Landwirtschaftsminister Özdemir zum Ukraine-Krieg: „Putin benutzt den Hunger als Waffe“

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir spricht über Grabenkämpfe mit beharrlichen Kräften, seine Ziele für eine Politik der Vernunft und warnt vor Schwarz-Weiß-Denken in der Diskussion um neue Gentechnik.
Herr Özdemir, die Landwirtschaft ist schon jetzt unmittelbar vom Klimawandel betroffen und muss sich in den kommenden Jahrzehnten vor Wetterextremen schützen. Tun Sie als Bundeslandwirtschaftsminister genug, damit das sowohl kurz- als auch langfristig gelingt?
Cem Özdemir: Wenige Wirtschaftsbereiche spüren die Klimakrise und ihre Folgen so unmittelbar wie die Landwirtschaft. Während gerade einige – sei es im Netz, im Fernsehen, aber auch in der Politik – gegen jede Evidenz so tun, als wären die klimatischen Bedingungen total normal, weil es ja früher auch schon mal heiß gewesen sei, muss man die Landwirtinnen und Landwirte nicht davon überzeugen, dass die Klimakrise massive Auswirkungen auf unser Leben hat und auch das Wirtschaften verändert. In manchen Regionen regnet es kaum noch, Wasser ist ein knappes und kostbares Gut – da verdorrt das Getreide am Halm. Und anderswo schwemmen Starkregenfälle ganze Ernten weg. Da geht es ganz konkret um die Ernten von heute, morgen und um die in 20, 30 und 50 Jahren.
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Dennoch gibt es jetzt einige Stimmen, die meinen, dass es angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges weniger Einschränkungen bräuchte und man nicht starr an Klimaschutzzielen festhalten dürfte.
Wer jetzt im politischen Raum davon spricht, dass es den Green Deal nicht mehr bräuchte, wer hinter die gemeinsam ausgehandelten Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft zurückfallen und am liebsten alte Gräben zwischen Naturschutz und Landwirtschaft aufbrechen möchte, dem sage ich, das wird nicht gelingen. Ich fühle mich einer Politik verpflichtet, die mühsam ausgehandelte und gemeinsam erreichte Kompromisse umsetzen will, statt wieder in Extreme zurückzufallen. Wir müssen die Klimakrise bekämpfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Landwirtschaft sich krisenfest aufstellt und auch anpassen kann.
Was meinen Sie mit dem Anpassen?
Eine Politik der Vernunft schützt nicht nur, sondern sorgt vor, etwa indem wir klimaangepasste Sorten nutzen oder Anbautechniken anwenden, die die Resilienz stärken. In Brandenburg kommen etwa Kichererbsen mit der Trockenheit gut zurecht, und solche Ansätze unterstützen wir mit unserer Eiweißpflanzenstrategie. Schließlich heben wir auch die Potentiale der Landwirtschaft als Klimaschützer. Nehmen Sie den Humusaufbau. Jedes Prozent mehr Humus bedeutet auch mehr Kohlenstoffspeicher im Boden. Hier investieren wir viele Millionen in konkrete Projekte und die praxisrelevante Forschung.
„Wir nutzen zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren“
Ist damit beim Klimaschutz in der Landwirtschaft das Ende der Fahnenstange erreicht?
Die Landwirtschaft hat ihre Sektorziele aktuell erreicht und das ist eine große Leistung. Gerade die Bäuerinnen und Bauern haben ein Interesse daran und ein Recht darauf, dass auch andere Bereiche beim Klimaschutz liefern. Mir geht es darum, dass wir dazu beitragen, die Landwirtschaft auch langfristig krisenfest zu machen. Ein großer Hebel liegt in der Tierhaltung, die fast 70 Prozent der Emissionen im Agrarsektor ausmacht. Ich will ganz klar sagen: Wenn Landwirtschaft nachhaltig sein soll, brauchen wir Tierhaltung in Deutschland. Deshalb müssen wir sie zukunftsfest aufstellen. Das ist auch eine Ressourcen- und Verteilungsfrage, mehr als die Hälfte des Getreides landet nicht bei uns auf dem Teller, sondern im Trog. Wir nutzen also zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren. Gleichzeitig geht der Fleischkonsum in Deutschland zurück. Da docke ich an mit meinem Prinzip „weniger Tiere besser halten“. Dafür ist mein verpflichtendes, staatliches Tierhaltungskennzeichen, das gerade final beschlossen wurde, ein zentraler Baustein. Und wir werden die Landwirte fördern, die ihren Tieren eben mehr Platz geben.
Sind Sie mit Blick auf die laufende hiesige Ernte froh darüber, dass Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland in diesem Jahr noch nicht dazu gezwungen worden sind, Flächen brach liegen zu lassen und weniger Weizen anzubauen?
Ich nehme bei der Ernte verhaltenen Optimismus wahr. Aber in die Glaskugel zu schauen, das gehört auf den Jahrmarkt und nicht in ein Ministerium. Wie gut unsere Kornspeicher am Ende des Sommers gefüllt sein werden, das hängt letztendlich stark vom Wetter ab. Und das Wetter fährt wegen der Klimakrise immer öfter Achterbahn. Wir müssen deshalb alles dransetzen, dass die Landwirtschaft sich klima- und krisenfest aufstellen kann. Wie schon angesprochen war das eigentlich Konsens in Deutschland und in der EU – und da wundert es mich schon, was da gerade seitens der Union in Brüssel passiert. Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriert, ist wahrlich kein Freund der Bauern.
„All das Leid ist Putin bekanntlich vollkommen egal“
Der russische Präsident Wladimir Putin hat kürzlich das Getreideabkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über die Schwarzmeerhäfen gestoppt. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, fordert vor diesem Hintergrund einen „Krisenstab für Ernährungssicherheit.“ Sind Sie ebenfalls alarmiert?
Ich war letzte Woche in Rom beim UN-Sondergipfel zum Thema Ernährungssysteme und diskutierte dort über die Folgen des russischen Angriffskrieges für die globale Ernährungssicherheit. Putin benutzt den Hunger als Waffe. Das beobachten wir seit Beginn des Krieges. Die Folgen für die Menschen und all das Leid sind ihm dabei bekanntlich vollkommen egal. Russlands einseitiges Aufkünden des Getreideabkommens heizt bestehende Hungersnöte auf der Welt an. Ukrainisches Getreide gelangt nun nicht mehr dorthin, wo Menschen ums Überleben kämpfen, etwa in Afrika. Das World Food Programme hatte beispielsweise mit Unterstützung der Bundesregierung ukrainisches Getreide nach Äthiopien gebracht. Das wird es nun erstmal nicht mehr geben. Andererseits hat Getreide aus der Ukraine mitgeholfen, dass sich die Weltmarktpreise etwa für Weizen normalisieren, und sich die Ärmsten dieser Welt Brot leisten können.
Was tut die Bundesregierung?
Es zahlt sich deshalb aus, dass die EU schon früh aktiv wurde, damit ukrainisches Getreide über Schienen und Straßen zu anderen europäischen Seehäfen kommt. Gerade, weil auf Putin kein Verlass ist, müssen dauerhafte Alternativrouten etabliert werden. Da braucht es weitere Anstrengungen auch seitens der EU und ich würde mich natürlich freuen, wenn auch die CDU ihre guten Drähte nach Brüssel nutzen würde, um da in diesem Sinne zu unterstützen.
„Europäische Ziele für die Pestizidreduktion liegen im Interesse der deutschen Landwirtschaft“
Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, wie sie die EU-Kommission plant, würde Ihrem gesteckten Ziel, den Ökolandbau in Deutschland auszubauen, Rückenwind verleihen. Welche Position zur „Sustainable Use Regulation“ (SUR) vertreten Sie vor diesem Hintergrund im Rat der EU-Mitgliedstaaten?
Ich unterstütze die Einsparziele und eine gemeinsame Regelung, aber sage auch: Es muss auch machbar sein und darf diejenigen, die schon vorangegangen sind, nicht nachträglich bestrafen. Es nützt nichts, wenn wir in Europa virtuelle Einsparziele haben, an die sich keiner hält. Es ist auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft, dass wir europäische Ziele für die Reduktion von Pestiziden definieren. Denn das schafft ein level playing field in Europa. Gerade weil wir uns in vielen Fragen in Deutschland schon früh auf den Weg gemacht haben, ist es für uns von Vorteil, wenn die Reduktionsziele auch für andere gelten. Also: Unterstützung zum Ziel der SUR. Aber die Regelung braucht dringend Anpassungen, die auf unsere spezifischen Voraussetzungen in Deutschland eingehen. Das ist die Frage des Referenzjahres für die Reduktionsziele. Das ist auch eine Frage des bürokratischen Umfangs und natürlich geht es auch um die Definition von sensiblen Gebieten. Sonderkulturen müssen weiterhin möglich sein. Es kann ja niemand ernsthaft ein Interesse daran haben, wenn bei uns der Wein- und Obstanbau zurückgeht. Ich halte es aber für einigungsfähig -guten Willen aller Beteiligten in der EU vorausgesetzt.
„Mir ist Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, wichtig“
Darüber hinaus verspricht sich ein Teil der Agrarbranche über die Lockerung des EU-Gentechnikrechts, den Einsatz von Pestiziden reduzieren zu können. Die Biobranche fürchtet hingegen um ihr Versprechen der Gentechnikfreiheit. Könnte dies das Öko-Ausbauziel in Deutschland gefährden?
Auch viele konventionelle Betriebe werben mit der Gentechnikfreiheit. Das ist ein milliardenschwerer und funktionierender Markt, das bestreiten ja weder Gegner noch Befürworter. Ich rate auch bei diesem Thema, nicht auf diejenigen zu hören, die auch hier am liebsten in alte Schwarz-Weiß-Debatten zurückfallen wollen, weil das die Welt so schön einfach macht. Auf der einen Seite diejenigen, die pauschal alles verteufeln, auf der anderen Seite die anderen, die darin die großen Heilsversprechen sehen. Daher freue ich mich, dass es viele gibt, die sehr pragmatisch diskutieren. Mein Haus ist innerhalb der Bundesregierung federführend und für uns sind bei einer gemeinsamen Positionsfindung zwei Aspekte bei der Neuregelung zentral: Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, sowie Patentfreiheit. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf durch neue Regeln nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden. Kurz: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten.
„Es ist nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist“
Noch ein anderes Thema zum Schluss: Nach einer Untersuchung vom Max Rubner-Institut (MRI) sind besonders zuckerhaltige Kindergetränke sogar noch zuckriger geworden. Wollen Sie da regulativ eingreifen, analog zu den Plänen für ein Verbot von gesundheitsschädlicher Kinderwerbung?
Es ist völlig absurd, dass gerade in einigen an Kinder gerichteten Lebensmitteln der Zuckergehalt weiter steigt. Getränke sind da nur ein Beispiel, wie das Monitoring des MRI ergeben hat. Es gibt Frühstückscerealien für Kinder, die bestehen zur Hälfte aus Zucker! Bis zu zwei Millionen Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland unter Übergewicht oder Adipositas. Das ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. In anderen Ländern, etwa Großbritannien, wurde der Zuckergehalt teils drastisch gesenkt – und die Menschen haben die Produkte dann trotzdem gekauft. Es ist also nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist. Mir geht es darum, dass jedes Kind die Chance hat, gesund aufzuwachsen. Einen Beitrag dazu erfüllen wir jetzt durch mehr Kinderschutz in der Werbung. Alle drei Ampelparteien haben sich darauf geeinigt, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt nicht mehr geben soll. Diesen Auftrag nehme ich ernst.
(Von Henrike Schirmacher)