„Ein ungewöhnlich heftiges Ereignis“
Mit Joachim Curtius, seit 2007 Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an der Frankfurter Goethe-Universität, sprach Dieter Hintermeier über die Ursachen des Unwetters „Elvira“ und ob der Klimawandel der Auslöser solcher Unwetter ist.
Welche „Zutaten“ waren für die Unwetter in Süddeutschland und tendenziell auch in unserer Region verantwortlich?
JOACHIM CURTIUS: Im wesentlichen war, beziehungsweise ist es das Tiefdruckgebiet „Elvira“, das genau über Deutschland liegt und sich nur sehr langsam von Süden nach Norden bewegt. Es schaufelt schwülwarme Luft entgegen dem Uhrzeigersinn. An den Luftmassengrenzen entstehen starke Gewitter, wenn die feuchte, warme Luft angehoben wird und dabei schnell abkühlt und das Wasser auskondensiert.
Sind solche Wetterkapriolen im Mai als normal zu bezeichnen? Oder welche Jahreszeiten sind dafür in der Regel eher prädestiniert?
CURTIUS: Die stärksten Gewitter treten gewöhnlich in den Sommermonaten auf, weil sich dann der Boden am stärksten erwärmt und es die meisten Konvektionsereignisse gibt. Ende Mai ist für Gewitter aber nicht generell ungewöhnlich.
Ist mit solchen Wetterlagen aufgrund des Klimawandels häufiger zu rechnen?
CURTIUS: Ganz grundsätzlich wird angenommen, dass die Intensität von Starkregenereignissen mit steigender Temperatur durch den Klimawandel zunehmen dürften. In welchen Regionen die Intensität wie stark zunimmt, ist aber nur sehr schwer vorherzusagen, und die Modelle sind sich in den Vorhersagen nicht einig.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es?
CURTIUS: Der Report des Weltklimarats von 2013 fasst zusammen, dass mittleres Vertrauen in die Aussage besteht, dass „pro Grad Klimaerwärmung die Intensität der Starkregenereignisse um fünf bis zehn Prozent zunehmen“. Mittleres Vertrauen („medium confidence“) heißt, die Aussage ist vermutlich richtig, aber nicht wissenschaftlich sicher bewiesen. Für ein einzelnes Ereignis kann man daher den Klimawandel nicht verantwortlich machen, sondern nur eine Zunahme der Häufigkeit oder Intensität der Ereignisse insgesamt kann gegebenenfalls dem sich verändernden Klima zugeschrieben werden.
Welche Gebiete und Regionen sind von solchen Unwettern häufiger betroffen als andere? Oder herrscht das „Zufallsprinzip“?
CURTIUS: Besonders stark betroffen sind Gebirgshänge, an denen sich die Wolken „stauen“ und beim Aufsteigen abregnen. Überflutungen durch den Starkregen gibt es besonders da, wo das Wasser zusammenläuft und sich sammelt, also vor allem in den Bachbetten, die das viele Wasser so schnell nicht abführen können. Der Boden kann das Wasser bei solchen Niederschlägen so schnell gar nicht aufnehmen (oder er ist bereits gesättigt), und das Wasser läuft dann oberflächlich in Richtung „tiefster Punkt“ ab. Allgemein können Starkregen in Deutschland aber überall auftreten.
Welche Auswirkungen hatten denn dieses Starkregenereignis konkret?
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) meldet, dass gestern an der Station Hohenthann (70 Kilometer nordöstlich von München) zwischen 20 bis 21 Uhr 65 Liter Niederschlag auf den Quadratmeter gefallen sind. Das sind fast zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresniederschlags in Deutschland (typischerweise 700 bis 800 Liter pro Quadratmeter) innerhalb von nur einer Stunde! Der DWD klassifiziert Starkregen mit mehr als 25 Liter innerhalb von 1 Stunde als Unwetter und mehr als 40 Liter in einer Stunde als extremes Unwetter. Das zeigt sehr deutlich, dass es sich wirklich um ein ungewöhnlich heftiges Ereignis gehandelt hat.