"Geld für die Veteranenkasse"
Ohne einen Unterstützerkreis ist ein Leben in der Illegalität kaum möglich. Bei den Überfällen des RAF-Trios auf die Geldtransporter handelt es sich um Beschaffungskriminalität, sagt Klaus Pflieger.
Wer untertauchen will, sucht die Anonymität der Großstadt. Am zweckmäßigsten wählt er eine Wohnung in einer Hochhaussiedlung als Domizil. Hier kennt einer den anderen nicht wirklich genau. Um alles perfekt zu machen, fehlen dann noch 20 bis 30 vertrauensvolle Menschen, die einem das Leben im Untergrund erleichtern. Diese in der Legalität lebenden Personen schützen und helfen den Illegalen. Klaus Pflieger beschreibt ein mögliches Umfeld, in dem die drei mutmaßlichen Terroristen Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg – das Trio, das offenbar im vergangenen Sommer in Stuhr nahe Bremen und im Dezember in Nordsteimke bei Wolfsburg bei missglückten Überfällen auf Geldtransporter aktiv war.
Der ehemalige baden-württembergische Generalstaatsanwalt Pflieger, der in seiner beruflichen Laufbahn auf Grund vieler Verfahren zum RAF-Experten avancierte, geht davon aus, dass die Überfälle auf die Geldtransporter der reinen „Geldbeschaffung“ des Trios dienten. „Sie müssen die RAF-Veteranenkasse auffüllen. Eine Rentenversicherung haben sie nämlich nicht“, sagt Pflieger. Damit spielt der RAF-Experte auf das Leben im Untergrund an, dass es trotz „neuer“ Ausweispapiere nicht erlaube, dauerhaft einem bürgerlichen Job nachzugehen. Deshalb brauche es für das Leben in der Illegalität einen Unterstützerkreis, der sich zum Beispiel auch um die ärztliche Versorgung kümmere.
Trotzdem komme irgendwann der Zeitpunkt, an dem den Illegalen das Geld zum Überleben ausgeht. Staub und Klette hatten vor den Raubüberfällen in Groß Mackenstedt und Wolfsburg zuletzt in Duisburg ihre Spuren hinterlassen. Das war Ende 1999, ein Jahr nachdem die RAF sich offiziell aufgelöst hatte und ihren Kampf aufgab. Damals brachten vor einem Einkaufszentrum im Duisburger Stadtteil Rheinhausen drei Vermummte in zwei Fahrzeugen einen Geldtransporter zum Stehen. Dann zwang das mit einer Panzerfaust, einer Maschinenpistole und einem Sturmgewehr bewaffnete Trio die beiden Geldboten, die Türen ihres gepanzerten Fahrzeugs zu öffnen.
Die Räuber seien mit mehr als einer Million D-Mark entkommen. An den am Tatort zurückgelassenen Helmen und Sturmhauben fanden Experten des Bundeskriminalamts DNA-Spuren von Staub und Klette. Jetzt tauchten bei den neuen Überfällen die Spuren von Staub und Klette wieder auf. Pflieger geht davon aus, dass die Ermittler aufgrund der aktuellen Spurenlage die wichtigen Ansatzpunkte haben, um das Trio zu fassen. Dass die Täter ein hohes Risiko bei ihren Überfällen eingehen, sei ihnen bewusst, sagt Pflieger. „Aber sie setzen wie frühere RAF-Täter auf den Überraschungseffekt des Angreifers. Das war zum Beispiel auch bei der Ermordung von Hanns-Martin Schleyer so“, erklärt der Experte.
Obwohl die RAF-Überfälle in der Vorgehensweise an die des rechtsterroristischen NSU erinnerten, gebe es doch Unterschiede. Die Überfälle der RAF zielten auf die Erbeutung großer Geldbeträge, während der NSU kleine Sparkassen überfallen habe.
„Die RAF ist ein anderes Kaliber“, so Pflieger, der aber nicht glaubt, dass von dem Trio noch eine terroristische Gefahr ausgeht. Dass bei dem Überfällen bei Bremen und Wolfsburg großkalibrige Waffen zum Einsatz kamen, ist für den RAF-Experten nicht ungewöhnlich. „Früher konnte man sich in Italien problemlos solche Waffen besorgen. Möglicherweise lagern noch in versteckten Erddepots der alten RAF solche Waffen, derer sich die Täter bedienten“, so Pflieger abschließend.