Update vom 10. November, 16.03 Uhr: UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hat die Situation der Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze als „unerträglich“ gerügt. „Ich bin entsetzt, dass eine große Anzahl von Migranten und Flüchtlingen weiterhin einer verzweifelten Lage an der belarussisch-polnischen Grenze bei Temperaturen nahe dem Nullpunkt ausgesetzt ist“, erklärte Bachelet am Mittwoch. Sie forderte einen „sofortigen“ Zugang für humanitäre Hilfen.
Die Menschenrechtskommissarin forderte die betroffenen Staaten auf, „unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen“ und erinnerte sie an ihre Verpflichtungen in Hinblick auf internationale Menschenrechte und Migrationsrechte: „Diese hunderte von Männern, Frauen und Kindern dürfen nicht gezwungen werden, noch eine weitere Nacht bei eisigen Temperaturen ohne angemessene Unterkunft, Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung zu verbringen.“
Update vom 10. November, 14.35 Uhr: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat Belarus angesichts der angespannten Lage im Grenzgebiet Staatsterrorismus vorgeworfen. Die Ereignisse an der polnisch-belarussischen Grenze seien keine Migrationskrise, sondern eine politische Krise mit dem Ziel, die EU zu destabilisieren, sagte der polnische Regierungschef am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit EU-Ratschef Charles Michel in Warschau. Es handele sich um eine Manifestation von staatlichem Terrorismus, sagte Morawiecki. „Es ist auch eine stille Rache Lukaschenkos für die Unterstützung der demokratischen Wahlen in Belarus im vergangenen August und für die Unterstützung der demokratischen Veränderungen, von denen wir hofften, dass sie stattfinden würden“, sagte der Ministerpräsident weiter.
CSU-Chef Markus Söder warnte unterdessen vor unkontrollierter Zuwanderung nach Deutschland und Europa. „Es braucht jetzt klare Handlungen und Entscheidungen, sonst kann eine ähnliche Situation entstehen wie 2015. Natürlich helfen wir, aber ein generelles Öffnen der Grenze macht keinen Sinn“, sagte Bayerns Ministerpräsident am Mittwoch der dpa.
Söder betonte, die Lage an der Grenze zwischen Polen und Belarus besorge ihn sehr: „Es ist unerträglich, dass Belarus sich zum staatlichen Schleuser geriert.“ Er forderte Sanktionen auch gegen „Fluglinien, die sich an diesem Geschäft beteiligen“*. In die Kritik nahm er auch die Verhandler der im Entstehen begriffenen Ampel-Koalition*. „Ich bin sehr besorgt, was die Ampel plant. Insbesondere SPD und Grüne sind dafür, die Grenze zu öffnen statt zu sichern. Das könnte zu einer neuen großen Migrationswelle führen. Die Ampel muss Belarus entgegentreten“, sagte Söder weiter.
Update vom 10. November, 12.26 Uhr: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin* angesichts der dramatischen Lage der Migranten an der belarussich-polnischen Grenze gebeten, Einfluss auf die autoritäre Regierung in Minsk zu nehmen. Merkel habe in einem Telefonat mit Putin am Mittwoch unterstrichen, dass die Instrumentalisierung von Migranten gegen die Europäische Union durch Machthaber Alexander Lukaschenko unmenschlich und vollkommen inakzeptabel sei, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mit. Merkel habe Putin gebeten, „auf das Regime in Minsk einzuwirken“.
Lukaschenko drohte unterdessen seinerseits der EU - auch mit einem indirekten Verweis auf die Atomwaffen Russlands.
Update vom 10. November, 11.48 Uhr: Polen erwägt laut Regierungssprecher Piotr Müller, die Grenze zu Belarus komplett zu schließen. Dies werde als Option in weiterreichenden Szenarien berücksichtigt, sagte er am Mittwoch im Interview mit dem Portal Wirtualna Polska. Die belarussischen Behörden seien informiert worden, dass eine solche Möglichkeit bestehe, wenn sie ihre Aktivitäten nicht einstellten. Eine Rückmeldung von belarussischer Seite habe es dazu bislang nicht gegeben.
Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze ist angespannt. Zwei größere Gruppen von Migranten durchbrachen polnischen Medienberichten vom Dienstagabend zufolge die Grenze von Belarus nach Polen. Zahlreiche weitere Menschen kampieren den Angaben nach auf belarussicher Seite im Grenzgebiet. Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch an den Anlagen mit Stacheldraht verhindern sollen.
Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Ein Großteil der Migranten und Flüchtlinge will nach Deutschland.
Update vom 10. November, 10.55 Uhr: Die Polizei in Polen hat mehr als 50 Migranten nahe der Grenze zu Belarus festgenommen. Die Menschen hätten in zwei Gruppen die Grenze durchbrochen und seien illegal nach Polen eingereist, erklärte der örtliche Polizeisprecher Tomasz Krupa am Mittwoch. Die Festnahmen seien in den vergangenen 24 Stunden in der Nähe der Ortschaft Bialowieza erfolgt. Mehrere Flüchtlinge hätten sich der Festnahme entzogen, nach ihnen werde nun gesucht.
„Die Lage ist nicht ruhig“, sagte Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak am Mittwoch im polnischen Rundfunk. Mehrere kleinere Gruppen von Migranten versuchen seinen Angaben zufolge, die Grenze nach Polen zu durchbrechen. „Während wir es vor zwei Tagen mit einer großen Gruppe zu tun hatten, die sich in der Nähe von Kuznica Bialostocka versammelte (...) und versuchte, die Grenze zu überwinden, haben wir es nun mit zahlreichen kleineren Gruppen zu tun, die die polnische Grenze gleichzeitig an mehreren Stellen stürmen“, sagte er.
Nach Angaben des Ministeriums versuchen belarussische Beamte, die Migranten durch Einschüchterungen zum Überschreiten der Grenze zu bewegen. Das Ministerium veröffentlichte am Mittwoch zwei Videos bei Twitter, in denen ein Schuss zu hören war (siehe voriges Update), der offenbar auf belarussischer Seite von einem Mann in Uniform abgegeben wurde. In den Aufnahmen waren auch Migranten zu sehen, die in der Nähe der Grenze standen - unter ihnen auch Kinder.
Update vom 10. November, 10.02 Uhr: Belarussische Sicherheitskräfte haben polnischen Behördenangaben zufolge im Grenzgebiet Schüsse abgegeben, um Migranten einzuschüchtern. Sie jagten den Migranten Angst ein, indem sie Schüsse in ihrer Anwesenheit abfeuerten, schrieb das polnische Verteidigungsministerium am Mittwoch bei Twitter und veröffentlichte dazu ein kurzes Video. Auf dem knapp sechs Sekunden langen Clip sind ein Schuss und Schreie von Menschen zu hören.
Das polnische Ministerium twitterte außerdem, dass es von belarussischer Seite Gewalt gegen Migranten gebe. Gleichlautende Vorwürfe hatte es zuvor aus Belarus an die Adresse Polens gegeben (siehe Update von 8.38 Uhr).
Update vom 10. November, 9.11 Uhr: Während die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze weiter eskaliert, nähert sich die Europäische Union einer neuen Runde von Sanktionen gegen Belarus. Das bestätigten drei EU-Diplomaten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Den Diplomaten zufolge sollen rund 30 belarussische Personen und Unternehmen auf die Sanktionsliste gesetzt werden - darunter auch der Außenminister und die staatliche Fluggesellschaft Belavia. Hierfür würden die Botschafter der 27 EU-Staaten offiziell beschließen, dass es sich bei den Migrantenbewegungen an der östlichen EU-Grenze um einen „Hybridkrieg“ handle und dies eine legale Basis für neue Sanktionen sei, so die Diplomaten. Zuvor drohte Bundesaußenminister Maas mit einer Ausweitung und Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus.
Update vom 10. November, 8.38 Uhr: Belarus hat polnischen Sicherheitskräften die Misshandlung von Migranten an der Grenze vorgeworfen. Vier Kurden seien beim Versuch, die Grenze zu überqueren, geschlagen worden, teilte der belarussische Grenzschutz im Messengerdienst Telegram am Mittwoch mit.
„Den zahlreichen Verletzungen an den Körpern der Migranten nach zu urteilen, haben die polnischen Sicherheitskräfte die Menschen misshandelt und sie mit Gewalt hinter einen Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Belarus gedrängt.“
Auf einem von Minsk veröffentlichten Video sind mehrere Männer zu sehen, von denen einige blutige Kleidung tragen. Ein weiterer weist Verletzungen an den Händen auf. „Nach Angaben der Flüchtlinge wurden sie auf polnischem Staatsgebiet festgenommen, wo sie versucht hatten, Schutz und den Flüchtlingsstatus zu beantragen“, hieß es in der Mitteilung des belarussischen Grenzschutzes.
Im belarussisch-polnischen Grenzgebiet sitzen derzeit tausende Migranten bei eisigen Temperaturen fest (siehe Erstmeldung). Beide Länder haben Soldaten in dem Gebiet stationiert. Beobachter befürchten deshalb eine Eskalation der Lage.
Update vom 10. November, 7.31 Uhr: Tausende Geflüchtete drängen sich aktuell an der polnischen Grenze zu Belarus (siehe Erstmeldung). Österreich hat deshalb Polen nun Hilfe beim Grenzschutz angeboten. Wien werde Warschau „solidarisch zur Seite stehen“, sagte der österreichische Innenminister Karl Nehammer der Welt vom Mittwoch.
Wie bereits Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte auch Nehammer die EU-Kommission auf, die Regierung in Warschau beim Grenzschutz stärker zu unterstützen. Hilfe bei der Registrierung von Migranten anzubieten, sei hingegen „das völlig falsche Signal“.
Österreich hatte laut Welt im Frühjahr 2020 Griechenland und im Sommer dieses Jahres Litauen vorübergehend Cobra-Spezialkräfte, Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Wärmebildtechnik bei der Grenzsicherung zur Verfügung gestellt.
Erstmeldung vom 10. November: Warschau/Minsk - Migranten versuchen seit Tagen die Grenze von Weißrussland nach Polen zu überwinden. Tausende polnischer Soldaten sichern die Grenze zu Belarus. Zwei größeren Gruppen von Migranten ist es polnischen Medien zufolge gelungen die Grenze von Belarus nach Polen zu stürmen.
Mehreren Dutzend Migranten sollen die Zäune in der Nähe der Dörfer Krynki und Bialowieza zerstört haben, um die Grenze zu passieren, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP am späten Dienstagabend unter Berufung auf den örtlichen Sender Bialystok. Der Sender zitierte eine Sprecherin des Grenzschutzes, dass in beiden Fällen Zäune und Barrieren gewaltsam niedergerissen worden seien. Zuvor waren Aufnahmen aus dem Grenzgebiet aufgetaucht, die Szenen von am Stacheldrahtzaun zeigen.
Einige der Migranten seien nach Belarus zurückgebracht worden, andere seien auf freiem Fuß. Der belarussische Grenzschutz veröffentlichte Bilder mehrerer Menschen, die am Kopf und an den Händen bluteten. Zu sehen waren tiefe Schnittwunden in Handflächen, nachdem Menschen versucht hätten, die Stacheldrahtzäune zu überwinden. Es handele sich um Kurden. Sie hätten medizinische Hilfe bekommen, hieß es.
Überprüfbar waren die von der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik am Morgen veröffentlichten Nachtaufnahmen nicht. Gezeigt wurden auch Dutzende Menschen, die in Zelten und an Lagerfeuern ausharrten. Es war zudem ein weinendes Kind zu hören. Die belarussische Staatspropaganda wirft den polnischen Sicherheitskräften ein brutales Vorgehen gegen die Schutzsuchenden vor.
Auf der belarussischen Seite befänden sich Hunderte Menschen. Nach Angaben der polnischen Behörden hätten die Flüchtlinge von belarussischen Organisationen Lebensmittel erhalten, hieß es weiter. Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch an den Anlagen mit Stacheldraht verhindern sollen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am Dienstag gefordert, die Menschen durchzulassen. Sie wollten sich nicht in Polen niederlassen, sondern vor allem in Deutschland, sagte er in einem Interview.
Der als „letzter Diktator Europas“ verschriene Politiker steht im Ruf, die Menschen aus Krisenstaaten wie Syrien, Afghanistan, Libyen und Irak gezielt einfliegen zu lassen, um sie dann in Richtung EU-Grenze zu schleusen. Lukaschenko hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und internationale Schleusernetzwerke für die Organisation der Reisen der Menschen verantwortlich gemacht. Er räumte erneut ein, die Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. (dpa/ml)