„Hart aber fair“: Malu Dreyer landet Söder-Lacher - und bekommt dann selbst ihr Fett weg

„Impfpflicht oder nicht Impfpflicht“, das ist derzeit die Frage. Plasberg widmet „Hart aber fair“ ganz der Debatte. Klar wird: Einmal mehr ist die Corona-Zukunft ungewiss.
Berlin - Manu Dreyer lässt sich in „Hart aber fair“* einen Seitenhieb auf CSU-Chef Markus Söder* nicht nehmen. Plasberg hatte kurz zuvor die im Münchner Merkur verkündete Wende in der bayerischen Corona-Politik angesprochen - Söder hatte seinen Kurs von „Team Vorsicht“ zu einem „breiteren Ansatz“ gewandelt*.
„Wundersame Wendungen bei Herrn Söder sind keine Überraschungen für mich“, stellt Dreyer zur Belustigung der Runde fest und bekommt prompt selbst ihr Fett weg. Chefredakteur Michael Bröcker frischt ihr Gedächtnis auf: „Sie haben im Sommer letzten Jahres gesagt: Eine Impfpflicht geht auf gar keinen Fall. Auch Sie haben also eine Wendung vollbracht.“ „Das stimmt“, gesteht Dreyer kleinlaut ein und fügt später hinzu: „Das sei eine Lernkurve“ gewesen.
„Hart aber fair“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Malu Dreyer (SPD) - Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz
- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) - Bundestagsabgeordnete, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion
- Prof. Dr. Timo Ulrichs - Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Berliner akkon Hochschule für Humanwissenschaften
- Prof. Dr. Malte Thießen - Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte
- Michael Bröcker - Chefredakteur der Media Pioneer GmbH
Die Diskussion um die Impfpflicht bewegt sich auf vermintem Terrain. Die Koalition ist in der Frage gespalten. Als „Spaziergänge“ maskierte Protestbekundungen und einer Instrumentalisierung durch rechtsextreme und -radikale Gruppen* bergen gesellschaftlichen Sprengstoff.
FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus macht bei Plasberg den Standpunkt ihrer Fraktion in dieser „hochethischen Frage“ klar und bekommt Schützenhilfe von The Pioneer-Chefredakteur und Podcaster Michael Bröcker. Aschenberg-Dugnus: „Es muss immer die richtige Balance sein zwischen dem Gesundheitsschutz und den Freiheiten, die man haben muss.“ Der Journalist Bröcker, der selbst bereits zu Beginn der Pandemie schwer an Covid-19 erkrankte, und nicht müde wird, in der Sendung die Wichtigkeit des Impfens zu betonen, sagt dagegen Sätze, die auch Impfgegnern schmecken würden: „Die Impfpflicht ist fast wie eine Panikaktion der Politik, die leider aber nicht das Ziel erreicht“. Sein schlagendes Argument: „Die Impfung rottet nicht das Virus aus.“ Eine Impfpflicht sei rechtlich daher nicht haltbar.
„Hart aber fair“: Dreyer warnt vor „Totalaufstand“
Ministerpräsidentin Malu Dreyer spricht dennoch der Bevölkerungsmehrheit und den politisch Verantwortlichen aus der Seele, die eine schnelle Umsetzung wollen und brauchen - vor allem im Hinblick auf das kommende Winterhalbjahr, wenn der Impfschutz wie zu erwarten erneut nachlässt. Dreyer macht deutlich, dass dies nur über eine starke „Immunisierung der Bevölkerung“ möglich ist und die „Impflücke“ geschlossen werden muss. Passiere das nicht, so die SPD-Politikerin, gebe es einen „Totalaufstand in der Bevölkerung“, weil wir die „Pandemie nicht in den Griff“ bekommen.
Untermauert wird ihre Haltung durch die Ausführungen von Timo Ulrichs. Der Virologe gibt den Mahner und ist sich sicher, die Impfpflicht sei der einzige Weg „aus der Endlos-Schleife“ immer neuer Corona-Wellen herauszukommen. Nichtimpfen sei dazu „unfair“ gegenüber anderen Kranken findet Ulrichs, deren Behandlung durch Corona-Intensivpatienten, die häufig durch Impfung vermeidbar seien, blockiert werde.
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach* (SPD) - in der Sendung abwesend, aber via Einspieler zu Wort kommend - leistet seinen Warn-Beitrag: „Es ist gut möglich, dass wir es im Herbst mit einem mutierten Delta-Typ zu tun bekommen“, so der Bundesminister. Ulrichs appelliert für vorausschauendes Handeln: „Wir haben unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht.“ Und „sollten sehen, dass wir zu Potte kommen“.
Corona: Grafik zu Sachsen und Bremen bringt Virologen aus dem Konzept
Für Kopfkratzen sorgt eine Grafik, die Plasberg einspielen lässt: Vergleichszahlen des Stadtstaates Bremen - mit der höchsten Impfquote der Republik - aber auch den höchsten Infektionszahlen. Dagegen stehen die Zahlen aus dem Freistaat Sachsen, der bekanntlich die wohl impfskeptischste Bevölkerung aufweist - aber auch eine niedrig Inzidenz von derzeit 249.
Ulrichs soll das erklären und hält den Umstand für eine „Momentaufnahme“, das könne sich noch anders gestalten, wenn Omikron auch Sachsen erreiche. Malu Dreyer hinterfragt bei den Zahlen deren zu einfache Aussage: Hohe Infektionszahlen - vor allem mit Omikron - seien nicht mehr das Kriterium, sondern die schweren Verläufe und die würden aus dieser Statistik nicht ersichtlich.
Bröcker mahnt anhand der unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten die Verantwortlichen, mit der Einführung einer Impfpflicht nicht das Vertrauen der Bürger zu verspielen, denen man kürzlich noch das Gegenteil versprochen hatte - zumal der Fortgang der Pandemie unklar sei*. Am „harten Kern“ der Verweigerer werde sich die Politik bloß die Zähen ausbeißen. Aschenberg-Dugnus ergänzt, dass eine Pflicht die „diffusen Ängste“ der Menschen gegen die Impfung verstärke, statt sie ihnen zu nehmen. Gewonnen sei damit also nichts.
Plasberg befragt Historiker: Geschichte der Impfgegner geht bis ins Kaiserreich zurück
Plasberg lässt erneut einen Experten zur Wort kommen - dieses Mal einen Historiker. Malte Thießen hat die Geschichte des Impfens erforscht und ist einer Impfpflicht gegenüber ebenfalls skeptisch eingestellt: „Selbst im autoritären Kaiserreich scheute man vor der Zwangsimpfung zurück“, so der Professor. Damals gab es „erschreckende Parallelen“ zur Gegenwart - samt „Impfgegner-Vereinen“, „Homöopathie-Anhängern“, „Aluhüten“ und „antisemitischen Verschwörungstheorien“. Seiner Meinung nach sei die Impfpflicht schon immer ein „stumpfes Schwert“, dass die Macht habe, „Stimmung zu machen“ und eine „Kultur des Misstrauens“, aber auch „das Fälschungswesen“ florieren zu lassen.
Dass die Menschen - trotz der enormen Erfolge von Impfungen - diese teilweise so kritisieren, habe damit zu tun, dass die schweren Krankheiten wie Pocken oder Tuberkulose aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden seien. Ironie der Geschichte: „Impfungen sind ein Stück weit Opfer ihrer eigenen Erfolge“, resümiert der Historiker.
Fazit des „Hart aber fair“-Talks
„Wann ist für Sie diese Pandemie beendet“, fragt Plasberg zum Schluss seine Gäste. Journalist Bröcker bringt mit seinem Statement frei von der Leber weg auch Plasberg zum Auflachen: „Wenn in der Talkshow nicht mehr über Corona diskutiert wird“. Das gilt aber vor allem wohl auch für die Sozialen Medien. Dort machten sich viele Zuschauerinnen und Zuschauer während der Sendung auf dem Twitter-Kanal, insbesondere unter Dreyers Statement, Luft. Die Meinungen auch dort: gespalten. (Verena Schulemann)