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Pulverfass Südchinesisches Meer: Gefährliche Vorfälle zwischen China und seinen Nachbarn nehmen zu

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Von: Michael Radunski

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Die Anwendung von Gewalt ist ausdrücklich erlaubt: China tritt im Südchinesischen Meer immer aggressiver auf. Doch auch andere Staaten halten sich nicht an Vereinbarungen.

Peking – Vor kurzem sorgte eine Meldung des Finanz-Nachrichtendienstes Bloomberg für Aufregung: China sei dabei, mehrere unbesetzte Landgebiete im Südchinesischen Meer auszubauen. Es handele sich um eine dramatische Intensivierung der chinesischen Strategie im Südchinesischen Meer, so der Bericht unter Berufung auf zwei westliche, nicht namentlich genannte Diplomaten. Das Neue daran: Es soll sich um Felsformationen handeln, die davor nicht unter chinesischer Kontrolle gestanden hätten. Bislang wurden Häfen, Landebahnen und militärische Infrastruktur auf Riffen errichtet, die Peking bereits besetzt hatte. Es wäre in der Tat ein beispielloser Vorgang.

Chinas Außenministerium wies den Bericht umgehend als unwahr zurück. Und auch Gregory Poling, Leiter der Asia Maritime Transparency Initiative (AMTI) in Washington, kann den Bloomberg-Bericht nicht bestätigen. Ihm vorliegende Satellitenbilder zeigten an den vier besagten Riffen keine nennenswerten Veränderungen. Im Gegenteil: „Ich würde sogar behaupten, dass China 2022 wohl erstmals seit zehn Jahren seine Kontrolle im Südchinesischen Meer nicht vergrößert hat“, sagt Poling zu China.Table.

China genehmigt per Gesetz Einsatz von Gewalt

Wir sprechen von einer der geostrategisch wichtigsten Regionen der Welt: Rund ein Drittel des gesamten Welthandels wird hier verschifft, zudem ist das Gebiet reich an Rohstoffen. Wer hier die Kontrolle hat, ist in einer überaus mächtigen Position. Deshalb erheben sämtliche Anrainerstaaten miteinander konkurrierende Ansprüche. China besteht mit seiner „Neun-Striche-Linie“ auf mehr als 80 Prozent des 3,5 Millionen Quadratkilometer großen Gebiets. Entsprechend angespannt ist die Lage. Poling zufolge setzt China im Südchinesischen Meer weiträumig Strafverfolgungs- und Milizenschiffe ein, um südostasiatische Zivilisten und fremde Regierungsschiffe zu schikanieren.

Ambitionen im Indopazifik
Ambitionen im Indopazifik: Chinas Gebietsansprüche. © China.Table

Collin Koh, Wissenschaftler am Institute of Defence and Strategic Studies in Singapur, verweist zudem auf eine rechtliche Verschärfung der Situation durch das 2021 von Peking erlassene Küstenwachen-Gesetz. „Dieses neue Gesetz ermächtigt die Seestreitkräfte, die notwendigen Maßnahmen gegen das zu ergreifen, was Peking als Untergrabung seiner maritimen Souveränität und Rechte im Südchinesischen Meer ansehen könnte – einschließlich der Anwendung von Gewalt“, erklärt Koh.

Philippinen gegen China: „Garantiere, dass keiner von ihnen lebend nach Hause kommt“

Immer häufiger kommt es zu Aufeinandertreffen von Schiffsverbänden der verschiedenen Staaten auf hoher See. Der wohl brisanteste Fall ereignete sich 2021, als China mehr als 200 vermeintliche Fischerboote mit Milizen an Bord zum Whitsun-Riff schickte. Sie drangen eindeutig in die exklusive Wirtschaftszone der Philippinen ein und kamen gefährlich nahe an ein von Vietnam besetztes Riff. Die angespannte Lage dauerte mehrere Monate. Eine Eskalation schien unausweichlich, als der damalige philippinische Präsident Rodrigo Duterte sagte: „Wenn ich meine Marinesoldaten schicke, um die chinesischen Fischer zu vertreiben, garantiere ich Ihnen, dass keiner von ihnen lebend nach Hause kommt.“ Glücklicherweise endete der Zwischenfall friedlich mit dem Abzug der chinesischen Schiffe. Bislang hat die chinesische Seite keinen Gebrauch von Gewalt gemacht. „Aber jede dieser Begegnungen birgt die Gefahr einer Eskalation“, warnt Koh.

Chinesische Schiffe und eine Patrouille der Philippinen am 2021 am Whitsun Reef:
Chinesische Schiffe und eine Patrouille der Philippinen treffen am 2021 am Whitsun-Riff aufeinander. © Philippine coast Guard (PCG)/afp (Archivfoto)

Wir beobachten auch eine wachsende militärische Grauzone – von der Küstenwache bis hin zur zivilen Fischerei. Felix Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt im Interview: „Immer häufiger fahren Chinas Fischereifangflotten im Verbund mit Küstenwache und Marine, um so territoriale Ansprüche zum Beispiel gegenüber den Philippinen oder Vietnam durchzusetzen.“ Die chinesische Küstenwache verfüge mittlerweile über sehr große, bewaffnete Schiffe.

Nicht nur China: Auch Vietnam baut Riffe aus

Hinzu kommt eine neue gefährliche Entwicklung: Während China zuletzt seine Ausbauaktivitäten reduziert hat, beginnen nun andere Staaten ihre Präsenz im Südchinesischen Meer massiv zu verstärken. Satellitenbilder zeigen, dass Vietnam in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 die Bagger- und Deponiearbeiten an seinen Außenposten auf den Spratly-Inseln ausgeweitet und rund 170 Hektar neues Land geschaffen hat. „Es gibt keine Heiligen im Südchinesischen Meer“, sagt Koh. Jede Partei habe Aktivitäten unternommen, die gegen den Geist der vereinbarten Declaration of Conduct von 2002 verstoßen.

Allerdings sticht China mit seinen Aktionen hervor, zum einen aufgrund der bestehenden Machtasymmetrie gegenüber den übrigen Anrainerstaaten. Zum anderen wird das Pekinger Selbstvertrauen immer größer. Besonders gefährlich ist in diesem Zusammenhang das Fehlen anerkannter Krisenmechanismen im Südchinesischen Meer. Das größte Hindernis hierbei ist das fehlende Vertrauen zwischen den einzelnen Parteien. Als unabhängige Vermittler kämen theoretisch externe Kräfte wie die EU oder gar die UN infrage. Doch das lehnt vor allem China als „äußere Einmischung“ ab. Vielmehr propagiert Peking eine „asiatische Lösung“ – wohl auch in der Hoffnung, so die eigene Vormachtstellung ausnutzen zu können.

Dieser Text erschien am 17. Januar 2023 im China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht es nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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