Teufelspakt im Krieg um Berg-Karabach: Lässt Putin Erdogan gewähren?
Aserbaidschan erklärt dem von Putin protegierten Armenien den Krieg um Berg-Karabach. Verliert Russland den nächsten Verbündeten?
Istanbul/Moskau – Bislang konnte Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Türkei zählen. Staatschef Recep Tayyip Erdogan galt als einer der wenigen verbliebenen Verbündeten des Kreml seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine. Doch das Bündnis der beiden Männer droht auf den ersten Blick Risse zu bekommen. Denn Aserbaidschan hat den Krieg gegen Armenien um die südkaukasische Region Berg-Karabach eröffnet – und das mit der Billigung aus Ankara.
Konflikt um Berg-Karabach: Welche Rolle spielen die Türkei und Russland als Schutzmacht?
Für Russland, das bisher als Schutzmacht von Armenien galt, ist das eigentlich ein Affront. Doch es deutet einiges darauf hin, dass es einen stillschweigenden Pakt zwischen Russland und der Türkei in dem Konflikt um Berg-Karabach gibt. Aber es wäre ein gefährliches Spiel, das die beiden Staatschefs treiben würden.
Krieg um Berg-Karabach: Aserbaidschan und Armenien rufen Waffenstillstand aus
Am Dienstag hatte Aserbaidschan den Waffenstillstand mit Armenien aufgekündigt und eine breit angelegte Militäroperation zur Rückeroberung der Südkaukasus-Region Berg-Karabach gestartet. Überall seien Explosionen zu hören gewesen, berichten Augenzeugen. Die Kampfhandlungen sollen nach örtlichen Angaben schon am ersten Tag des Konflikts mindestens 27 Menschen das Leben gekostet haben, darunter zwei Zivilisten. Darüber hinaus wurden mehr als 200 Menschen verletzt. Aus 16 Orten wurden den Angaben zufolge rund 7000 Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht. Dann wurde plötzlich am Mittwoch ein Waffenstillstand erklärt.

Der Zeitpunkt für die erneute Eskalation im Aserbaidschan-Armenien-Konflikts um Berg-Karabach scheint dabei kein Zufall zu sein. „Der Angriff wurde seit Wochen vorbereitet“, sagte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) dem Berliner Tagesspiegel. „Ich sehe eine systematische Politik vonseiten Aserbaidschans, Berg-Karabach zu übernehmen.“ Erst kürzlich seien Waffen aus Israel geliefert worden. Zudem hatten beide Seiten in den vergangenen Wochen ihre Truppen in der Grenzregion verstärkt.
Türkei als Verbündeter: Erdogan-Regime versorgt Aserbaidschan für Berg-Karabach mit Waffen
Dem Völkerrecht nach gehört Berg-Karabach zu Aserbaidschan, doch die Region wird mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Seit Jahrzehnten gibt es deswegen Krieg und Grenzkonflikte. Die Türkei gilt als Bruderstaat von Aserbaidschan. Die Erdogan-Regierung versorgt einen Verbündeten verlässlich mit Waffen und Geheimdienstinformationen. Russland indes stand in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich eher zu Armenien, doch zuletzt löste Putin sich zunehmend von seinen alten Freunden.
Berg-Karabach – die Geschichte um den Konflikt
Die Streitigkeiten um Berg-Karabach zwischen Aserbaidschan und Armeinien halten seit Jahrzehnten an. Im Herbst 2020 brach der bislang größte Konflikt aus. Bei einem 44-Tage-Krieg eroberte Aserbaidschan militärisch weite Teile der Region. Beendet wurde der Konflikt in einer gemeinsamen Erklärung – ausgehandelt unter Vermittlung von Wladimir Putin. Vereinbart wurde, dass Berg-Karabach Teil von Aserbaidschan ist und fünf Jahre lang russische Friedenstruppen dort stationiert werden.
Offiziell hatte der Kreml den Angriff auf Berg-Karabach verurteilt und einen Waffenstillstand gefordert. „Wegen der schnellen Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in Berg-Karabach rufen wir die Konfliktparteien auf, das Blutvergießen sofort zu beenden“, zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass das Moskauer Verteidigungsministerium. Doch richtig traurig dürfte im Umfeld von Putin niemand über den aserbaidschanischen Vorstoß gewesen sein.
Russlands Spiel im Kaukasus: Putin misstraut Armenien neuerdings
Das Verhältnis zwischen Armenien und seiner Schutzmacht Russland trübte sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr ein. Ministerpräsident Nikol Paschinjan, der 2018 durch eine „Samtene Revolution“ an die Macht kam, entpuppte sich nicht als Putin-Freund. Er nahm dem Kremlchef übel, dass dieser sich in den 44-Tage-Krieg im Jahr 2020 nicht eingemischt und seine Schutztruppen wenig Initiative gezeigt hatten. Nach Beginn des Ukraine-Krieges stellte sich Paschinjan immer offener gegen Putin. Im Januar 2023 verweigerte er eine geplante, von Russland gesteuerte Militärübung auf seinem Staatsgebiet. Den Militärpakt mit Russland bezeichnete er als „Fehler“.
Bodenschätze und Handelsroute: Putin braucht Türkei und Aserbaidschan als Verbündete
Armeniens Abkehr von Moskau dürfte Putin weniger schmerzen. Russland-Beobachter gehen davon aus, dass der Kremlchef einen bewussten Seitenwechsel vollzogen hat. Zum einen könnte er darauf spekulieren, dass Paschinjan im Zuge einer Niederlage um Berg-Karabach gestürzt werden könnte. Zum anderen steht Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges international sowohl politisch als auch wirtschaftlich isoliert da. Während Armenien geopolitisch wenig zu bieten hat, ist Aserbaidschan mit Öl und Gas reich an Bodenschätzen.
Politik-Experte Meister geht davon aus, dass Putin seinen Verbündeten Erdogan und dessen Bruderstaat deshalb bewusst gewähren lässt – und zwar aus strategischen Gründen. „Russland braucht den Nord-Süd-Korridor in den Iran über Aserbaidschan sowie die Türkei als alternative Handelsroute, was es kompromissbereiter macht“, sagte der Russland-Kenner dem Tagesspiegel.
Und Erdogan spielt mit. Trotz des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Sanktionen und Boykotte ist Russland für die Türkei einer der größten Handelspartner geblieben. 70 Milliarden Euro betrug zuletzt das Handelsvolumen der beiden Staaten. Während Erdogan sich gegen die Sanktionen und die Nato-Erweiterung stemmt, gewährt ihm Russland einige Vorteile.
Kompliziertes Verhältnis: Warum Putin und Erdogan sich gegenseitig brauchen
So bringen viele russische Unternehmer ihr Vermögen in der Türkei in Sicherheit und sorgen so für einen steten Investitionsfluss. Allein 2022 eröffneten Russen 1.363 neue Unternehmen in der Türkei. Außerdem erhält Istanbul großzügige Rabatte beim Einkauf von Öl und insbesondere auch beim Gas – was unerlässlich ist für die strauchelnde türkische Wirtschaft. „Wenn Russland die Gaslieferungen an die Türkei kürzt, wäre das eine Katastrophe“, schrieb Russland-Experte Kerim Has kürzlich in einem Foreign-Policy-Beitrag für fr.de von IPPEN.MEDIA.
Also tanzt Erdogan weiter auf dem Drahtseil und vollführt einen wahren Balanceakt. Eingebunden in die Nato muss er militärisch die westlichen Positionen mittragen und teilweise auch Waffen an die Ukraine liefern – ohne dabei Putin zu verärgern. Also liefert er Munition und kleinere Geschütze, aber keine Panzer. Auf der anderen Seite muss er weiter die wirtschaftliche Nähe zum Kreml pflegen. Es ist gut möglich, dass Putin mit dem Berg-Karabach-Konflikt die Situation geschickt ausnutzt – und seinen Verbündeten weiter an Moskau binden will. Denn jetzt herrscht zumindest in diesem Punkt auch eine militärische Einigkeit. (jkf)