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Chinas Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang: Westen reagiert auf Bericht – Deutschland fordert Konsequenzen

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Umerziehungslager in Xinjiang (Archivbild)
Umerziehungslager in Xinjiang (Archivbild): Der Bericht von UN-Menschenrechts-Hochkommissarin Michelle Bachelet spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der chinesischen Region. © Greg Baker/afp

Die UN beziehen endlich Stellung zu Chinas Menschenrechtsverletzungen in der Uiguren-Region Xinjiang. Das Auswärtige Amt fordert nun Konsequenzen.

Genf/München – Nun also doch: Michelle Bachelet hat acht Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit die Menschenrechtsverletzungen in der nordwestchinesischen Region Xinjiang verurteilt und beim Namen genannt. In dem mit Spannung erwarteten Bericht wirft die um Mitternacht aus dem Amt geschiedene UN-Hochkommissarin für Menschenrechte China mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. In Xinjiang seien „schwere Menschenrechtsverletzungen“ begangen worden, heißt es darin.

Mindestens zwischen 2017 und 2019 sei Uigurinnen und Uiguren sowie Angehörigen weiterer vorwiegend muslimischer Minderheiten „in großem Umfang willkürlich die Freiheit entzogen“ worden. Familien seien getrennt worden, auch ist von sexueller Gewalt und unfreiwilliger Geburtenkontrolle die Rede. Von einem „Genozid“ spricht der Bericht, anders als etwa die US-Regierung, hingegen nicht.

Das Auswärtige Amt in Berlin begrüßte am Donnerstag die Publikation des „lange geforderten Berichts“. Dieser bestätige, „dass Anlass zu größter Sorge besteht“. Das Außenministerium rief Chinas Regierung dazu auf, „allen Menschen in Xinjiang umgehend in vollem Umfang ihre Menschenrechte zu gewähren. Alle willkürlich Inhaftierten müssen sofort freigelassen werden.“ Zwangsarbeit dürfe es nicht geben. Auch müsse Peking „eine weitere unabhängige Aufklärung dieser Vorwürfe zu schwersten Menschenrechtsverletzungen in China zulassen.“

China weist Vorwürfe aus Bachelet-Report zurück

Dass Peking Forderungen aus dem Westen nach Aufklärung und Offenheit erfüllt, ist quasi ausgeschlossen. Dem Bericht von Michelle Bachelet ist – wie bei den Vereinten Nationen üblich – eine 131 Seiten lange Stellungnahme der chinesischen Regierung beigefügt. Darin heißt es, der Xinjiang-Bericht „verleumdet China mutwillig und mischt sich in Chinas innere Angelegenheiten ein“. In Xinjiang würden Uigurinnen und Uiguren sowie Angehörige aller anderen ethnischen Minderheiten „ein glückliches Leben in Frieden und Behaglichkeit“ führen. Der „Kampf gegen Terrorismus und Extremismus“ in Xinjiang sei „notwendig und gerecht“ und folge rechtsstaatlichen Prinzipien.

Die Umerziehungslager, von denen in Bachelets Bericht die Rede ist, seien freiwillig besuchte Bildungseinrichtungen mit einem „Fokus auf De-Radikalisierung“. Die Absolventen „haben einen festen Job gefunden und führen ein normales Leben.“ Weiter behauptet die chinesische Regierung, UN-Kommissarin Bachelet habe sich in Xinjiang frei bewegen können. Doch genau das hatte die Chilenin nach ihrem Besuch in der Region im Frühjahr ganz anders dargestellt. So sei sie während ihrer zwei Tage in Xinjiang stets von chinesischen Beamten begleitet worden und habe sich nicht frei mit den Menschen in der Region unterhalten können.

Mit seiner Gegendarstellung poche Peking darauf, dass jeder Staat selbst bestimme, was die Wahrheit ist und was nicht – oder was Menschenrechtsverletzungen sind und was nicht, sagt Katja Drinhausen vom Merics-Institut für Chinastudien zur Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. „Zu allen Punkten des Berichts stellt China ein Gegen-Narrativ auf. Das zeigt, dass China bei diesem Thema nicht gesprächsbereit ist und auch in absehbarer Zeit nicht sein wird.“

Xinjiang-Bericht: Amnesty-Expertin nennt Verzögerung „unentschuldbar“

Dem britischen Guardian zufolge verzögerte sich die Herausgabe des Bachelet-Reports, „weil in letzter Minute eine offizielle chinesische Antwort eintraf, die Namen und Bilder von Personen enthielt, die vom Büro des UN-Kommissars aus Datenschutz- und Sicherheitsgründen geschwärzt werden mussten“. „Die späte Veröffentlichung um ‚kurz vor 12‘ im wahrsten Sinne zeigt, wie groß Druck und Gegendruck im Hintergrund waren“, meint auch Katja Drinhausen. China habe gemeinsam mit einigen Unterstützerstaaten versucht, die Herausgabe des Berichts zu verhindern – während westliche Staaten noch bei der Abschiedssitzung für Bachelet am Mittwoch noch einmal auf die Veröffentlichung gedrängt hätten. Bachelet hatte bereits in der vergangenen Woche von „enormem Druck“ gesprochen, dem sie und ihr Team ausgesetzt gewesen seien.

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„Diese Auseinandersetzung im Hintergrund macht deutlich, was sich an politischen Spannungen zwischen China und einer breiteren Allianz liberaler Demokratien aufgebaut hat“, sagt Drinhausen. „Es ist ein Ringen um die Aufrechterhaltung von Werten und das multilaterale System in seiner jetzigen Form. Andere Staaten haben sich wiederum Chinas Bemühungen zur Neudefinition und Änderung des Umgangs mit Menschenrechten im UN-Rahmen angeschlossen.“ Theresa Bergmann, Asien-Expertin von Amnesty International, sieht den Fehler dagegen eher bei Bachelet und ihrem Team. „Die Verzögerung bis auf wenige Minuten vor Ende der Amtszeit ist unentschuldbar“, sagt sie auf Anfrage. „Sie wirft einen Schatten auf die Bilanz des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte.“

Xinjiang/China: „Berichte über schlimme Haftbedingungen, Folter oder sexualisierte Gewalt“

Inhaltlich lieferte der Bericht wenig Neues, sondern bestätigte vor allem die Berichte von Forschenden wie des deutschen Wissenschaftlers Adrian Zenz. Dessen Arbeit hatte maßgeblich zum Bekanntwerden der Situation in Xinjiang ab 2016 beigetragen. „Der Bericht kommt spät, und die Erwartungen waren gering, nachdem Bachelet bei ihrem Xinjiang-Besuch die Staatspropaganda Chinas wiedergab“, sagte Zenz auf Anfrage unserer Redaktion. „Dennoch ist der Bericht ein wichtiger Beitrag und eine Bestätigung der Forschungserkenntnisse über die Menschenrechtsverbrechen in der Region.“ Die UNO selbst hatte bereits im August 2018 von „glaubhaften Berichten“ gesprochen, nach denen bis zu einer Million Uiguren und andere Minderheiten in Umerziehungslagern gefangen gehalten würden.

Der aktuelle UN-Bericht spreche „von ‚möglichen‘ Verbrechen gegen die Menschlichkeit – hier geht Amnesty International weiter“, sagt Asien-Expertin Bergmann. „Die Erkenntnisse unserer Recherchen bieten eine ausreichende faktische Grundlage für die Schlussfolgerung, dass die chinesische Regierung in Xinjiang mindestens mit Blick auf Inhaftierung, Folter und Verfolgung tatsächlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat.“

Der Bachelet-Report bestätige „detailliert bisherige Berichte über schlimme Haftbedingungen, Folter oder sexualisierte Gewalt in den Lagern“, sagt Merics-Expertin Drinhausen. „Er hat die verschiedenen Aspekte sehr systematisch untersucht und aufgearbeitet – angefangen bei dem Rechtsrahmen und den Zuständen in den Lagern.“ Zusätzliches Gewicht bekomme der Bericht durch Interviews mit Opfern der Lager, die sich zuvor nicht öffentlich geäußert hätten und deren Aussagen somit besonders glaubwürdig und unverfälscht seien. Auch habe sich der Bericht systematisch durch die Probleme außerhalb des Lagersystems gearbeitet: Zwangsarbeit, Zwangsverhütung, Einschränkung der Religionsfreiheit und die Überwachung der Privatsphäre vieler Uigurinnen und Uiguren.

China: Welche Konsequenzen folgen aus dem Xinjiang-Bericht?

Dolkun Isa, der Präsident der Exilorganisation World Uyghur Congress, bezeichnete den Bachelet-Bericht in einer Stellungnahme als „äußerst wichtig. Er ebnet den Weg für sinnvolle und greifbare Maßnahmen der Mitgliedsstaaten, der UN-Gremien und der Wirtschaft“, so Isa. „Die Rechenschaftspflicht beginnt jetzt.“ Das Auswärtige Amt will sich zum Beispiel nun mit den Partnern in der EU und bei den Vereinten Nationen „über Konsequenzen aus dem Bericht“ beraten.

Amnesty-International-Expertin Bergmann fordert, dass „alle willkürlich in Lagern oder Gefängnissen inhaftierten Personen“ unverzüglich freigelassen werden und die Verfolgung der Uigurinnen und Uiguren und der Angehörigen der anderen Minderheiten in Xinjiang sofort beendet wird. Zudem müsse die chinesische Regierung von Staats- und Parteichef Xi Jinping für die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang „zur Verantwortung gezogen werden – auch durch individuelle Strafverfolgung“. Die Aussichten dafür sind indes gering. (sh/ck)

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