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Experte warnt: „Es wäre eine Katastrophe, wenn China und Amerika militärisch aneinandergeraten würden“

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Von: Ning Wang

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Der China-Experte Kerry Brown befürchtet einen Konflikt zwischen Peking und Washington. Im Interview zieht er zudem einen brisanten Vergleich zwischen Xi Jinping und Wladimir Putin.

Kerry Brown, dieses Jahr scheint ganz im Zeichen der Machtentfaltung Xi Jinpings zu stehen. Er hat sich eine dritte Amtszeit gesichert. Hat Xi zu dem negativen Bild über China beigetragen, das derzeit im Westen vorherrscht?

Es entsteht der Eindruck, dass seine Führungsriege keinen klaren Plan für die Wirtschaft hat, die im Moment zweifellos unter Druck steht. Es handelt sich um eine sehr politische Führung, bestehend aus neuen Politikern, die gerade erst im Oktober in ihr Amt gewählt wurden und deren Ressorts eher politisch als wirtschaftlich sind. Natürlich ist Xis Führung zum Teil eine Antwort auf die innenpolitischen Herausforderungen, denen sich China gegenübersieht. Aber sie ist auch ein Eingeständnis, dass die Außenwelt China gegenüber ziemlich feindselig eingestellt ist. Das hat die Führung um Xi in die Defensive gedrängt.

Erwarten Sie in Xis dritter Amtszeit Überraschungen?

Die meisten Dinge, die mich bisher überrascht haben, waren eher negativ als positiv. Es wäre schön, wenn wir einmal von Dingen überrascht würden, die wir nicht schon erwartet haben. Politische Reformen stehen nicht auf dem Plan, aber es war erfreulich, dass Xi auf dem G20-Gipfel im November dieses Jahres offensichtlich verstärkt mit anderen Staats- und Regierungschefs sprach und Partnerschaft und Dialog betonte. Aber ich glaube, die Führung unter Xi wird alles tun, um die Stabilität aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass die große Wiederbelebung der chinesischen Nation gelingt.

Kerry Brown

Kerry Brown ist Professor für China-Studien und Direktor des Lau China Institutes am King‘s College in London. Er ist ein Associate Fellow des Asia Pacific Programms bei Chatham House. Brown ist Autor von 24 Büchern. Die beiden aktuellsten Werke sind „China Through European Eyes“ (mit Chenger Gemma Deng) und „Xi: A Study of Power“.

China-Experte Brown: Ergeht es Xi Jinping wie Wladimir Putin?

Richtet sich der Blick der unzufriedenen chinesischen Bürger Richtung Westen?

Für diese Menschen ist das Bild der Außenwelt in den eigenen Medien nicht besonders positiv. Sie sehen die ganz offensichtlichen Spaltungen, Konflikte und Probleme in den USA, in Europa und anderswo, und das stimmt sie vermutlich nachdenklich. Erweckt das Ausland wirklich den Eindruck einer attraktiven Alternative? Es stellt sich auch die Frage, wer Xis Nachfolger wird. Er wird nächstes Jahr 70 Jahre alt und kann nicht ewig weitermachen. Aber im Moment scheint noch kein Nachfolger in Sicht.

Sehen wir bereits die schlimmsten Auswirkungen von Xis Führung?

Meiner Meinung nach kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn im 21. Jahrhundert ein autokratischer Führer länger als zehn bis 15 Jahre an der Macht bleibt. Mao Zedong wurde nach 15 Jahren zunehmend launisch und traf schlechte Entscheidungen wie die Unterstützung der Kulturrevolution. Bei Stalin zeigte sich das nach zehn bis 15 Jahren, und auch Putin hat nach 20 Jahren immer schlechtere Entscheidungen getroffen. Nach etwas mehr als 15 bis 20 Jahren werden die Dinge immer schlimmer. Ich mache mir Sorgen, dass, falls China unter der Führung von Xi Jinping in diese Lage gerät und es nicht schafft, den Kurs zu ändern, es zu einem gewaltigen Problem für China und den Rest der Welt werden wird.

Wie sehen die Europäer China heute, und wie wird dieses Bild von den USA beeinflusst?

Sie haben einen sehr komplizierten Eindruck von China: als Partner, Konkurrenten und als systemischen Rivalen. Die Europäische Kommission hat diese Formulierung 2019 in einer Erklärung zu China verwendet. Ich denke, die meisten Europäer mögen viele Dinge an China nicht, aber es gibt auch viele Bereiche, in denen sie einsehen, dass sie mit China zusammenarbeiten müssen. Sie sind recht pragmatisch. Außerdem müssen sie ihre Beziehungen zu China mit denen zu den USA in Einklang bringen. Amerika hat viel Einfluss in Europa und übt immer noch Druck aus.

China und der Westen: Zusammenarbeit entscheidend für die Zukunft des Planeten

Ein Bildschirm in Peking zeigt Aufnahmen der Militärmanöver,
Ein Bildschirm in Peking zeigt Aufnahmen der Militärmanöver, die China nach dem Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi gestartet hat. © Noel Celis/afp

Wie kann Europa in dieser komplizierten Lage mit China umgehen?

Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in China im Oktober hat gezeigt, wie man es macht. Er erntete zwar Kritik, aber er erreichte auch ein politisches Ergebnis, indem China den potenziellen Einsatz von Atomwaffen durch Russland gegen die Ukraine verurteilte. Aber wir müssen über jede Delegation, die Europa nach China entsendet, genau nachdenken – was wollen wir mit ihnen erreichen? Wir brauchen dringend einige diplomatische Erfolge. Ungeachtet dessen wird China auch weiterhin eine Herausforderung für Europa bleiben. Die Europäer müssen sich um ein ausgewogenes Verhältnis zu sich selbst, zu China und zu anderen internationalen Partnern wie Amerika bemühen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Konflikt der Systeme?

Das Wichtigste ist derzeit, einen pragmatischen Handlungsrahmen zu finden, in dem sich die Welt mit zentralen Themen wie Klimawandel, Pandemien, Ungleichheit und Nachhaltigkeit befassen kann, aber gleichzeitig anerkennt, dass es in politischer Hinsicht große Unterschiede zwischen China und Europa gibt und auch in Zukunft geben wird. Trotzdem wäre es eine historische Tragödie – eine Katastrophe – wenn China und Amerika militärisch oder anderweitig aneinandergeraten würden, nur aufgrund von unterschiedlichen politischen Systemen und Werten. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir trotz erheblicher Differenzen bei entscheidenden Herausforderungen wie dem Klimawandel und seinen Ursachen in vielen Punkten einer Meinung sind. Das lässt zumindest hoffen, dass wir diese Probleme eines Tages lösen können.

Dieses Interview erschien am 19. Dezember 2022 im Newsletter China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht er in leicht bearbeiteter Form nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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