Israelischer Armeesprecher: "Gut, dass wir vorbereitet waren"Zur Person

Zehn Tage nach Beginn des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen auf Israel haben die palästinensische Hamas und Israel eine Waffenruhe vereinbart. Wir sprachen mit Arye Sharuz Shalicar, einem der Sprecher der israelischen Armee, über die neue Lage.
Was hat die Hamas aus Sicht der israelischen Armee zur Einstellung ihrer Angriffe bewegt?
Der Islamische Dschihad und insbesondere die Hamas als treibende Kraft hinter den Angriffen haben präzise, schwere Schläge hinnehmen müssen. Das haben sie so nicht erwartet. Bis zu hundertfünfzig Kilometer ihres Tunnelsystems sind zerstört, Raketenlager und -produktionsstätten getroffen, etwa 200 Kämpfer und Kommandeure, die vor Ort Angriffe geführt haben, sind tot.
Was ist mit der Hamas-Spitze?
Ihre obersten Befehlshaber sind alle noch am Leben. Sie halten sich unter massiven zivilen Einrichtungen versteckt, auch medizinischen, und leiten von dort die Kampfhandlungen. Wir haben sie dort aus Rücksicht auf mögliche zivile Opfer nicht angegriffen.
Wie war es möglich, ein so riesiges Tunnelnetzwerk unter dicht besiedeltem Gebiet zu bekämpfen, ohne dass dabei tausende Zivilisten getötet werden?
Alle Armeen der Welt trainieren heute Techniken der sogenannten asymmetrischen Kriegführung gegen Gegner, die Zivilisten als Schutzschilde missbrauchen. In unserem Fall kommt hinzu, dass die Angriffe auf uns ja unter unseren Augen vorbereitet werden. Seit Israel 2005 den Gazastreifen geräumt hat, war dies der vierte Krieg, wir haben von Operation zu Operation dazugelernt. Wir analysieren die Aktivitäten. Wir kennen die Verdächtigen. Wir haben die Grabearbeiten beobachtet und wissen, in welchen Moscheen, in welchen Wohnhäusern und welchen Schulen Tunnel-Ein- und Ausgänge sind.
Angriffe aus Moscheen, Krankenhäusern, Schulen und Wohnsiedlungen sind Kriegsverbrechen. Was tut die israelische Armee dafür, dass sie sich bei Gegenangriffen nicht schuldig macht?
Wir haben verstanden: Um der Hamas möglichst effektiv begegnen zu können, müssen wir enorm viel Geld, Zeit und Energie in Verteidigungsmaßnahmen investieren. Etwa in ein Alarmsystem, das Angriffsart und -ziele erkennt und exakt vorwarnt. Schutzräume und Bunker mussten angelegt werden. Am wichtigsten ist unser Raketenabwehrsystem Iron Dome (Eiserne Kuppel). Es identifiziert Angriffe und fängt 90 Prozent des als gefährlich erkannten Beschusses ab.
Was ist mit den Raketen, die durchkommen?
Das waren an die hundert Raketen. Es gab auf unserer Seite 13 Tote, hunderte Verletzte und viel Verwüstung. Hätten wir aber nicht in Vorsichtsmaßnahmen investiert, dann hätte es hier schnell hunderte Tote gegeben. Das hätte einen enormen Druck aufgebaut, militärisch so massiv zurückzuschlagen, dass die Angriffe möglichst endeten. Das hätte auf beiden Seiten viel mehr Tote zur Folge gehabt, als jetzt zu beklagen sind. Gut also, dass wir vorbereitet waren.
Die israelisch-arabische Versöhnung der letzten Zeit dürfte den Anspruch der Hamas, als einzige die palästinensische Sache zu vertreten, erschüttert haben. Hat sie aus Ihrer Sicht auch deswegen den Krieg begonnen?
Als oberster Vertreter der Palästinenser wird ja immer der Fatah-Chef und Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, wahrgenommen. Maßgebliche Akteure in der muslimischen und arabischen Welt sehen das immer weniger so. Auch wegen seines schwindenden Ansehens hat Abbas wieder Wahlen abgesagt. Die Hamas hat dies ausgenutzt, um sich vor aller Welt als Stimme der Palästinenser zu profilieren.
Mit Aussicht auf Erfolg?
Eindeutig nein. Das sieht man auch an der arabisch-israelischen Versöhnung der jüngsten Zeit. Auffällig ist doch, dass während dieses Waffengangs keine einzige arabische Regierung Israel einseitig verurteilt hat. Das sagt doch schon alles. Wir wissen, dass die radikal-islamischen Organisationen in und außerhalb des Gazastreifens von den arabischen Regierungen zunehmend als Problem gesehen werden. Das maßvolle Vorgehen der israelischen Armee wird dort genau beobachtet und wertgeschätzt.
Wie schwer wiegen vor diesem Hintergrund aber die Unruhen zwischen arabischen und jüdischen Israelis?
Schwer. Von den neun Millionen Israelis sind ja zwei Millionen arabischer Herkunft. Eine Freundin von mir in der Armee, sie ist Araberin, hat mir gesagt, ihre Familie wird derzeit von arabischen Nachbarn unter Druck gesetzt. Meiner Meinung nach ist aber die Mehrheit unter den arabischen Israelis trotzdem froh und auch stolz, Israelis zu sein und nicht in einem der Nachbarländer leben zu müssen. Sie wissen genau, was sie in Israel an Demokratie, Freiheit und persönlichen Möglichkeiten haben und schätzen das. Auch deswegen wäre es vor diesem Krieg fast erstmals zu der Regierungsbeteiligung einer arabischen Partei gekommen. Was daraus jetzt wird, wird man sehen.
Wie geht es jetzt aus Sicht der israelischen Armee weiter?
Terrororganisationen wie die Hamas werden niemals Partner in einem Frieden sein können oder wollen. Was man allenfalls schaffen kann, ist, sie so schwer zu schwächen, dass sie eine Waffenruhe herbeisehnen. Sodann muss man ihnen kontinuierlich vor Augen führen, dass sie auch beim nächsten Mal nicht durchkommen werden. Optimistisch stimmt uns, dass die Hauptunterstützer radikalislamistischer Terrororganisationen keine Araber sind: die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan und der Iran. Hierzulande gibt es ein geflügeltes Wort: Die Mullahs sind bereit, bis zum letzten Araber zu kämpfen. Von denen finden das aber immer weniger Menschen attraktiv.
Interview: TIBOR PÉZSA
