Merkel und Scholz zufrieden mit Groko, jetzt mischt sich Schäuble ein - „noch Luft nach oben“
Die Große Koalition um Kanzlerin Merkel hat eine positive Halbzeitbilanz gezogen. Nicht nur die Wähler sehen es laut einer Umfrage anders: Jetzt rechnet Schäuble mit der Groko ab.
- Die Große Koalition hat ihre Halbzeitbilanz gezogen.
- Dabei kamen Merkel und Co. zu einem positiven Ergebnis.
- Jetzt meldet sich Schäuble zu Wort - und rechnet mit der Groko ab.
Update vom 2.12.2019: Der designierte SPD-Chef Walter-Borjans macht sofort Druck auf die Regierung. Es deutet sich durch die SPD-Wahl eine ernste GroKo-Krise an.
Update vom 9. November 2019: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich skeptisch über die Folgen der großen Koalition aus Union und SPD für das politische System Deutschlands geäußert. „Die große Koalition hat vieles vorangebracht. Aber Meinungsumfragen wie Wahlergebnisse zeigen: Bei der Führungsaufgabe von Politik, den Menschen Orientierung zu geben, ist noch Luft nach oben“, sagte Schäuble der „Passauer Neuen Presse“.
Auf die Frage, ob die große Koalition auch zur Stärkung der politischen Ränder, also vor allem zu den Wahlerfolgen der AfD, beitrage, antwortete Schäuble: „Der politische Wettbewerb soll in der Mitte entschieden werden. Aber dann muss in der Mitte um Alternativen gerungen werden. Die Zusammenarbeit der großen politischen Lager ist dafür nicht die optimale Lösung.“
Bei „Anne Will“ treffen am Sonntag CDU-Chefin AKK und Malu Dreyer von der SPD aufeinander. Die zentrale Frage: Wie steht es um die GroKo?
Groko-Halbzeitbilanz: Merkel und Scholz sind zufrieden - doch Wähler stellen bitteres Zeugnis aus
Nachricht vom 6. November: Berlin - Die Spitzen der Großen Koalition haben am Mittwoch ihre Halbzeitbilanz zu den ersten zwei Jahren Regierungsarbeit gezogen. Dabei gaben sich Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz selbst durchaus gute Noten. Die Koalition soll trotz Spekulationen über ein vorzeitiges Ende fortgeführt werden. Doch wie sehen es die Wähler? Laut einer Umfrage durchaus anders als die Spitzenpolitiker...
Merkel sagte, von 300 geplanten großen Maßnahmen seien zwei Drittel vollendet oder auf den Weg gebracht worden. „Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswillig sind.“ Damit zog die Groko selbst eine positive Zwischenbilanz. Und diese scheinbare Formalie ist durchaus wichtig. Sie war auf Betreiben der SPD als Bedingung für den Fortbestand des Bündnisses in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden.
Doch die Deutschen sehen die Lage offenbar anders. Das geht zumindest aus einer Insa-Umfrage hervor, die die Bild in Auftrag gegeben hat. Ihr zufolge sind nur 19 Prozent der Befragten zufrieden mit der Arbeit der Groko in den vergangenen beiden Jahren. Satte 57 Prozent sind dagegen unzufrieden.
Groko-Halbzeitbilanz: Glauben die Wähler, dass es besser wird?
Dabei hat die Groko noch den größten Rückhalt unter den Unions-Wählern: 51 Prozent sind mit dem Erreichten zufrieden. Bei den SPD-Anhängern sind es 48 Prozent. Am unzufriedensten sind die AfD-Wähler mit der Arbeit der Großen Koalition: Ganze 92 Prozent. Doch auch die Grünen und FDP-Wähler sind mit der Groko mehrheitlich unzufrieden.
Merkel und Scholz wollen die Groko mit der aus ihrer Sicht positiven Zwischenbilanz weiterführen. Doch glauben die Wähler, dass es besser werden wird? Immerhin 60 Prozent der Unions-Wähler sind dieser Überzeugung. Bei der SPD sieht es dagegen viel düsterer aus: Nur 43 Prozent ihrer Wähler sind zuversichtlich und ganze 31 Prozent glauben nicht, dass es in Zukunft besser werden wird. Insgesamt glaubt nur ein Viertel der Befragten, dass es mit der Groko in den nächsten beiden Jahren aufwärts geht.
Groko-Halbzeitbilanz: Spekulationen über Ende der Großen Koalition
Zuletzt gab es unter anderem wegen des Grundrenten-Streits Spekulationen über ein Aus der Koalition noch vor dem Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021. Die CDU fand sich ohnehin in einer bemerkenswerten Krise. Einen kleinen Erfolg feierte das angeschlagene Bündnis am Mittwoch immerhin mit der Einigung auf neue Regeln für Verkehrssünder.
Zur Beruhigung in der großen Koalition dürfte auch beitragen, dass das Jahresgutachten der „Wirtschaftsweisen“ derzeit keine Gefahr einer Wirtschaftskrise sieht. Sie mahnen aber die Bundesregierung, die „Wachstumskräfte“ zu stärken. Das meint: Unternehmen entlasten und mehr in Bildung und Forschung sowie in den Ausbau des schnellen Internets zu investieren - und sich notfalls höher verschulden.
Scholz sagte nun bei der Übergabe des Gutachtens der Regierungsberater im Kanzleramt, die festgeschriebene Bestandsaufnahme zur Halbzeit habe wesentlich zum schnellen Abarbeiten der Vorhaben beigetragen.
Groko-Halbzeitbilanz: Opposition mit vernichtender Kritik
Aus der Opposition kam erwartungsgemäß Kritik. Linkenchef Bernd Riexinger erklärte, es gebe zwar einige Verbesserungen wie den gesetzlichen Mindestlohn. Aber die Koalition sei „weit davon entfernt, die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu bewältigen“. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hielt dem Bündnis vor, es werde nicht mehr durch gemeinsame Projekte zusammengehalten, „sondern aus Machtinteressen ist man verbunden“. Die Grünen hielten sich auffällig zurück - Neuwahlen wollen ohnehin auch sie nicht, wie der Münchner Merkur* analysiert.
Weder Scholz noch Merkel gingen in ihrem Statement auf den Koalitionsstreit um die Grundrente ein. In der Halbzeitbilanz steht die Grundrente unter „Was wir noch vorhaben“. Zum Streit, ob die Bedürftigkeit der Bezieher geprüft werden soll, heißt es nun: „Die Grundrente soll zielgenau sein und denen zugutekommen, die sie brauchen.“
Scholz hob „große Fortschritte“ bei der sozialen Sicherung, der Familienpolitik sowie beim Thema Wohnen und Mieten hervor. Es sei aber „noch was zu tun“. Es gehe darum, den Strukturwandel zu meistern. Der Finanzminister nannte ähnlich wie die Kanzlerin den Ausbau der Elektromobilität und erneuerbarer Energien sowie die Digitalisierung als Zukunftsaufgaben.
Auch in der Einleitung der 84-seitigen Halbzeitbilanz signalisierte die große Koalition, dass sie weitermachen will: „Zusammen mit den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben wir viel erreicht und umgesetzt - aber es bleibt auch noch viel zu tun.“
Die Bestandsaufnahme orientiert sich an den Kapiteln des Koalitionsvertrages und listet alle Vorhaben auf, die bis Anfang November 2019 in Kraft getreten sind oder sich im parlamentarischen Verfahren befinden. Zugleich wird jeweils angegeben, „was wir noch vorhaben“ - in Bildung, Forschung und Digitalisierung etwa, bei der Integration, bei bezahlbarem Wohnen oder zum Zusammenhalt der Gesellschaft.
Dreyer: „Die Bilanz der großen Koalition ist besser als ihr Ruf“
Die SPD will auf einem Parteitag vom 6. bis 8. Dezember ihre Spitze neu wählen und über die Halbzeitbilanz und die Zukunft der Koalition entscheiden. Die SPD-Fraktion ist nach Angaben ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Carsten Schneider überwiegend zufrieden mit der bisherigen Bilanz der Koalitionsarbeit. Geschätzt „90 Prozent sind zufrieden mit dem, was wir bisher gemacht haben“, sagte er. Die SPD habe bisher der Koalition ihren Stempel aufgedrückt.
Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer unterstrich: „Die Bilanz der großen Koalition ist besser als ihr Ruf.“ Sie sei stolz, „dass die Sozialdemokraten für so viele Menschen etwas bewegt haben“. Die Maßnahmen bedeuteten „die größte Nettoverbesserung seit über zehn Jahren“. Zugleich investiere die Bundesregierung Rekordsummen in die Zukunft. Und zudem sei sie zuversichtlich, dass die Koalition am Sonntag bei der für die SPD wichtigen Grundrente zu einer Lösung komme.
Auch die Spitzen der Koalitionsfraktionen zogen eine positive Bilanz. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus machte deutlich, dass er die Koalition trotz vieler Diskussionen für handlungsfähig hält. Und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht den Korb der großen Koalition „gut gefüllt“.
Schneider sagte, es sei bei dieser Zwischenbilanz kein Wunder, dass Gewerkschaften und Sozialverbände der Koalition eher ein gutes Zeugnis ausstellten als Wirtschaftsverbände. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, unterstrich denn auch: „Die Zwischenbilanz der Industrie für die Arbeit der Bundesregierung fällt nicht so erfreulich aus, wie es sich die Koalitionäre selbst bescheinigen. Die Wirtschaft stagniert, und die Bundesregierung bleibt beim Reformtempo hinter den Erwartungen zurück.“
Merkel äußerte sich in einem ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Interview auch auf ungewöhnliche Weise. Ihre Regierung war zuletzt auch von ausländischen Medien harsch kritisiert worden. Zumindest für die CDU essenzielle Fragen sind nach wie vor auch im Nachgang zur Thüringen-Wahl offen.
rjs/dpa