NDR-Affäre: Mitarbeitende überlegten, aus Protest nicht auf Sendung zu gehen

Der NDR hat Politikchefin Julia Stein und Chefredakteur Norbert Lorentzen von ihren Aufgaben entbunden. Es gelte jedoch die Unschuldsvermutung.
Kiel – Der NDR hat Politikchefin Julia Stein und Chefredakteur Norbert Lorentzen von ihren Aufgaben entbunden. Zuvor hatten Stein und Lorentzen den Sender darum gebeten, bis zur Klärung der Vorwürfe freigestellt zu sein, berichtet Übermedien. „Norbert Lorentzen und Julia Stein haben mich am heutigen Nachmittag gebeten, sie bis auf Weiteres von ihren bisherigen Aufgaben im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein zu entbinden“, sagte Landesfunkhauschef Volker Thormählen.
„Ich habe ihrem Wunsch entsprochen und mich bei ihnen für diesen Schritt bedankt. Ich möchte der guten Ordnung halber daran erinnern, dass die Unschuldsvermutung gilt“, so Thormählen. Der Business Insider schreibt, dass Vize-Direktorin und Chefredaktionsmitglied Bettina Freitag und Redakteur Andreas Schmidt aus dem Bereich „Politik und Recherche“ vorübergehend deren Aufgaben übernehmen.
NDR-Affäre: Gibt es „politische Filter“?
Laut Recherchen des Business Insider und stern gebe es „politische Filter“ beim Sender in Kiel – Führungskräfte träten wie „Pressesprecher der Ministerien“ auf. Kritische Themen würden heruntergespielt. Ein Interview mit einem zurückgetretenen CDU-Innenminister sei verhindert worden. Außerdem habe der NDR nicht über eine Alkoholfahrt mit Unfallfolgen des einstigen CDU-Abgeordneten Hans-Jörn Arp berichtet.
Arp galt als enger Vertrauter von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Generell sei ständig nur die Regierung befragt worden sein. „Keine Stimme von der Opposition, keine kritische Stimme von Verbänden“, sagt ein Redaktionsmitglied, das anonym bleiben möchte.
NDR: „So ist kritischer Journalismus nicht möglich“
„Man hat den Eindruck, Inhalte werden gefiltert, die Redaktionsspitze ist nicht mehr objektiv.“ Das sei eine Art von vorauseilendem Gehorsam. „Redaktions- und Funkhausspitze wollen ihre gut dotierten Verträge behalten oder weiter vorankommen. Und deswegen wollen sie niemandem auf die Füße treten. Aber so ist kritischer Journalismus nicht möglich.“ Der NDR widerspricht den Vorwürfen.
Mittlerweile haben 72 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des NDR einen Brandbrief an den Sender verfasst. Sie fordern „eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe“. „Wir haben ernsthaft überlegt und diskutiert, ob wir heute überhaupt senden“, erklärte Nachrichtensprecherin Marie-Luise Bram. Man habe von den neuen Vorwürfen lediglich über die Presse erfahren. Letztlich habe sich das Team allerdings dafür entschieden, zu senden. (mse)