Scholz‘ Krisen-Plan: Was der „Deutschlandpakt“ beinhaltet – und warum der Begriff für Ärger sorgt
Der Kanzler sucht den Schulterschluss: Mit einem Deutschlandpakt will Scholz raus aus der Krise – zusammen mit der Union. Der Begriff sorgt für Ärger.
Berlin – Die CDU teilt aus, die Ampel keilt zurück: Nach monatelangen Streitereien will die Bundesregierung dieses Muster durchbrechen. So hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch (6. September) den Schulterschluss mit der Opposition gesucht und der Union einen „Deutschlandpakt“ vorgeschlagen. „Das geht so nicht weiter“, sagte der Regierungschef in Richtung der Union und fügte hinzu: „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung. Also lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln.“ Doch inwieweit spielt die Union da mit? Der Kanzlerrede vorausgegangen waren heftige Angriffe. Und inwieweit ist das Scholz-Angebot aufrichtig?
Generaldebatte im Bundestag: Scholz schlägt Deutschlandpakt vor
Am Mittwochmorgen war der Bundestag zu seiner Generaldebatte zur Beratung des Haushaltes zusammengekommen. Bereits im Vorfeld hatte der Entwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen harter Einschnitte für große Diskussionen gesorgt – innerhalb der Ampel, aber auch bei der Opposition. Zum Auftakt, also noch bevor Scholz sein Angebot zum Deutschlandpakt unterbreitete, nutzte Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) als erster Redner seinen Auftritt für eine Abrechnung mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.
Debatte um Bundeshaushalt nutzt Merz zur Generalabrechnung
„Nach all dem, was wir bisher dazu gehört und gelesen haben, wird auch der Bundeshaushalt für das Jahr 2024 dieser fundamentalen Herausforderung einer tatsächlichen Zeitenwende nicht gerecht“, kritisierte der CDU-Vorsitzende. Die Union streite aber nicht nur über Details des Haushaltes, sondern widerspreche ganz grundsätzlich dem Staatsverständnis der Ampel.

Merz kritisierte überbordende Bürokratie, das Gebäudeenergiegesetz und verlangte Technologieoffenheit im Gebäude- und Verkehrssektor. Er warf Scholz vor, mit den Plänen für eine Kindergrundsicherung und dem Bürgergeld einen bevormundenden, alles regulierenden und paternalistischen Staat ausbauen zu wollen.
Digitalisierung, Erneuerbare Energie, Wohnungsbau: Deutschlandpakt soll Tempo erhöhen
Doch Scholz wies die Attacke von Friedrich Merz zurück. Statt zum Gegenangriff auszuholen, schlug er der demokratischen Opposition einen Deutschland-Pakt zur raschen Modernisierung des Landes vor. Der Pakt solle Deutschland schneller, moderner und sicherer machen. Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei – das sei das Gebot der Stunde. „Zu viel ist in den vergangenen Jahren auf die lange Bank geschoben worden“, kritisierte Scholz. „Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid. Und ich bin es auch“, betonte er. „Nur gemeinsam werden wir den Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre, Jahrzehnte hinweg über unser Land gelegt hat.“
Deutschlandpakt: Stammt der Begriff eigentlich von der NPD?
Ärger könnte Scholz nur wegen der Begrifflichkeit drohen. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete, ging ein Raunen durch den Plenarsaal, als der Kanzler das Angebot unterbreitete. Denn das Wort ist nicht ganz unbelastet. So sollen unter dem Schlagwort rechtsextreme Parteien in Deutschland vor fast 20 Jahren einmal versucht haben, gemeinsame Sache zu machen.
NPD und der Deutschlandpakt
Der Begriff „Deutschlandpakt“ ist belastet. Laut einem RND-Bericht versuchten die rechtsextremen Parteien NPD und DVU im Jahr 2005 ein gleichnamiges Bündnis ins Leben zu rufen. So wurde vereinbart, bei Wahlen in den Bundesländern nicht zugleich anzutreten und sich stattdessen gegenseitig unterstützen zu wollen. Wirklich von Erfolg gekrönt war das Projekt aber nicht.
Doch unabhängig von der Begrifflichkeit ist der Deutschlandpakt für Scholz wichtig. Zuletzt war die Ampel-Koalition in den Umfragen massiv abgestürzt. Alle drei Regierungspartner liegen aktuell hinter der AfD und der Union. Dies wird zurückgeführt auf die vielen koalitionsinternen Streitigkeiten bei der Energiewende, der Kindergrundsicherung oder dem Atomausstieg. Aber auch die permanenten Angriffe von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und CDU-Chef Merz, die die Grünen zu ihrem Hauptgegner erkoren haben.
Fest steht, dass die Bundesregierung zur Halbzeit der Legislaturperiode ihren eigenen Zielen hinterherhinkt. Vor allem die Großprojekte stehen in der Warteschlange und kommen kaum voran. Bei einer Kabinettsklausur in Meseberg versuchte die Bundesregierung bereits, mehr Schwung in die Vorhaben zu bringen.
Lange Liste an Projekten: Was Scholz mit dem Deutschlandpakt lösen will
- Wirtschaftswunder: Das versprach Olaf Scholz erst im März dieses Jahres. Angesichts der hohen Investitionen in den Klimaschutz rechnet er mit Wachstumsraten wie einst in den 1950er Jahren. Doch die Realität sieht aktuell anders aus. Derzeit schrumpft das Bruttoinlandsprodukt und der Internationale Währungsfonds (IWF) bescheinigt Deutschland den letzten Platz im Ranking der großen Industrienationen.
- 400.000 neue Wohnungen: Das Ankurbeln des Wohnungsbaus war ein zentrales Regierungsversprechen von Scholz im Wahlkampf, um in den Ballungsräumen den Druck auf die Mieten zu nehmen. Doch teure Baumaterialien, Lieferengpässe und hohe Baukredite machen das Erreichen des Ziels fast unmöglich. 2022 wurden nur 295.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut. Ob die ausgegebene Marke 2024 oder 2025 erreicht werden kann, gilt ebenfalls angesichts der allgemeinen Entwicklungen als zunehmend unrealistisch – das räumte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) vor Kurzem selber ein.
- Ausbau der Windkraft: Weniger Bürokratie, Beschleunigung bei der Planung – beim Ausbau der Erneuerbaren spricht Scholz gerne vom Deutschlandtempo. Sein Ziel: Vier bis fünf neue Windräder – pro Tag. Das wäre pro Jahr ungefähr 1300 neue Anlagen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden aber nur 331 an Land und drei auf See errichtet. Hier ist also noch viel Luft nach oben.
- 15 Millionen E-Autos: Dieses Ziel hat die Koalition bis zum Jahr 2030 ausgegeben. Doch auch in diesem Bereich müsste die Steigerungsrate enorm anziehen. Aktuell sind auf deutschen Straßen 1,2 Millionen elektrische Pkw unterwegs, was einem Anteil an allen Fahrzeugen von 2,4 Prozent entspricht. Laut der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach sollte die Bundesregierung eher von einem Wachstumsziel von sieben bis acht Millionen E-Autos rechnen.
- Klimageld: Laut Koalitionsvertrag will die Ampel-Koalition einen Ausgleich für die Verteuerung von Energie über den CO₂-Preis erreichen. Bis 2030 steigt dieser bis 2025 von aktuell 30 auf 50 Euro je Tonne. Doch obwohl das Vorhaben fest verankert ist, hat die Koalition bislang keine gemeinsame Linie darüber gefunden, wie, wann und wie hoch die Kompensation sein soll.
- Industriestrompreis: Im Juni 2021 hatte Scholz im heraufziehenden Wahlkampf einen Industriestrompreis von vier Cent in Aussicht gestellt. Doch durch die Ukraine- und Energiekrise und nach der Abschaltung der Atomkraftwerke liegt er weit über dieser Grenze. Nun warnt Scholz vor einem Absenken durch eine Dauersubvention. Innerhalb seiner Partei macht er sich dadurch nicht nur Freunde.
- Zeitenwende: Nach dem Überfall von Russland auf die Ukraine versprach Olaf Scholz die massive Verstärkung der Landesverteidigung. Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollten künftig in die Verteidigung fließen. Die Nato hatte dies schon lange gefordert. Doch nach der Ankündigung erfolgte ein Stopp durch den grünen Koalitionspartner. Der Kompromiss: Das Zwei-Prozent-Ziel muss nur im Durchschnitt von fünf Jahren erreicht werden.
Im Bundestag nannte Scholz nun noch einmal konkrete Schwerpunkte, bei denen er sich einen Schulterschluss vorstellen kann. Dies sind: der Ausbau der Energieversorgung, der Wohnungsbau, die Modernisierung und Digitalisierung der Infrastruktur, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und eine schnellere und unkomplizierte Verwaltung. „Niemand kann zufrieden sein, wenn Deutschlands Wirtschaft nicht wächst“, sagte Scholz. „Doch wir werden strukturelle Probleme nur mit strukturellen Antworten lösen.“ Neben der Opposition sieht er auch die Länder und Kommunen in der Pflicht.
Nehmen CDU und CSU den Deutschlandpakt an?
Doch wie reagiert die Opposition auf das Deutschlandpakt-Angebot der Ampel? Während Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer den Vorschlag auf „Ernsthaftigkeit prüfen“ und dann auch annehmen will, konnte sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt einen Seitenhieb nicht verkneifen. Die Union sei durchaus bereit, aber dieses Angebot zeige auch deutlich, „dass die Gemeinsamkeiten in Ihrer Koalition ganz offensichtlich beendet sind“, sagte der Chef der CSU-Abgeordneten. „Sie machen uns ein Angebot, weil Sie in ihrer eigenen Ampel für zentrale Fragen keine Mehrheit mehr sehen, Herr Bundeskanzler.“
Zu einem ersten Belastungstest wird es am Freitag kommen. Denn dann stimmt der Bundestag über das lange umstrittene Heizungsgesetz ab. Die Union hatte es mit einer Klage verschieben lassen, doch die Ampel-Fraktionen lehnten eine weitere Beratung und neue Anhörungen ab. (jkf/mit Material der dpa)