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Gegenoffensive gegen Russland gestartet? Fachleute stehen vor einem Rätsel

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Kiew meldete am Sonntag Fortschritte in der Region Bachmut. Hat damit die groß angekündigte Gegenoffensive gegen Russland gestartet? Fachleute rätseln.

Kiew - Russland und die Ukraine liefern sich aktuell schwere Kämpfe im Osten der Ukraine. Sie drehen sich rund um die Region Bachmut, die mittlerweile großflächig russisch kontrolliert wird. Am Sonntag meldete die Ukraine nun erstmals seit Monaten Erfolge in der Stadt. Gleichzeitig konzentrieren sich die russischen Truppen auf die Defensive und versuchen die mehr als 800 Kilometer lange Front zu sichern - mit Panzergräben, Panzersperren und Schützengräben. Ist die angekündigte ukrainische Gegenoffensive bereits im Gange? Oder hat sie noch gar nicht begonnen?

Experten rätseln um geplante ukrainische Gegenoffensive: Hat sie bereits in Bachmut begonnen?

Selbst Militär-Experten sind sich nicht mehr sicher, wie es um die geplante Gegenoffensive der Ukraine steht. „Die Ukraine hat in und um Bachmut örtlich begrenzte Gegenoffensiven ausgeführt, um die Russen zurückzudrängen und die Verteidigung in der Region zu testen“, sagt Lucas Webber, Mitbegründer der Website Militant Wire. Auch an anderen Stellen der Front spiele sich Ähnliches ab. „Es ist schwer zu sagen, ob die geplante eigentliche Gegenoffensive begonnen hat, aber diese Aktionen deuten darauf hin, dass die Ukraine etwas viel Größeres plant.“

Scharfschützen der ukrainischen Armee bringen sich in Position gegenüber russischen Truppen in der Nähe von Bachmut
Scharfschützen der ukrainischen Armee bringen sich in Position gegenüber russischen Truppen in der Nähe von Bachmut. © Libkos/AP

Die extreme Länge der Front im Ukraine-Krieg macht es schwer vorauszusehen, wo Kiew angreifen wird. Bachmut ist strategisch eher unbedeutend, aber ein Gegenangriff dort „wäre peinlich für den Kreml und die Gruppe Wagner, die die Stadt schon fast eingenommen hat“, analysiert der Forscher. Der Stadt wird bereits seit Beginn des Krieges eine Art Symbol-Charakter für die Ukrainer und ihre Verteidigung zugeschrieben. Mit einem großflächigen Angriff könnten sie versuchen, durch eine Rückeroberung von Bachmut ein Zeichen zu setzen und den Kreml in Moskau zu „frustrieren“.

Erst am Montag erklärte die ukrainische Armee, „mehr als zehn Stellungen“ der Russen östlich von Bachmut eingenommen zu haben. Auch die Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) verwies am Montag auf geolokalisierte Bilder, die darauf hindeuten, dass die ukrainischen Streitkräfte kürzlich begrenzte Fortschritte in der Stadt selbst gemacht haben. Für die Ukrainer wären die Gewinne der erste Vorstoß seit Monaten. Moskau hingegen beansprucht für sich Gewinne innerhalb der Stadt, die russische Soldaten bereits größtenteils kontrollieren.

Gegenoffensive im Ukraine-Krieg: Kiew könnte russische Soldaten in Bachmut isolieren

„Ich würde zu der Interpretation tendieren, dass die Ukraine versucht, die russischen Streitkräfte in Bachmut festzusetzen, um sie zu zwingen, an einem bestimmten Punkt der Front zu bleiben“, sagt unterdessen Ivan Klyszcz vom Thinktank International Centre for Defence and Security (ICDS) in Estland. Gleichzeitig könnte die Ukraine andernorts angreifen. „In den russischen Militärkanälen kam kürzlich Panik auf wegen angeblicher ukrainischer Bewegung auf Stellungen in den von den Russen kontrollierten Gebieten“, sagt Klyszcz. Doch diese Quellen seien „nicht immer zuverlässig“.

Eine Aufnahme aus Bachmut am 24.04.2023.
Eine Aufnahme aus Bachmut am 24.04.2023. © IMAGO/RIA Novosti

Die Vermutung über das Ziel, den Feind in Bachmut festzusetzen, deckt sich mit kürzlichen Aussagen des Sprechers der ukrainischen Ostgruppe der Streitkräfte, Oberst Serhiy Cherevaty. Laut ISW-Informationen bekräftigte er, dass das Hauptziel der ukrainischen Verteidigungsoperation in der Region Bachmut darin bestehe, die russischen Streitkräfte in diesem Gebiet zu erschöpfen.

Experten rätseln: Welche Regionen für die angekündigte Gegenoffensive noch infrage kommen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutete in einem Interview mit BBC am 11. Mai an, dass die Offensive gegen Russland noch nicht gestartet hat. Seiner Aussage nach seien die Kampfbrigaden, von denen einige von Nato-Ländern ausgebildet wurden, zwar „bereit“. Der Armee würden aber noch „einige Dinge“ fehlen, darunter gepanzerte Fahrzeuge, die „schubweise“ einträfen. „Mit dem, was wir bereits haben, können wir vorankommen und, wie ich glaube, erfolgreich sein“, sagte er dem US-Sender. „Aber wir würden eine Menge Leute verlieren. Ich denke, das ist inakzeptabel. Wir müssen also abwarten. Wir brauchen noch ein bisschen mehr Zeit.

Es ist gleichzeitig unwahrscheinlich, dass die Ukraine tatsächliche Informationen über die geplante Gegenoffensive preisgibt. Die öffentliche Kommunikation wird bereits seit Beginn des Krieges gerne genutzt, um den Feind zu verwirren.

Pierre Razoux vom französischen Forschungsinstitut FMES sieht Anzeichen, dass zumindest die Vorbereitung auf eine Gegenoffensive bei Ukrainern als auch Russen in vollem Gange ist. „Davon zeugen die zunehmenden Sabotageakte auf russisches Territorium in Frontnähe und die russischen Angriffe auf ukrainische Waffen- und Munitionslager“, sagt Razoux. Wo die Ukraine genau angreifen wird, bleibt damit weiterhin im Dunkeln. Einige westliche Analysten rechnen mit Vorstößen im Süden oder mit einer Offensive auf die besetzte Stadt Sewerodonezk im Osten. Eine weitere Möglichkeit wäre ein Versuch der Ukraine, das Atomkraftwerk Saporischschja im Südosten zurückzuerobern. (nz/afp)

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