1. Startseite
  2. Politik

Corona-Kollaps in Brasilien: „Tropen-Trump“ Bolsonaro nun untragbar? Was das Land an ihm findet

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Andreas Schmid

Kommentare

Corona-Beben in Brasilien: Steigende Infektionszahlen und ein Präsident, der derzeit viel an Führungskraft vermissen lässt. Die Lage prekär, der „Tropen-Trump“ massiv in der Kritik.

München - Das Coronavirus breitet sich in Brasilien immer weiter aus. Das Land liegt mit insgesamt 978.142 Infektionen und 47.748 Toten im weltweiten Vergleich auf einem traurigen zweiten Platz (Quelle: Johns-Hopkins-Universität, Stand: 19. Juni, 15.20 Uhr). Nur die USA weisen noch mehr Covid-19 Fälle auf (2.191.200). Die Lage im größten Land Lateinamerikas ist weiter angespannt. Ein Ende der Pandemie scheint nicht in Sicht. Dies liegt auch am Handeln der Regierung um Präsident Jair Bolsonaro. Der riss sich indes den Mund-Nasen-Schutz vor Reportern vom Gesicht - trotz Sars-CoV-2-Infektion.

Coronavirus in Brasilien: Proteste gegen Bolsonaro und für Demokratie

Der 65-jährige, rechtspopulistische Politiker setzte sich 2018 in der Stichwahl gegen den Linkspolitiker Fernando Haddad durch. Seitdem sorgt er immer wieder für negative Schlagzeilen. Die Kritik an ihm und seiner Regierung wächst und die Proteste nehmen zu. Laut der jüngsten Meinungsumfrage des Instituts Datafolha liegt die Zustimmung für Bolsonaro aktuell nur noch bei 33 Prozent. Die Antwort des für sein loses Mundwerk bekannten Präsidenten: Diejenigen, die gegen ihn demonstrieren, seien „Asoziale“ und „Terroristen“.

„Weg mit Bolsonaro“ - die Proteste gegen den brasilianischen Präsidenten nehmen zu.
„Weg mit Bolsonaro“ - die Proteste gegen den brasilianischen Präsidenten nehmen zu. © AFP / MICHAEL DANTAS

Dem 38. Präsidenten Brasiliens wird neben anti-demokratischen Tendenzen und Rassismus vor allem ein fahrlässiger Umgang mit der Corona-Pandemie vorgeworfen - er verharmlose das Virus und lehne Einschränkungen oder Schutzmaßnahmen ab. 

Coronavirus: „Jedes Mal, wenn man sich über Brasilien äußert, muss man sich eigentlich schämen“

Doch warum wurde der ehemalige Soldat dann überhaupt von einer Mehrheit der Bevölkerung gewählt? Um das zu verstehen, muss man sich die Situation in Brasilien der letzten Jahre vor Augen führen. Johannes Kärcher war über zehn Jahre lang Sprecher der Deutsch-Brasilianischen-Gesellschaft in Baden-Württemberg und lebte 20 Jahre selbst in Brasilien. Der Unternehmer erklärt der Ippen-Digital-Zentralredaktion auf Anfrage: „Jedes Mal, wenn man sich über Brasilien äußert, muss man sich eigentlich schämen.“ 

Mangelnde Infrastruktur, ein schlechtes Wirtschafts- wie Gesundheitssystem, viele Verkehrstote, erhöhte Kriminalität, die offenbar achselzuckend zur Kenntnis genommen werde und insbesondere starke Korruption ließen das Land des fünfmaligen Fußballweltmeisters in einem schlechten Licht dastehen. 

Coronavirus: Brasilien-Experte erklärt - deshalb wurde Bolsonaro gewählt

Bolsonaros politischer Erfolg begründet sich Kärcher zufolge deshalb auch darin, dass die Bevölkerung genug von der früheren Regierung und den ständigen Korruptionsskandalen um etwa den früheren Präsidenten Lula da Silva* (2003 - 2011 im Amt) hatte. Dessen linke Arbeiterpartei PT stellte in jüngster Vergangenheit die Regierung. Auch Dilma Rousseff, 2011 bis 2016 Präsidentin und die bis dato einzige Frau an der Spitze Brasiliens, gehörte der PT an. Von einigen Teilen der Bevölkerung wird die Partido dos Trabalhadores, die Partei der Arbeiter, nun für die Krise mitverantwortlich gemacht. 

Im Wahlkampf 2018 gab sich Bolsonaro dann als Saubermann, der die Korruption im Land beenden wolle: „Einer der Gründe, warum er gewählt wurde, ist, dass er als Abgeordneter nie in Schmiergeldaffären verwickelt war“, meint Kärcher. Nachdem Bolsonaro mittlerweile gut zwei Jahre im Amt ist, steht aber fest, dass auch der 65-Jährige gerade in Zeiten der Pandemie viel Angriffsfläche liefert. Nun musste sich der Präsident auch selbst einem Corona-Test unterziehen, nachdem Bolsonaro Symptome zeigte.

Bolsonaro infizierte sich mit dem Virus. Anschließend klagte der Präsident, der das Coronavirus mehrfach verharmloste, über die Folgen seiner Erkrankung.

„Ele Não“ - „Er nicht“: Proteste gegen Jair Bolsonaro gab es auch schon vor der Präsidentschaftswahl.
„Ele Não“ - „Er nicht“: Proteste gegen Jair Bolsonaro gab es auch schon vor der Präsidentschaftswahl. © picture alliance/dpa / Henry Milleo

Zu Anfangszeiten der Corona-Krise weigerte sich Bolsonaro etwa, Hygieneregeln einzuhalten und schüttelte auf politischen Veranstaltungen ausgiebig und demonstrativ die Hände. Später hegte er Zweifel an den offiziellen Infektionszahlen. Die Statistik sei künstlich aufgeblasen, behauptete der Präsident. Beweise dafür lieferte er nicht. Anfang Juni veröffentlichte das Gesundheitsministerium auf Druck Bolsonaros dann plötzlich überhaupt keine Daten mehr. Die Staatsanwaltschaft intervenierte und kippte diese „Anpassung“, von der der 65-Jährige auf Twitter sprach.

Corona in Brasilien: Covid-19 nur eine „leichte Grippe“ - liebe Grüße an Lukaschenko

Dass der Eindruck entsteht, Bolsonaro nehme Covid-19 nicht ernst, liegt auch an den kontroversen Aussagen des Ex-Militärs. So sagte Bolsonaro etwa: „Der Brasilianer sollte ein Studienfach sein, er wird nie krank.“ Zudem betonte er anfangs, Corona sei lediglich eine „kleine Grippe“, vor der man sich folglich nicht fürchten müsse. Das erinnert an den weißrussischen, autokratischen Präsidenten Lukaschenko, der die Pandemie als „Psychose“ bezeichnete und dazu riet, Corona „mit Wodka, Saunagängen und Traktorfahren“ zu bekämpfen. Parallelen gibt es aber auch zu einem weiteren Staatschef, den Bolsonaro sehr zu bewundern scheint: US-Präsident Donald Trump*

Jair Bolsonaro: Der brasilianische Präsident ist der „Tropen-Trump“

Wie Trump spielt Bolsonaro die Gefahr von Covid-19 offensichtlich herunter. Wie Trump scheint Bolsonaro die Wirtschaft über die Bevölkerung zu stellen. Wie Trump möchte Bolsonaro gerne aus der Weltgesundheitsorganisation austreten. Wie Trump scheint Bolsonaro auf Twitter ein zweites Zuhause gefunden zu haben, seinen Wahlkampf managte er großteils über Social Media. Wie Trump geht Bolsonaro nicht zimperlich mit politischen Gegnern um. Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta wurde nach einem Streit über den Umgang mit der Pandemie postwendend entlassen. Mandetta hatte eine strengere Linie zum Schutz vor Infektionen gefordert. Der Präsident sah dafür keine Gründe. 

Trump und Bolsonaro ähneln sich auch in ihrer harschen und aggressiven Rhetorik, weshalb der Ex-Militär oft auch als „Tropen-Trump“ bezeichnet wird. Auch Brasilien-Experte Kärcher erkennt Parallelen zum US-Präsidenten, denn „ähnlich wie Trump wurde Bolsonaro von Leuten gewählt, die von der Regierung der letzten Jahre enttäuscht waren.“

Staatsbesuch bei Freunden: Donald Trump (l.) im März mit Jair Bolsonaro.
Staatsbesuch bei Freunden: Donald Trump (l.) im März mit Jair Bolsonaro. © AFP / JIM WATSON

Coronavirus in Brasilien: Regierung um Bolsonaro in der Kritik - Umweltminister polarisiert

Die kontroverse Politik ist unterdessen auch innerhalb Bolsonaros Regierung erkennbar: „Jetzt, wo wir gerade Ruhe haben, weil sich die Presse nur mit Covid-19 beschäftigt, sollten wir den Moment nutzen, um die Vereinfachung der ganzen Regeln und Normen (zur Regenwaldabholzung, d. Red.) voranzubringen.“ Dieses Zitat stammt von Ricardo Salles. Er ist Brasiliens Umweltminister. Keine Pointe. 

Trotz „seiner Macken“ bewerte man Bolsonaro teilweise aber auch zu kritisch, meint Kärcher. In Brasilien gebe es keine „konservative Presse“, die sich hinter den Präsidenten stelle und in der „politisierten Justiz“ sowie der Lokalpolitik liege ebenfalls vieles im Argen. Es wirke manchmal, so Kärcher, als hätten weite Teile Brasiliens Bolsonaro als Buhmann auserkoren. 

Zu diesem Stimmungsbild hat Bolsonaro aber gewiss auch seinen Anteil beigetragen. Ob Bolsonaro das Land wieder stabilisieren und die Corona-Pandemie bewerkstelligen kann, bleibt zumindest fraglich.

Warum die Situation in Brasilien auch für Deutschland unangenehm werden könnte und wie Bolsonaros Politik eingedämmt werden kann, erklärt Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter der Grünen und außenpolitischer Sprecher der Fraktion, in einem Gastbeitrag der Frankfurter Rundschau*.

In seinem eigenen Land will US-Präsident Donald Trump trotz der Corona-Pandemie vor Tausenden Menschen auftreten. Den Schauplatz sehen viele Schwarze als Provokation.

Andreas Schmid

*Merkur.de und fr.de sind Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

Auch interessant

Kommentare