Kabinettsklausur in Meseberg: Wo Kanzler Scholz den Fortschritt verstolpert – eine Bilanz

Zank statt Fortschritt: Die Ampel trifft sich zur Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. Doch die Bilanz fällt mager aus. Rauft sich die Koalition zusammen?
Berlin – Doppelwumms, Deutschlandtempo, gar ein neues Wirtschaftswunder: Olaf Scholz (SPD) hat einiges vor als Kanzler. Doch lässt er seinen markigen Ankündigungen auch Taten folgen? In der Wirtschaft scheint man sich da nicht mehr so sicher zu sein. Kurz vor Beginn einer zweitägigen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg warnte der Bundesverband der Arbeitgeberverbände (BDA) vor einem Wohlstandsverlust in Deutschland. Ohne spürbare Entlastungen der Unternehmen drohe die Ampelkoalition den versprochenen Neustart zu verstolpern, sagte BDA-Präsident Rainer Dulger der Nachrichtenagentur dpa. Doch hat er recht? Zeit für eine Bilanz.
Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg: Ampel-Koalition trifft sich zum Krisengipfel im August 2023
Am Dienstag (28. August) versammelt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Ampel-Koalition zu einer zweitägigen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. Es ist Halbzeit in der Legislaturperiode – und die Themenliste, die im Koalitionsvertrag noch abgearbeitet werden muss, ist lang. Neben den konkreten Verhandlungen zur Kindergrundsicherung, dem Mietenpreisdeckel oder zur Einführung eines Industriestrompreises soll von dem Gipfel vor allem ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Denn von der einst als gepriesenen „Fortschrittskoalition“ blieb zuletzt nur ein Bild der inneren Zerrissenheit zurück.
Kindergrundsicherung oder Mietenpreisdeckel: Das Kabinett Scholz glänzt durch Streit
Ob Kindergrundsicherung, Atomausstieg oder Heizungsgesetz – seit Monaten liegen sich SPD, FDP und Grüne bei vielen Themen in den Haaren. In den Umfragen ging es bergab, alle Ampel-Parteien liegen in der Gunst der Deutschen nur noch hinter der CDU und sogar der AfD. Zur Halbzeit der Wahlperiode sind fast drei Viertel der Deutschen unzufrieden mit der Arbeit der Regierung – so das Ergebnis einer am Wochenende veröffentlichten YouGov-Umfrage. Im ZDF-Politbarometer fiel die Zustimmung für den Kanzler unter allen Befragten zuletzt auf einen Tiefstwert. Weniger als die Hälfte, nämlich 43 Prozent, der Wählerinnen und Wähler trauen ihm noch zu, die großen Probleme zu lösen.
Regierungsbilanz: Welche Themen muss Scholz in Meseberg noch abarbeiten – die Übersicht
Vor diesem Hintergrund rief Scholz seine Koalitionäre am Wochenende zu mehr Geschlossenheit auf. Auf die Frage, ob die gegenseitigen Blockaden weitergehen würden, teilte er der Mediengruppe Bayern mit: „Davor kann ich nur warnen.“ Zudem sagte er: „Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, die Erfolge der Regierungstätigkeit herauszustellen und die nötigen Diskussionen über unsere Vorhaben intern führen.“ Doch was sind die Erfolge? Wie ist es um die großen Versprechen bestellt? Der Tagesspiegel hat dazu eine kleine Übersicht zusammengetragen. Hier die Liste im Überblick:
- Wirtschaftswunder: Das versprach Olaf Scholz erst im März dieses Jahres. Angesichts der hohen Investitionen in den Klimaschutz rechnet er mit Wachstumsraten wie einst in den 1950er Jahren. Doch die Realität sieht aktuell anders aus. Derzeit schrumpft das Bruttoinlandsprodukt und der Internationale Währungsfonds (IWF) bescheinigt Deutschland den letzten Platz im Ranking der großen Industrienationen.
- 400.000 neue Wohnungen: Das Ankurbeln des Wohnungsbaus war ein zentrales Regierungsversprechen von Scholz im Wahlkampf, um in den Ballungsräumen den Druck auf die Mieten zu nehmen. Doch teure Baumaterialien, Lieferengpässe und hohe Baukredite machen das Erreichen des Ziels fast unmöglich. 2022 wurden nur 295.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut. Ob die ausgegebene Marke 2024 oder 2025 erreicht werden kann, gilt ebenfalls angesichts der allgemeinen Entwicklungen als zunehmend unrealistisch – das räumte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) vor Kurzem selber ein.
- Ausbau der Windkraft: Weniger Bürokratie, Beschleunigung bei der Planung – beim Ausbau der Erneuerbaren spricht Scholz gerne vom Deutschlandtempo. Sein Ziel: Vier bis fünf neue Windräder – pro Tag. Das wäre pro Jahr ungefähr 1300 neue Anlagen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden aber nur 331 an Land und drei auf See errichtet. Hier ist also noch viel Luft nach oben.
- 15 Millionen E-Autos: Dieses Ziel hat die Koalition bis zum Jahr 2030 ausgegeben. Doch auch in diesem Bereich müsste die Steigerungsrate enorm anziehen. Aktuell sind auf deutschen Straßen 1,2 Millionen elektrische Pkw unterwegs, was einem Anteil an allen Fahrzeugen von 2,4 Prozent entspricht. Laut der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach sollte die Bundesregierung eher von einem Wachstumsziel von sieben bis acht Millionen E-Autos rechnen.
- Klimageld: Laut Koalitionsvertrag will die Ampel-Koalition einen Ausgleich für die Verteuerung von Energie über den CO₂-Preis erreichen. Bis 2030 steigt dieser bis 2025 von aktuell 30 auf 50 Euro je Tonne. Doch obwohl das Vorhaben fest verankert ist, hat die Koalition bislang keine gemeinsame Linie darüber gefunden, wie, wann und wie hoch die Kompensation sein soll.
- Industriestrompreis: Im Juni 2021 hatte Scholz im heraufziehenden Wahlkampf einen Industriestrompreis von vier Cent in Aussicht gestellt. Doch durch die Ukraine- und Energiekrise und nach der Abschaltung der Atomkraftwerke liegt er weit über dieser Grenze. Nun warnt Scholz vor einem Absenken durch eine Dauersubvention. Innerhalb seiner Partei macht er sich dadurch nicht nur Freunde.
- Zeitenwende: Nach dem Überfall von Russland auf die Ukraine versprach Olaf Scholz die massive Verstärkung der Landesverteidigung. Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollten künftig in die Verteidigung fließen. Die Nato hatte dies schon lange gefordert. Doch nach der Ankündigung erfolgte ein Stopp durch den grünen Koalitionspartner. Der Kompromiss: Das Zwei-Prozent-Ziel muss nur im Durchschnitt von fünf Jahren erreicht werden.
Christian Lindner gesteht vor Kabinettsklausur: Regieren mit drei Parteien ist schwierig
Die Aufgabenliste der Ampel-Koalition bleibt also lang. Trotz des Kanzler-Appells zu mehr Geschlossenheit dürfte es auch nach der Kabinettsklausur zwischen den Partnern weiter knirschen. Bereits vor der Sommerpause hatten sich die Koalitionäre vorgenommen, in Zukunft geräuschloser zusammenzuarbeiten. Doch daraus wurde nichts. Kaum waren die Ferien vorbei, gerieten Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im Streit um Kindergrundsicherung und Wachstumsbeschleunigungsgesetz aneinander. „So geht das einfach nicht“, schimpfte schließlich SPD-Chef Lars Klingbeil.
Doch von einem Fehlstart will Lindner trotzdem nicht sprechen. „Die Koalition ist schwierig“, gab er im ZDF-Sommerinterview zu. Doch das könne ja niemanden wirklich überraschen. „Die drei Parteien haben völlig unterschiedliche Programme“, fügte er hinzu. Ob sich trotzdem auf Schloss Meseberg eine gemeinsame Linie finden lässt, muss sich jetzt zeigen. (jkf)