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No-go-Areas und Parallelgesellschaften

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Im Sommer 2014 versuchte eine selbsternannte Scharia-Polizei Wuppertal unsicher zu machen. Hier eine Warnung vor ihr im Internet.
Im Sommer 2014 versuchte eine selbsternannte Scharia-Polizei Wuppertal unsicher zu machen. Hier eine Warnung vor ihr im Internet. © Oliver Berg (dpa)

Der Besuch der Kanzlerin in Duisburg-Marxloh hat den Blick auf problematische Viertel in einigen NRW-Städten gelenkt.

Von JOHANNES NITSCHMANN

Nach etlichen Gewaltexzessen bei Zusammenrottungen libanesischer Clans trifft der Leiter der Gelsenkirchener Polizeiwache Süd, Ralf Feldmann, am 28. Juli dieses Jahres mit drei führenden Funktionären der „Familien-Union“ zusammen. Der dubiose Verein hat sich angeblich das Ziel gesetzt, „den sozialen Frieden zwischen Deutschen und Libanesen zu pflegen“. Doch bei dem anderthalbstündigen Geheimtreffen in der Gelsenkirchener Polizeiwache Süd ist vor allem von Krieg die Rede. Die Polizei werde „einen Krieg mit den Libanesen nicht gewinnen, weil wir zu viele sind“, eröffnen die beiden Libanesen S. und F. dem verdutzten Gelsenkirchener Polizeichef. „Das würde auch für Gelsenkirchen gelten, wenn wir wollen.“

Dies sei „nicht einfach lapidar daher gesagt worden“, heißt es in einem unserer Zeitung vorliegenden vertraulichen polizeilichen Lagebericht, „sondern war aufgrund von Körpersprache, Gestik und Mimik augenscheinlich als Drohung gemeint“. Als Wachleiter Feldmann auf den in seinen Augen „ernstgemeinten Warnhinweis“ entgegnet, dann werde die Polizei künftig in Gelsenkirchen mit mehr Kräften aufwarten, um die wie auch immer gearteten Geschäfte der Libanesen zu stören, erklärt F., der dritte Vorsitzende und Pressesprecher der „Familien-Union“, ungerührt, das Land habe „eh kein Geld“, so viele Polizisten einzusetzen, um die Konfrontation mit den Libanesen zu suchen. Über die Kräfteverhältnisse sollten sich die Ordnungshüter keine Illusionen machen. „Die Polizei würde unterliegen.“

Polizei-Alltag im Ruhrgebiet. Seit Monaten ist in Nordrhein-Westfalen von „No-go-Areas“ die Rede, also von kriminellen Brennpunkten und Straßenzügen, in die sich die Polizei angeblich gar nicht mehr hineintraue. Die „Familien-Union“ steht bei der Polizei in Verdacht, „das Exekutivorgan einer bestehenden Parallel- und Selbstjustiz“ kurdisch-libanesischer Großfamilien im westlichen Ruhrgebiet zu sein. Polizei und Gerichte würden verachtet. Diese Clans regelten „ihre Angelegenheit selbst“, heißt es in dem Lagebericht der Gelsenkirchener Polizei.

Ein prominenter Sportfunktionär aus dem Revier vertraute Journalisten kürzlich an, dass in der Dortmunder Nordstadt einzelne Straßen längst fest in der Hand rumänischer und bulgarischer Clans seien und von denen konsequent die Zu- und Abfahrten kontrolliert würden. „Da traut sich schon kein normaler Mensch mehr rein.“

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen, Arnold Plickert, hatte bereits im Sommer dieses Jahres vor zunehmenden „No-go-Areas“ im Ruhrgebiet gewarnt. Ganze Viertel im Revier drohten abzurutschen. Die Politik dürfe diese Probleme nicht weiter verdrängen. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte Plickert daraufhin energisch widersprochen. Sobald sich ein krimineller Brennpunkt abzeichne, reagiere die Polizei darauf mit personellen Verstärkungen.

Einige dieser Brennpunkte gibt es in Jägers Heimatstadt Duisburg. In den Stadtteilen Marxloh und Laar operieren seit einiger Zeit zivile Polizeikräfte zur Bekämpfung bestimmter Kriminalitäts- und Deliktsbereiche, sogenannte Einsatztrupps (ET). Ihr vorrangiges Ziel: „Sehr zügig große Teile der Street Corner Society aus der Anonymität zu holen.“ Bei den Clans sind die Beamten durchaus gefürchtet. Im Gegensatz zu den Beamten der örtlichen Wachstreifen gelten sie als „die Strengen“ und „die Unentspannten“.

In einem 17-seitigen Lagebericht für den Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags beschreibt der ET Nord beim Polizeipräsidium Duisburg, wie vor allem libanesische Großfamilien bestimmte Straßenzüge untereinander aufteilen, um ihren kriminellen Geschäften, wie Raubzüge, Rauschgifthandel oder Schutzgelderpressung, möglichst ungestört nachgehen zu können. Die Autorität der Polizei werde von diesen Gruppen nicht anerkannt. Ihre männlichen Mitglieder seien 15 bis 25 Jahre alt und „zu beinahe hundert Prozent“ polizeilich in Erscheinung getreten. Körperverletzung, Diebstahl und Raub seien die vorherrschenden Delikte.

Ungeschminkte Beschreibung

Ungeschminkt beschreibt die zivile Eingreiftruppe die Lage im Duisburger Stadtteil Laar, wo offenkundig zwei libanesische Großfamilien das Sagen haben. „Die Straße wird faktisch als eigenes Hoheitsgebiet angesehen. Außenstehende werden zusammengeschlagen, ausgeraubt und drangsaliert. Straftaten gehören zur Freizeitbeschäftigung.“ Auch in Duisburg-Marxloh agieren laut Lagebericht zwei Clans, offenbar mit Kontakten zu der gewalttätigen Rockerszene der „Hells Angels“. Die Erfahrung zeige, dass insbesondere die libanesischen Großfamilien „durch einen Telefonanruf, kurzfristig mehrere hundert Personen mobilisieren“ könnten.

„Wenn das keine No-go-Area ist, dann weiß ich nicht, was eine ist“, sagt der Innenexperte und stellvertretende Fraktionschef der CDU-Landtagsopposition, Peter Biesenbach. Die No-go-Areas müssten endlich „ausgetrocknet“ werden. Die Polizei müsse den libanesischen Familienclans „auf den Füßen stehen“. Zudem verlangt die CDU-Opposition ein landesweites Lagebild über kriminelle Familienclans zu führen.

Verwandtschaftliche Beziehungen würden nur erhoben, wenn dies für die Arbeit der Ermittler notwendig sei, betont Jäger. „Darüber hinaus gehende Datenerhebungen sind rechtlich nicht zulässig.“ Intern wie extern müsse jede Einstufung vermieden werden, die zur Abwertung von Menschen missbraucht werden könne. „Insofern verbietet sich aus polizeilicher Sicht auch die Verwendung des Begriffs Familienclan“, sagt Jäger.

In den Duisburger Brennpunkten ist es der Polizei immerhin gelungen, die relevanten Daten von 167 Personen zu registrieren und damit große Teile der Familienverbünde aus der Anonymität zu holen. Polizeiinspekteur Bernd Heinen kündigt an, dass der Polizeieinsatz in Duisburg-Marxloh und anderen kriminellen Brennpunkten in Nordrhein-Westfalen weiter intensiviert werde. Wirkliche No-go-Areas seien im Ruhrgebiet bisher nicht festzustellen.

„Es wird nicht weggeschaut“

In Gelsenkirchen hat die Polizei beobachtet, dass Clans mit kurdisch-libanesischer Abstammung im Alter von 15 bis 30 Jahren, aber neuerdings auch Rumänen in den Stadtteilen Bismarck, Ückendorf, Rotthausen und rund um den Hauptbahnhof „einzelne Straßenabschnitte für sich reklamieren“. Dabei handele es sich um Stadtteile mit einem sehr hohen Ausländer- und Migrantenanteil. Aufgrund der exorbitanten Jugendarbeitslosigkeit herrschten dort Perspektivlosigkeit und Tristesse. Die deutsche Bevölkerung hat offenkundig längst die Flucht ergriffen. Es gibt viele leerstehende Wohnungen und Mehrfamilienhäuser in diesen Problemvierteln. Dennoch glaubt die Polizei die Lage im Griff zu haben. „Es gibt keine No-go-Areas oder rechtsfreien Räume im Stadtgebiet“, heißt es in dem achtseitigen Lagebericht der Gelsenkirchener Polizei. Hier herrsche immer noch „eine Kultur des Handelns und nicht des Wegschauens“.

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