„Echt zum Kotzen“ - Deutsche Obstbauern beklagen „Wettbewerbsverzerrung“ in der EU

Die Obstbauern in Deutschland werden weniger. Das liegt an fatalen Wettbewerbsbedingungen und politischen Entscheidungen, schimpft ein Jungbauer.
München – Die Deutschen essen pro Kopf rund 70 Kilogramm Obst im Jahr, vor allem Äpfel und Bananen. Letztere werden aus anderen Ländern importiert, Äpfel hierzulande bewirtschaftet. Doch der heimische Obstanbau stockt, immer mehr Betriebe schließen.
Waren es 2012 noch 11.200 Betriebe im Marktobstanbau, sind es 2022 rund 9700. Ein Rückgang um 13 Prozent, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU/CSU hervorgeht, die IPPEN.MEDIA exklusiv vorliegt. Zum Marktobst zählen Baumobst, Strauchbeeren und Erdbeeren.
Obstbau in Deutschland: „Die wirtschaftliche Situation ist sehr angespannt“
Ein Hauptgrund sind finanzielle Aspekte. So geht die Bundesregierung davon aus, „dass die wirtschaftliche Situation der Obstbetriebe in Deutschland derzeit insgesamt sehr angespannt ist.“ Gerade beim Apfelanbau lagen die Erzeugerpreise zuletzt „deutlich unter dem Wert der Produktionskosten“.
In Europa gab es zuletzt eine Überproduktion an Äpfeln. Die Folge: Ein Preiskampf um die Nachfrage, bei dem deutsche Anbieter immer weniger mithalten können. Im EU-Vergleich liegen Spanien oder Italien vor Deutschland; die größte Konkurrenz auf dem Apfelmarkt kommt aus Polen. Das Nachbarland ist der größte Apfelproduzent Europas, dort wird sehr billig produziert. In Deutschland ist das anders. Nicht nur wegen Inflation und steigenden Produktionskosten, sondern auch aufgrund der Einführung des Mindestlohns. Seit dem 1. Oktober 2022 liegt er bei 12 Euro, in Polen ist es weniger als die Hälfte.
Der Deutsche Bauernverband erkennt eine „enorme Belastung für die Betriebe“ und sieht insgesamt einen „Strukturwandel im Obstbau und dem zu erkennenden Rückgang von familiären Obstbaubetrieben.“ Diese Einschätzung deckt sich mit Angaben des Bundes. Während die Zahl der Obst- und Gemüsebetriebe sinkt, wächst die durchschnittliche Betriebsgröße. Die großen Unternehmen verdrängen kleine Familienbetriebe.
Durch erhöhte Mindestlöhne, Energiekosten und Billigimporte aus östlichen Nachbarländern können heimische Betriebe nicht mehr im Preisvergleich mithalten.
CDU-Kritik an Özdemir-Plänen: „Wird Obstbau weiter unter Druck setzen“
CDU-Politiker Albert Stegemann, agrarpolitischer Sprecher der Union, sieht eine „äußerst angespannte Situation des deutschen Obstanbaus“. Bei IPPEN.MEDIA kritisiert der gelernte Landwirt aus Niedersachsen vor allem das „Festhalten von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir an der pauschalen Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln“. Der Grünen-Minister will den Einsatz von Pestiziden stärker regulieren und begründet das unter anderem mit dem Gesundheitsschutz. Laut Stegemann „wird das den heimischen Obstanbau weiter unter Druck setzen“ und für weniger heimischen Anbau sorgen.

Obstbauer klagt Pflanzenschutz-Regeln an: „Echt zum Kotzen“
In den vergangenen Jahren gab es mehrere Protestaktionen von Landwirten aufgrund der Verbote von Pflanzenschutzmitteln. Auch Marinus Niederthanner hadert mit dem Pflanzenschutz. Der 23-Jährige baut in Oberbayern Äpfel, Wassermelonen und Erdbeeren an. Pflanzenschutz sei insgesamt ein „sehr schwieriges Thema mit negativer Presse“, sagt Niederthanner. „Der Sinn des Pflanzenschutzes, der Schutz einer Kultur, um ein gesundes Produkt produzieren zu können, wird oft falsch und negativ dargestellt.“
Einige Mittel seien aus gutem Grund vor langer Zeit in Deutschland verboten worden, würden jedoch im Ausland noch täglich verwendet werden. „Wir in Deutschland haben die höchsten Standards, auch weil es am stärksten kontrolliert wird“, schildert Niederthanner im Gespräch mit unserer Redaktion. „Gleichzeitig müssen wir mit dem Weltmarkt konkurrieren, wo billige Pflanzenschutzmittel noch zugelassen sind.“ Die Situation sei „echt zum Kotzen“.
Denn dadurch entstehe auch innerhalb der EU „eine totale Wettbewerbsverzerrung“. Das treffe vor allem jene Obstbauern, die für den Lebensmitteleinzelhandel produzieren. Und dort mit den billigen Anbietern konkurrieren. Schließlich wählt der Handel vor allem nach dem Preis aus, gerade in Zeiten der Inflation. Auch deshalb konzentriert sich Niederthanner auf den regionalen Vertrieb.
Obstkonsum in Deutschland pro Kopf im Jahr 2021/22 (Quelle: Bundesregierung)
- 68,8 Kilogramm insgesamt
- davon 22,4 Kilo Äpfel, 12,3 Kilo Bananen, 5,0 Kilo Tafeltrauben, 3,7 Kilo Erdbeeren und 2,8 Kilo Pfirsiche.
Das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium verteidigt seinen Kurs auf Anfrage von IPPEN.MEDIA hinsichtlich der Pflanzenschutzregeln. Man unterstütze die geplante EU-Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) „grundsätzlich“. Gleichzeitig teilt ein Ministeriumssprecher mit, es brauche „dringend Anpassungen, die auf unsere spezifischen Voraussetzungen in Deutschland eingehen“. Etwa bei der Definition von sogenannten „sensiblen Gebieten“.
EU-Gesetz „Sustainable Use Regulation“ (SUR)
Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr einen Gesetzesvorschlag präsentiert, der unter anderem eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 vorsieht. Grundlage für den Wert soll demnach die durchschnittlich verkaufte Menge aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 sein. Die Verordnung ist Teil des „Green Deals“ der EU.
„Sensible Gebiete“ sind Orte, die laut EU besonders geschützt werden müssen, etwa Wasser- oder Vogelschutzzonen. Hier soll der Einsatz von Pflanzeschutzmittel verboten werden. Winzer schlagen Alarm, da sich viele Weinberge in diesen Gebieten befänden. Die Folge wären weniger Betriebe sowie gestiegene Kosten für den Verbraucher, heißt es.
Umweltverbände argumentieren, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln müsse reduziert werden, um das Artensterben zu bremsen. Sie wollen die Definition „sensibler Gebiete“ enger fassen.
Außerdem müssten Vorleistungen beim Verringern des Pflanzenschutzmitteleinsatzes gewürdigt werden. Konkret ist die Rede von „Änderungen des Referenzjahres für die Reduktionsziele“. Damit die Betriebe, „die schon vorangegangen sind, nicht nachträglich bestraft werden“. Das Ziel laut Bundeslandwirtschaftsministerium: „Das Nutzen der Flächen und das Schützen der Flächen müssen Hand in Hand gehen.“
Oppositionspolitiker Stegemann meint, eine Unterstützung des Obstanbaus durch die Bundesregierung sei „de facto nicht existent“. Die Ampel verweist derweil auf insgesamt 99 Projekte mit einem Förderungsvolumen von 23 Millionen Euro zur Verbesserung der Lage des Obstbaus. Im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau stellte Berlin in den letzten fünf Jahren wurden Bundesmittel in Höhe von 11,61 Millionen Euro bereit. 2022 gab es 124 Euro pro Hektar Anbaufläche antragslosen Zuschuss (maximal 15.000 Euro pro Betrieb). Zudem fördert die Ampel einige Digitalisierungsprojekte. Dadurch soll der Beruf für junge Menschen attraktiver gemacht werden. Junge Obstbauern wie Marinus Niederthanner. (as)