rechtspopulisten. „In früheren Zeiten wäre die AfD längst aus der Politik verschwunden. Der AfD-Gründer Bernd Lucke hat die Partei verlassen, berühmte Mitglieder wie Olaf Henkel sind ausgetreten, haben andere Parteien gegründet“, erklärte er.
„Technisch hat sich die Partei über einen langen Zeitraum hinweg zerlegt - aber die Wirkung dieser Vorgänge auf die Wähler ist gleich null“, sagte Weidenfeld. Zurückzuführen ist das dem Politologen zufolge auf eine Schwäche der (einstmals) großen Parteien. „Die Traditionsparteien haben sich immer stärker auf Fragen von situativem Krisenmanagement konzentriert und keine Perspektiven entwickelt“, so Weidenfeld. „Aus diesem Frust ist die Rechtspartei so groß geworden. Aber nicht, weil sie selbst eine große Programmatik anbieten könnte.“ Nun könnte die nächste Häutung der AfD folgen.
Dass das Thema der vermeintlichen „Bürgerlichkeit“ der AfD bereits ein großes ist, zeigte sich an der Aufregung um ARD-Moderatorin Wiebke Binder. Sie sprach von einer möglichen „bürgerlichen Koalition“ aus AfD und CDU in Sachsen - und erntete viel Empörung. Nicht nur angesichts der ersten Danksagungen aus der Brandenburger AfD wohl mit Recht.
Erklärungen für den Erfolg der AfD gibt es viele - dieser Artikel fasst einige der wichtigsten zusammen.
fn