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„Populismus ist nicht verwerflich“

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Vor dem AfD-Parteitag am Wochenende sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland, warum er die christlichen Kirchen für schwach hält, die Verdunkelung des Erfurter Doms bei Demonstrationen seiner Partei für kindisch – und warum es nicht verunglimpfend ist, wenn er findet, dass die Deutschen sich „mit Auschwitz herumschlagen“ müssen. Die Fragen stellte Cornelie Barthelme.

Herr Gauland, haben Sie am vergangenen Sonntag, nach der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl in Österreich, einen guten Rotwein geöffnet? Der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ liegt ja deutlich vorn.

ALEXANDER GAULAND: Nein, das nicht. Ich bin kein Freund von vorzeitigen Gratulationen. Aber es ist ein erstaunlicher Erfolg, der zeigt, dass in Österreich eine Zeitenwende angesagt ist. Die FPÖ ist eine uns verbundene Kraft, da kann man nur alles Gute wünschen.

Erwarten Sie eine solche Zeitenwende auch für Deutschland – oder ist sie, angesichts der AfD-Ergebnisse in den Ländern, schon da?

GAULAND: Kurzfristig wählen uns alle, die diese gemeinsame Willkommenspolitik für Flüchtlinge der anderen Parteien nicht wollen. Längerfristig werden die vielen bei uns bleiben, die sich von den Eliten nicht mehr beachtet fühlen – und mitgenommen schon gar nicht – und denen mal deutlich die Meinung sagen wollen. Die CDU hatte ja die Parole ausgegeben, um die Rechten muss man sich nicht kümmern, die haben ja keine Alternative. Aber jetzt haben diese Wähler eine Wahl: Das sind wir.

Dass 75 Prozent der AfD-Wähler als Motivation Protest nennen – sich also gegen andere Parteien entschieden haben und nicht wirklich für Ihre – stört Sie nicht?

GAULAND: Das besorgt mich gar nicht. Wahlen funktionieren immer so. Für uns kommt es jetzt darauf an, die meisten dieser Stimmen zu halten.

Wie wollen Sie die Protestkarawane, die ja – wie die Linke gerade erfährt – immer weiter zieht, denn halten?

GAULAND: Politik ist immer ein Kampf um Menschen. Ich weiß nicht, ob sich diese Es-reicht-uns-Stimmung halten wird. Aber darüber denke ich auch nicht nach.

Wähler hält man eventuell auch mit Inhalten; die AfD jedenfalls versucht an diesem Wochenende, sich ein Programm zu geben. Was über den Islam im Entwurf steht, ist auf heftigen Protest gestoßen.

GAULAND: Dass wir dafür keine Blumen vom Bundespräsidenten bekommen, war klar. Das ist wieder ein Thema, das die anderen liegen lassen, weil sie es für zu gefährlich halten – und insofern ist deren Sturm der Entrüstung auch ein Sturm über die eigene Dummheit.

„Passt nicht zum Grundgesetz“ zu sagen ist einfach, auch Minarette und den Ruf des Muezzins zu verteufeln. Aber wie wollen Sie so das Grundrecht auf Religionsfreiheit wahren?

GAULAND: Minarette und der Ruf des Muezzins sind nicht notwendig für das muslimische Glaubensbekenntnis.

Ich habe in etlichen Gegenden Deutschlands gelebt – und den Muezzin noch nie rufen hören...

GAULAND: Ich auch nicht, Gott sei Dank. Der Ruf des Muezzins ist ein Symbol für eine Veränderung der Gesellschaft, die die Menschen nicht wollen. Sie wollen Kirchenglocken hören.

Aber die Kirchen sind eher leer – und dafür sind nicht die Moslems verantwortlich, sondern die Christen, die nicht hingehen.

GAULAND: Sie haben recht. Aber das kann die Politik nicht ändern. Da sind die Amtskirchen zuständig, die eine sehr schwache Figur abgeben.

Dann müssten Sie den Erfurter Bischof Neymeyr schätzen, der ja ein starkes Signal setzt, indem er den Domplatz während der Kundgebungen Ihres Parteifreundes Björn Höcke demonstrativ in Dunkelheit hüllt.

GAULAND: Ich habe das selbst erlebt – und finde es einfach lächerlich. Das hat etwas Kindisches. Ich glaube nicht, dass deswegen mehr Menschen in die Kirche kommen – oder weniger die AfD wählen.

Wie sieht denn Ihr idealer Wähler aus? Ihr Programm-Entwurf macht Leser da eher ratlos.

GAULAND: Das Gefühl, dass die Menschen am unteren Ende der sozialen Skala einen fairen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand haben müssen – das bewegt uns.

Aber Sie dachten daran, die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung für Arbeitnehmer zu privatisieren.

GAULAND: Diese Idee hat es ja dann nicht in den Programmentwurf geschafft – aber der Mindestlohn ist wieder drin.

Im Entwurf der Parteispitze ist auch der Austritt aus der Nato nicht vorgesehen, den viele AfD-Mitglieder fordern.

GAULAND: Ich nicht. Aber eine größere Unabhängigkeit, sich nicht nur im Windschatten der USA bewegen, strebe ich an. Langfristig muss man die Nato ersetzen durch eine gemeinsame Friedensordnung mit den Russen. Zum deutschen Interesse hat immer ein gutes Verhältnis zu Russland gehört.

Sie schätzen pointierte Formulierungen, die sich leicht einprägen: die Flüchtlingskrise als Glücksfall, sich „mit Auschwitz herumschlagen“ . . . Verstehen Sie, dass Menschen, die so konservativ und bürgerlich denken wie Sie, das mindestens unappetitlich finden?

GAULAND: Das kann ich gar nicht nachvollziehen. Das Herumschlagen mit Auschwitz etwa habe ich gar nicht salopp gemeint. Ich bin gerade das erste Mal in Auschwitz gewesen. Es geht mir darum, dass wir Auschwitz ununterbrochen im Kopf haben müssen bei Entscheidungen, die wir treffen. Das müssen die Engländer, die Franzosen, selbst die Österreicher nicht.

Meinen Sie das bedauernd?

GAULAND: Nein. Es ist eine Beschreibung von etwas, dem ich, dem wir alle nicht entfliehen können.

Niemand will mit der AfD regieren. Grämt Sie das?

GAULAND: Nein. Wir erreichen mehr in der Opposition. Es gibt genügend Beispiele von kleinen Parteien, die in der Umarmung einer großen untergegangen sind.

Die Parteivorsitzende Frauke Petry würde aber schon gerne bald auf eine Regierungsbank wechseln.

GAULAND: Nein, sie denkt genauso wie ich. Vielleicht in der zeitlichen Abfolge etwas weniger gelassen. Ich sehe es in den nächsten fünf, sechs Jahren nicht.

Was schätzen Sie eigentlich so am Populismus?

GAULAND: Dasselbe, was Luther daran geschätzt hat: Dem Volk aufs Maul schauen. Für mich ist Populismus nichts Verwerfliches.

Und wo liegt dann die Grenze zum Extremismus, zum Rechtsextremismus?

GAULAND: Wer Adolf Hitler für einen großen Staatsmann hält, ist für uns indiskutabel; also keine Nähe zur NPD. Wir wollen auch nicht das Grundgesetz abschaffen. Die rote Linie ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

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