Ein Jahr nach den Anschlägen von Brüssel: Juristische Aufarbeitung stockt

Ein Jahr nach den Anschlägen in Brüssel stehen die belgischen Behörden vor der Mammutaufgabe, einen der größten Fälle in der Justizgeschichte ihres Landes zu klären. Bis zum Prozess wird es noch ein langer Weg sein.
Die Anschläge von Brüssel, bei denen 32 Menschen durch mehrere Bomben am Flughafen Zaventem und in der Metrostation Maelbeek den Tod fanden und weit über 300 verletzt wurden, liegen genau ein Jahr zurück. Doch die belgischen Behörden stehen mit ihrer Arbeit noch ganz am Anfang. Neun Verdächtige warten auf ihren Prozess – sie alle sind des Mordes im Zusammenhang mit einem terroristischen Attentat, des versuchten Mordes sowie der Beteiligung an den Taten einer terroristischen Gruppe angeklagt – ob als Täter, Mittäter oder Komplize. Doch nur sechs sitzen in Untersuchungshaft, drei musste die Justiz trotz Anklage wieder freilassen. Denn der Prozessbeginn dürfte sich noch um Jahre verzögern. Zu vieles ist noch im Unklaren.
Personal- und Geldmangel
Ein Untersuchungsausschuss des belgischen Parlaments befasst sich unter anderem mit der Frage, wie sich Terrorzellen innerhalb des Landes unbemerkt entwickeln konnten. Hinweise auf die Radikalisierung von Salah Abdeslam, dem einzigen Überlebenden der Pariser Anschläge vom 13. November 2015, und dessen Bruder, der sich dort in einem Musikclub in die Luft gesprengt hatte, lagen den Behörden schon früh vor. Doch ihnen wurde angesichts knappen Personals und geringem Budget keine Priorität beigemessen.
Fakt ist: Salah Abdeslam und die Brüsseler Terroristen standen in Verbindung. Einer der Flughafen-Attentäter, Najim Laachraoui, ein Syrien-Rückkehrer, wurde von Abdeslam über Ungarn nach Belgien geschleust. Eine Wohnung, die Khalid El Bakraoui, der Metro-Attentäter, gemietet hatte, wies Spuren der Pariser Terroristen auf, auch von Abdelhamid Abaaoud, der bei einer Razzia in St. Denis getötet wurde. Anfang 2015 war der mutmaßliche Rädelsführer der Attentate in der französischen Hauptstadt den belgischen Behörden bei einer Razzia in Verviers entwischt, wo eine Terrorzelle ausgehoben und zwei Islamisten getötet worden waren. El Bakraouis Bruder Ibrahim zündete die zweite Flughafenbombe. Der wohl bekannteste Mann hinter Gittern ist Mohamed Abrini, nach dem tagelang als „Mann mit Hut“ gefahndet wurde – er war es, der seine Bombe am Flughafen nicht zündete und stattdessen flüchtete. Abrini kannte Abdeslam schon seit seiner Kindheit. Gemeinsam mit ihm wurde der heute 32-Jährige am 11. November 2015 auf dem Weg nach Paris von einer Sicherheitskamera einer Tankstelle gefilmt.
Komplexe Verflechtungen
Zu den Hauptverdächtigen in Haft gehört auch Ossama Krayem, ebenfalls von Abdeslam rekrutiert. Dieser nahm Krayem und zwei weitere Verdächtige aus Ulm im Auto mit. Wie Abrini wird auch ihm die Mittäterschaft an beiden Attentaten in Paris und Brüssel vorgeworfen. Der 24-Jährige war es, der in einem Brüsseler Einkaufszentrum die Taschen kaufte, in denen die Bomben vom Flughafen später verstaut wurden.
Ebenfalls in U-Haft sitzt ein Mann aus Ruanda, Hervé B. M., der Abrini in seiner Wohnung aufgenommen und auch Krayem geholfen haben soll. Bilal El Makhoukhi wiederum ist ein Kindheitsfreund von Hervé und soll mit dringesteckt haben. Der Syrienrückkehrer war 2015 im Rahmen des Prozesses gegen die belgische Terrorzelle „Sharia4Belgium“ zu fünf Jahren Haft verurteilt, aber vorzeitig mit elektronischer Fußfessel entlassen worden. Ihm wird vorgeworfen, ein Paket im Zusammenhang mit den Anschlägen abgeholt und überbracht zu haben. El Makhoukhi selbst weist jegliche Verwicklung in die Attentate zurück.
Ibrahim und Smail Farisi, zwei Brüder, werden ebenfalls verdächtigt, den Attentäter Khalid El Bakraoui sowie Ossama Krayem Unterschlupf gewährt zu haben. Videoüberwachungen zeigen beide dabei, wie sie mehrere Taschen wegschafften, um Spuren zu beseitigen. Ibrahim Farisi ließen die Behörden im November wieder frei, sein Bruder ist nach wie vor in U-Haft.
Drei Untersuchungsrichter leiten die Ermittlungen, die fast zehn Prozent der belgischen Anti-Terror-Ressourcen einnehmen. Weil sie mit den Pariser Recherchen zusammenhängen, sind sie noch weit davon entfernt, abgeschlossen werden zu können. „Derzeit kann noch kein Datum für einen Prozess festgesetzt werden“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage.