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Doppelmoral beim „Klimanotstand“? Glaubwürdigkeit von EU-Abgeordneten wird hinterfragt

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Von: Marc Dimitriu

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Das Europaparlament in Straßburg hat mit großer Mehrheit den „Klimanotstand“ für Europa ausgerufen. Es gibt allerdings Kritik.

Update 9.30 Uhr: Auch im Netz gibt es Kritik am Klimanotstand-Beschluss des Europaparlaments. Manche Kritiker werfen den EU-Politikern Doppelmoral beim Klimaschutz vor. 

Der Grund: Das Parlament pendelt alle vier Wochen zwischen Brüssel und Straßburg hin und her. 350 Kilometer liegen etwa zwischen den Parlamenten. Die Umwelt wird durch die ständigen Transporte von Abgeordneten, Medienvertretern, Mitarbeitern und Akten jährlich mit rund 20.000 Tonnen CO2 belastet. Daneben kostet den Steuerzahlern der monatliche Umzug auch noch rund 115 Millionen Euro im Jahr. 

„Wer den Klimanotstand ausruft, sollte jetzt auch handeln“, fordern Twitter-User. Die NDR-Satiresendung „extra3“ hält den Beschluss angesichts der Pendelei der Abgeordneten gar für den „Witz des Tages“. Andere Kritiker fordern von den EU-Parlamentariern nun, den Klimaschutz auch deutlich in ihr eigenes Konsum- und Reiseverhalten zu integrieren. Etwa auf Kurzstreckenflüge innerhalb Europas zu verzichten. Dies wäre eine Frage der Glaubwürdigkeit. 

Nach der Abstimmung zum Klimanotstand im EU-Parlament bestieg der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold direkt ein Flugzeug und sieht sich deshalb nun einem Shitstorm ausgesetzt.

Lindner kritisiert Klimanotstand: EU-Parlament „spielt mit Ängsten“

Update vom 29. November 2019, 6.30 Uhr: Die Entscheidung des EU-Parlaments, europaweit den Klimanotstand auszurufen, stößt in Teilen der deutschen Politik auf deutliche Kritik. "Mit diesem Alarmismus ist nichts gewonnen", sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume dem Münchner Merkur* (Freitagsausgabe). "Was es braucht, sind wirksame Beschlüsse, die CO2-Emissionen europaweit zu reduzieren." 

Ähnlich äußerte sich Christian Lindner: „Die Erderwärmung kann man nur mit kühlem Kopf begrenzen. Wer von Klimanotstand oder Klimakrise spricht, der spielt mit Ängsten und provoziert Aktionismus", sagt der FDP-Chef dem Merkur. "Mit Krisenrhetorik wird kein Gramm CO2 gespart, mit neuen Energieträgern wie etwa Wasserstoff hingegen schon." Angesichts eines Notstands würden rechtsstaatliche Verfahren und demokratische Akzeptanz schnell ausgehebelt. "Auch der Klimaschutz steht aber nicht oberhalb der Verfassungsordnung“, sagte Lindner.

Update von 18.30 Uhr: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat die Entscheidung des Europaparlaments zum Ausrufen eines „Klimanotstands“ begrüßt. Sie habe mitten auf dem Ozean von dem Beschluss der Abgeordneten erfahren, schrieb die 16-Jährige am Donnerstag auf Twitter. 

„Wir können eine Krise nicht lösen, ohne sie als solche zu behandeln. Lasst uns hoffen, dass sie jetzt drastische hinreichende Maßnahmen ergreifen.“ Sie rief zugleich dazu auf, sich an den internationalen Klimaprotesten am Freitag zu beteiligen, um so Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben.

Ähnlich äußerte sich Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht der Klimabewegung Fridays for Future. „Einen Klimanotstand auszurufen ist kein Selbstzweck“, twitterte sie. „Es ist eine Ansage. Wir sind gespannt auf die Taten, die diesen Worten folgen. Die Erwartungen sind hoch.“

CDU und CSU vergleichen „Klimanotstand“-Beschluss mit Hitler-Zeit: „Zutiefst erschreckend“

Update von 13.30 Uhr: CDU und CSU haben unter Hinweis auf die deutsche Notstandsverordnung von 1933 die Ausrufung des „Klimanotstands“ in Europa scharf kritisiert. „Wer heute den Klimanotstand ausruft, fordert nichts anderes als Entscheidungen ohne demokratische Legitimation und zielt darauf ab, demokratische Rechte außer Kraft zu setzen“, erklärte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber am Donnerstag. 

Er fügte hinzu: „Entweder diese Menschen wissen nicht, wovon sie sprechen, oder sie empfinden es als legitim, den demokratischen Prozess auszuschalten. Beides ist zutiefst erschreckend, gerade vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte und dem Jahr 1933.“

Im Februar 1933 hatte eine Notverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg Grundrechte eingeschränkt und die Macht des damals neu eingesetzten Reichskanzlers Adolf Hitler gefestigt.

Der CDU-Abgeordnete Peter Liese argumentierte ähnlich. „Gerade in Deutschland wurde unter Benutzung des Begriffs ‚Notstand‘ nach der Amtsübernahme Hitlers die Demokratie abgeschafft und fundamentale Rechte wie die Pressefreiheit eingeschränkt“, warnte Liese. „Der Begriff löst in erster Linie Angst aus und weckt zudem Erwartungen an Sofortmaßnahmen, die Europa nicht liefern kann.“ Er sprach von effektheischender Symbolpolitik.

Erst vor wenigen Tagen gab es die Diskussion um den Comedian Dieter Nuhr. Die Kieler Nachrichten hatten berichtet, das er Greta Thunberg mit Hitler verglichen habe. Nuhr widersprach der Behauptung. Es gab wohl tatsächlich missverständliche Formulierungen in der Rezension der Zeitung, die zu dem Missverständnis geführt hatten.

Europaparlament ruft „Klimanotstand“ für Europa aus - EVP hält Resolution für „unnötig“

Erstmeldung vom 28. November 2019: 

Straßburg - Das Europaparlament in Straßburg hat den „Klimanotstand“ für Europa ausgerufen. Die Abgeordneten stimmten am Donnerstag mit großer Mehrheit für eine entsprechende Resolution. Dies ist ein symbolischer Akt, der aber Druck machen soll, damit es bald konkrete Gesetzgebung gibt.

Klimanotstand: EVP hält Resolution für „unnötig“

Vor der Abstimmung gab es Uneinigkeit im Parlament über die Resolution. Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) hält die Resolution für unnötig. Ein „Notstand“ müsse Konsequenzen nach sich ziehen, die auch demokratische Rechte einschränken könnten, sagte der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, CDU-Politiker Peter Liese zuvor. „Wir brauchen sie nicht. Wir sollten uns auf konkrete Punkte konzentrieren.“ Sollten sich die EU-Abgeordneten auf den Begriff „urgency“ einigen, werde die EVP-Fraktion aber für die Entschließung stimmen, betonte Liese.

Grüne sprechen von „Klimanotfall“

Kritik gegen die Formulierung „Notstand“ gab es auch aus der liberalen Renew-Fraktion, das berichtet focus-online. Den damit verbundenen Alarmismus unterstütze sie nicht, erklärt die deutsche Abgeordnete Ulrike Müller (FW). „Ja, der Klimawandel ist eine große Herausforderung und eine dringende Aufgabe, auf die wir reagieren müssen. Aber wir sollten dies sachlich tun.“ 

Michael Bloss, Sprecher für Klimapolitik der Grünen-Fraktion, betonte die Symbolik der Resolution. „Für uns ist es wichtig, dass wir die Klimakrise als das anerkennen, was sie ist“, sagte er. Die Politik müsse Handlungsfähigkeit beweisen und in der Entschließung konkrete Konsequenzen einfordern. Die Grünen-Fraktion spricht sogar von einem „Klimanotfall“. Viele Städte in Deutschland haben schon einen Klimanotstand ausgerufen. Der Begriff ist aber umstritten. Jetzt äußerte sich Armin Laschet (CDU).

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afp/md

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