New Yorker Notarzt über Corona-Krise in der Bronx: „Manchmal 200 Erkrankungen in einem Stockwerk“
Corona-Krise in den USA: Notarzt Lászlo Osváth arbeitet im Lincoln Medical Center in New York und spricht über seinen Arbeitsalltag und das Coronavirus.
- Notarzt aus New York spricht über die Corona-Pandemie* in den USA.
- New York Bronx ist ein Hotspot in Zeiten von Corona.
- Es fehlt an der medizinischen Infrastruktur.
Herr Osváth, ich erreiche Sie nach einer 40-Stunden-Schicht in der Notaufnahme des Lincoln Medical Center in der NY Bronx. Haben Sie immer so lange Dienstzeiten?
Nun, die sind jetzt während Covid-19 extrem lang. Normalerweise dauert eine Schicht zwölf Stunden, hinzu kommen um die fünf Stunden Papierarbeit. Die Ruhezeiten sind inbegriffen, aber man kommt hier selten zu Ruhe - aktuell schon gar nicht.
Wie sieht der Arbeitsalltag aus?
Am Wochenende hatten wir die üblichen Patienten mit schweren Lungenentzündungen. Die werden sofort getestet, es sind aber meistens hoffnungslose Fälle. Die Menschen kommen viel zu spät, aus verständlichen Gründen. Die Angst entdeckt zu werden, hält sie davon ab. Die größte Anzahl sind illegale Einwanderer, ohne Aufenthaltsgenehmigung, ohne Job und ohne jede Versicherung. Unter ihnen haben wir die höchste Sterblichkeitsrate zu verzeichnen.
Coronavirus in New York Bronx: Auf Covid-19 wurde kaum ein Patient getestet
Die Bronx gilt als einer der Corona-Hotspots, 25% der Bewohner sind betroffen. Waren Sie für den massiven Ausbruch der Pandemie gerüstet?
Wir sind hier im Lincoln Medical Center fast immer in einer Ausnahmesituation. Das liegt sicher an den besonderen, sozialen Herausforderungen, mit denen wir es in der Bronx zu tun haben. Als die Pandemie ausbrach, hatten wir keine Vorstellung, wohin das führen würde. Ich erinnere mich, als wir im Januar und Februar eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Patienten mit schweren Lungenentzündungen hatten. Die wurden zwar geheilt, aber keiner wurde auf Covid-19* getestet. Die gingen alle nachhause in die Hochhaussiedlungen, wo die meisten in sehr beengten Verhältnissen leben. Plötzlich wurden aus einzelnen Blocks rasant steigenden Erkrankungen gemeldet, manchmal 200 in einem einzigen Stockwerk. Von Covid-19 wurde ganz New York sehr hart getroffen. Hier ist das Zentrum der Pandemie in den USA, 50 von 80 Tausend Toten in den USA waren New Yorker - und die meisten lebten in der Bronx.

Wie erklären Sie sich das?
Über die Airports sind Virusträger von überall aus Europa eingeflogen worden, besonders aber aus Italien und Spanien. An der Westküste wurden die Grenzen sofort dichtgemacht, im Osten nicht. Hier war das nicht so einfach, es gab sogar Vorwürfe gegen Donald Trump*, er würde den „weißen“ Westen, also Kalifornien, Washington D.C., schützen und den „bunten“ Osten aus rassistischen Gründen seinem Schicksal überlassen wollen. Es scheint aber so, dass im Osten niemand dem Shutdown zustimmen wollte, der Widerstand dagegen war groß. Unser Krankenhaus war zwar gut vorbereitet, aber nicht auf diese enorme Steigerung. Die Zahl der Erkrankten schoss buchstäblich in den Himmel.
Corona-Krise in den USA: Die Todesfälle an Covid-19 nehmen ab
Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der Regierung in Washington?
Die Regierung hat mit Feldhospitalen geholfen, hat das Javits Center, eine große Halle, in ein Krankenhaus für 1000 Patienten umfunktioniert, und die USNS Comfort (ein Hospitalschiff) aus Virginia dockte in Manhattan an. Wir wurden gut ausgerüstet mit Schutzmasken und PPE, dem präventiven Ganzkörper-Equipment für das Krankenhauspersonal. Aber, viel wichtiger, sie haben medizinisches Personal, vor allem aus dem Süden, nach New York gebracht, um den chronischen Mangel an Fachkräften zu kompensieren. Hervorragende, professionelle Kräfte, Krankenschwestern, Assistenzärztinnen, Pflegekräfte. Fachlich exzellent und mit einer hohen Arbeitsmoral. Dieses Fachpersonal wird von der Regierung bezahlt, sehr gut bezahlt. Eine Krankenschwester z.B. geht mit 12.000 $ pro Woche nachhause. Mir ist schon bange, was sein wird, wenn sie in zwei Wochen wieder abgezogen werden. Nun ist es etwas ruhiger geworden, der Scheitel der Welle ist vorbei, und die Todesfälle nehmen ab.
In den USA ist nicht jeder krankenversichert. Müssen Sie Menschen deshalb abweisen?
Wir im Lincoln Center haben uns um jede und jeden gekümmert, unabhängig davon, ob jemand versichert war oder nicht, und ganz gleich, welchen legalen Status sie hatten. Leider gibt es aber die sogenannten „Comorbidities“, also Erkrankungen, die in der Folge von Covid-19 auftreten, und Vorerkrankungen wie z.B. Diabetes. Auch alle Suchtkranken sind extrem risikobehaftet und haben zu der großen Anzahl von Toten beigetragen. Wir haben aber auch eine hohe Erfolgsrate - viele Patienten haben das Krankenhaus gesund verlassen können.
Corona-Krise in den USA: Das Coronavirus ist mehr als eine Grippe
Manche behaupten, Corona sei nichts weiter als eine schwere Grippe. Was sagen Sie als Praktiker im Krisenherd?
Das Coronavirus ist mehr als eine Grippe*. Ich teile die Ansicht von Luc Montagnier, der Nobelpreisträger, der den HIV-Virus entdeckt hat. Der behauptet, das Coronavirus enthält einen Teil des Genoms von HIV. Ob es stimmt oder nicht, wird sich mit der Zeit zeigen. Das ist die Expertise eines Spezialisten, dem ich vertraue.
Was unterscheidet Ihre Arbeit in der Bronx von der Arbeit anderer Ärzte, beispielsweise in Boston oder Kalifornien?
Die Arbeit ist überall die Gleiche, auch die Probleme, z.B. der ewige Kampf mit der Infrastruktur. Es herrscht, hier wie dort, akuter Personalmangel. Es fehlen pro Schicht fast die Hälfte der Krankenschwestern, weil wir die Stellen nicht besetzen können. An Krankentransportern fehlt es überall, statt 15 Krankenwagen gibt es oft nur sechs bis sieben. Es ist schon passiert, dass ich einen Patienten selbst zum CT fahren musste.
Haben Sie eine Prognose, wie es weitergehen wird dort, wo Sie arbeiten?
Die Fieberkurve der Pandemie wird abflachen, die Zahlen werden sinken. Es gibt aber auch noch Risiken, die wir nicht abschätzen können, z.B. hört man, das einige Tigerkatzen in der Bronx im Zoo an Covid-19 erkrankt sind. Wenn sich das als Fakt erweisen sollte, dann haben wir ein Problem. Die Mensch-Tier-Schranke wäre durchbrochen, und das Virus verfügte über ganz andere Verbreitungsmöglichkeiten. Tiger sind Katzen. Stellen Sie sich so ein Szenario vor. Hauskatzen als als Wirte von Coronaviren? Auch kann ein zu frühes Aufheben der Restriktionen dazu führen, dass es wieder zu einem Anstieg kommt. Wichtig sind deshalb die Vorsichtsmaßnahmen: Schutzmasken, Händewaschen, Abstand bewahren. Klar, ab einem gewissen Zeitpunkt muss die Wirtschaft wieder angeworfen werden, niemand will monatelang damit warten.
Das Interview führte Katja Thorwarth.
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