Gerichtsvollzieher über Reichsbürger-Bedrohung: „Ich hoffe jedes Mal, dass er keine Knarre hat“
Die Reichsbürgerszene organisiert und radikalisiert sich. Das bekommt Gerichtsvollzieher Frank Neuhaus regelmäßig zu spüren: Besonders eine Gruppe sei gefährlich.
Arnsberg/Berlin – Man kann nicht ausschließen, dass sich Fuchs und Hase in Arnsberg schon mal gute Nacht gesagt haben. Die Stadt im Sauerland in NRW ist ein Idyll. Es gibt hübsche Fachwerkhäuschen mit Schieferdächern, eine Kapelle mit Zwiebeltürmchen, viel Wald und Wiese. Ein Ort, in dem Menschen Urlaub machen. Und doch ist Frank Neuhaus manchmal mulmig zumute, wenn er morgens zur Arbeit geht. Nämlich immer dann, wenn er ahnt: Heute hat er es mit einem Reichsbürger zu tun. „Ich hoffe jedes Mal, dass der dann keine Knarre hat und damit hinter der Tür steht“, sagt Neuhaus, der als Obergerichtsvollzieher arbeitet. Mit Reichsbürgern hat er in seinem Job seit Jahren immer wieder zu tun. Manche Menschen in Lebenskrisen und mit finanziellen Problemen seien besonders empfänglich für die Verschwörungsideologien der Szene. Aktuell sei es besonders schlimm, sagt er.
Reichsbürger schicken Drohschreiben in Frakturschrift
In seinem Job ist er für unter anderem für Zwangsvollstreckungen zuständig, dazu muss er Schuldner, die zum Beispiel ihre Handyrechnungen nicht zahlen, an deren Wohnadresse aufsuchen. „Vorher kündige ich mich an. Und dann merke ich sofort, wenn das Reichsbürger sind.“ Denn die schicken ihm dann seitenlange Aufsätze, in denen sie erklären, dass es die Bundesrepublik Deutschland gar nicht gebe, und drohen ihm. Oft sind die Schreiben in altertümlicher Frakturschrift gehalten, mit Reichsadlerwappen im Briefkopf. Die Absender nennen sich selbst „natürliche Personen“ in Abgrenzung zu „juristischen Personen“ und fügen Rechnungen bei: Wegen angeblicher Verstöße gegen ihre Menschenrechte soll Neuhaus dann zum Beispiel Hunderttausende Euro in Form von Gold und Silber an sie überbringen.

Man könnte beinahe schmunzeln ob solcher Auslassungen. Aber Frank Neuhaus ist nicht mehr zum Lachen zumute. „Das sind keine harmlosen Spinner. Solche Leute gefährden die Demokratie.“ Manchmal schreien sie ihn an, wenn er auftaucht, oder bauen sich bedrohlich vor ihm auf. „Die fordern mich dann auf, ihr Staatsgebiet zu verlassen, sonst habe das Konsequenzen.“ Da helfe nur Rückzug, im Zweifel kommt Neuhaus dann mit der Polizei wieder.
Treffen von Reichsbürgern in Wemding: Szene vernetzt sich
Experten beobachten, dass die Szene sich seit Monaten noch stärker radikalisiert und organisiert. Erst vor wenigen Tagen hatten sich 300 Reichsbürger im bayerischen Wemding getroffen, um über „mögliche Wege ins Deutsche Reich“ zu diskutieren. Reichsbürger zweifeln die Existenz der Bundesrepublik Deutschland an, manche wollen einen eigenen Staat erschaffen. „Da hat es im Vorfeld viel Aktivität bei Telegram gegeben“, sagt Politikberater und Extremismusexperte Johannes Hillje. Die Plattform werde von der Szene gern genutzt, weil auch extreme Posts nur selten gelöscht würden. „Es gibt dort große Gruppen, über die sich die Szene vernetzt und organisiert.“
Gerichtsvollzieher über Reichsbürger: „Seit Corona deutlich schlimmer“
Laut Bundesverfassungsschutz waren der Szene im Jahr 2022 etwa 23.000 Menschen in Deutschland zuzurechnen, Tendenz steigend. „Seit Corona ist das deutlich schlimmer geworden“, sagt Frank Neuhaus. Die Verschwörungstheorien der Corona-Leugner seien bei Reichsbürgern auf fruchtbaren Boden gestoßen. „Die Denkweise ist: Wenn hinter allem eine große Verschwörung steckt, dann bin ich für meine prekäre Lage nicht verantwortlich. Und wenn es den deutschen Staat nicht gibt, dann darf der bei mir auch keine Schulden eintreiben.“ Wenn solche Schuldner partout keine Vermögensauskunft geben wollen, droht auch schon mal ein Haftbefehl. „Manche merken dann: Oh, den Staat gibt es ja offenbar doch“, sagt Neuhaus.
Gewaltbereite Reichsbürger wollen Krieg gegen „linksgrüne Republik“
Andere seien unbelehrbar. „Es gibt eine Gruppe von Leuten, die das alles wirklich glauben und verinnerlicht haben. Das sind die Schlimmsten“, sagt Neuhaus. Denen schwebe ein Krieg gegen die „linksgrüne Republik“ vor. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte vor Monaten bereits angekündigt, härter gegen Reichsbürger vorgehen zu wollen, die Gefahr eines Umsturzes sei real. Im Dezember 2022 hatte es eine große Razzia gegen die Szene gegeben. Rund zehn Prozent der Szeneanhänger hält der Verfassungsschutz für potenziell gewaltbereit, mehr als fünf Prozent gelten als Rechtsextremisten. Auch von denen kennt Gerichtsvollzieher Neuhaus welche: „Da hängt dann die Reichskriegsflagge über dem Sofa.“ Die einstige Kriegsflagge mit Reichsadler und Deutschordenskreuz wird heute vornehmlich als Symbol von gewaltbereiten Anhängern rechtsextremer Ideologien verwendet.
Dass Reichsbürger die Justiz mit seitenlangen Schriftsätzen lähmen und Beamte bedrohen, sei bundesweit ein Riesenproblem, sagt Neuhaus, der Vorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes in NRW ist. „Wenn ich 100 Kollegen frage, wer schon mal von einem Reichsbürger bedroht worden ist, heben alle die Hand.“ (pen)