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Sahra Wagenknecht: "Merkels Politik ist verheerend"

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Von: Dieter Hintermeier

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Sahra Wagenknecht bei einer Rede im Deutschen Bundestag.
Sahra Wagenknecht bei einer Rede im Deutschen Bundestag. © Rainer Jensen (dpa)

Vor dem Parteitag der Linken in Magdeburg an diesem Wochenende sprach Dieter Hintermeier mit der Fraktionsvorsitzenden der Partei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel, die Perspektiven der Linken, den Syrienkonflikt – und über ihre persönliche Entwicklung als Politikerin.

Die sogenannten etablierten Parteien haben im Zuge der Flüchtlingskrise viel an Wählergunst verloren. Aber auch die Linke hat „gelitten“. Was hat Ihre Partei im „Schlepptau“ der Merkelschen Flüchtlingspolitik falsch gemacht?

SAHRA WAGENKNECHT: Wir stehen nicht im Schlepptau der Merkelschen Flüchtlingspolitik. Im Gegenteil, wir halten Merkels Politik für verheerend. Sie hat sich im letzten Herbst als große Freundin der Flüchtlinge inszeniert. Gleichzeitig wurden unverändert Waffen in Kriegsgebiete geliefert oder armen Ländern Freihandelsabkommen diktiert, die deren Märkte zur Beute internationaler Agrarmultis und Industriekonzernen machen und die örtlichen Anbieter ruinieren. So trägt man dazu bei, dass Kriege andauern und dass immer mehr Menschen aus Angst um ihr Überleben oder aus Verzweiflung und Not ihre Heimat verlassen. Die Linke will nicht, dass möglichst viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sondern dass möglichst viele Menschen in ihrer Heimat bleiben können und dort eine Perspektive haben.

Wie sollte sich die Linke in Sachen Flüchtlingen politisch ausrichten? Welche Positionen muss Ihre Partei beziehen?

WAGENKNECHT: Man darf nicht nur über die Bekämpfung von Fluchtursachen reden, man muss endlich etwas dafür tun. Also Schluss mit Waffenexporten in Kriegsgebiete, Schluss mit der deutschen Beteiligung an Interventionskriegen und Schluss damit, arme Länder zur Marktöffnung für unsere Produkte zu zwingen. Auch solange Deutschland mit autoritären Regimen wie der Türkei und Saudi-Arabien paktiert, die islamistische Terrorbanden in Syrien und anderswo unterstützen, ist es heuchlerisch zu sagen, die Fluchtursachen würden bekämpft. So werden immer mehr Menschen in die Flucht getrieben.

Die AfD wildert mit bestimmten Positionen auch bei den Linken. Wie ernst muss die AfD als Gegner der Linken genommen werden?

WAGENKNECHT: Die AfD ist Teil des neoliberalen Parteienkartells. Wie CDU, SPD, FDP und Grüne steht sie für Sozialabbau und Interventionskriege, sie lehnt Vermögens- und Erbschaftssteuern ebenso ab wie eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns oder eine Rücknahme der Rentenkürzungen. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass es da Gemeinsamkeiten mit der Linken gibt. Wirtschaftspolitisch sind alle anderen Parteien AfD-nah.

Die SPD hangelt sich von einem Umfragetief zum nächsten. Die Grüne wenden sich mehr und mehr der CDU zu. Gehen der Linken die Partner für eine Regierungskoalition aus? Gibt es überhaupt noch die berühmten Mehrheiten links von der CDU?

WAGENKNECHT: Solange SPD und Grüne für prekäre Jobs, Rentenarmut oder TTIP stehen, nützt auch eine rechnerische Mehrheit links von der CDU nichts. Wir haben sie ja seit 2013, aber statt diese Mehrheit für soziale Politik zu nutzen, versauert die SPD lieber in der großen Koalition. Genau deshalb wird sie ja von den Wählern abgestraft, aber bisher führt das leider zu keinem Kurswechsel. Solange das so bleibt, ist unsere Aufgabe, als starke Opposition auf soziale Alternativen hinzuweisen. Eine Regierung wird immer auch dadurch beeinflusst, welche Opposition sie hat. Ohne die Linke gäbe es heute wahrscheinlich keinen Mindestlohn.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr des Rechtspopulismus in Europa?

WAGENKNECHT: Rechtsdemagogische Parteien werden in vielen Ländern stärker. Und die Ursachen sind im Grunde überall gleich: Seit Jahrzehnten wird in Europa eine Politik gemacht, die die gesellschaftliche Ungleichheit vergrößert und den Sozialstaat zerstört. Für die Mehrheit bedeutet das: sinkender Wohlstand, wachsende Unsicherheit und Abstiegsangst. Fast überall sind konservative ebenso wie sozialdemokratische Parteien an dieser Politik beteiligt. Die Menschen haben schon lange das Gefühl, egal welche Regierung sie wählen, es kommt immer die gleiche Politik heraus, die Konzerne und Reiche begünstigt, die Mittelschicht belastet und die Armut vergrößert. In einem solchen Klima ist es für rechte Parteien leicht, sich als scheinbare Alternative zu inszenieren. In Ländern, in denen es eine starke Linke mit klarem Profil gibt, die nicht als Teil des etablierten Parteienkartells wahrgenommen wird, haben die Rechten weniger Chancen. Genau darin liegt unsere Verantwortung und Aufgabe auch für Deutschland.

Angela Merkel hat in der Flüchtlingspolitik eine Kehrtwende gemacht. Nach „Budapest“ hat sie die Grenzen für jeden geöffnet. Vom Lager in Idomeni hat sich die Kanzlerin nicht beeindrucken lassen und hat stattdessen mit Erdogan einen Anti-Flüchtlingsdeal gemacht. Was halten Sie von diesem „Abkommen“ und wie erklären sie sich die Rolle rückwärts der Kanzlerin?

WAGENKNECHT: Der Pakt mit der Türkei ist ein schäbiger Deal mit einem autokratischen Regime, das Menschenrechte mit Füßen tritt, die Pressefreiheit beschneidet und international als Unterstützer islamistischer Terrorbanden aktiv ist. Merkel hat sich und die EU dadurch in eine Situation der Abhängigkeit von und der Erpressbarkeit durch einen Despoten gebracht. Auf europäischer Ebene wird ihr dieser Alleingang – denn auch dieser Vorstoß war wieder mit keinem unserer europäischen Partner abgestimmt – zunehmend verübelt. Sie isoliert sich und Deutschland dadurch immer mehr. Weil Erdogan täglich demonstriert, dass er sich an keine Absprache zu halten gedenkt, ist der Deal ohnehin inzwischen so gut wie tot.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um den Syrienkonflikt zu beenden beziehungsweise einzudämmen?

WAGENKNECHT: Das entscheidende ist, islamistische Gruppen wie Al-Nusra und den Islamischen Staat endlich konsequent von Waffen und Finanzen abzuschneiden. Wer kein Geld und keine Waffen hat, kann auch nicht mehr kämpfen. Aber genau das wird von unseren vermeintlichen Verbündeten Saudi-Arabien und Türkei ständig hintertrieben. Alle nicht-islamistischen Kräfte müssen an einen Tisch, um eine Friedenslösung zu erreichen. Also genau das, was mit den Genfer Friedensgesprächen ja auch versucht wird. Dieser Weg muss konsequent weitergegangen werden.

Europa und die Nato haben derzeit ein problematisches Verhältnis zu Russland. Was muss geschehen, um die Beziehungen wieder in ein normales Fahrwasser zu bekommen. Und: Wie steht die Linke zu Putin?

WAGENKNECHT: Frieden und Sicherheit in Europa gibt es nicht gegen, sondern nur mit Russland. Deshalb muss die aktuelle Konfrontationspolitik aufhören. Wir brauchen weder neue amerikanische Atomwaffen in Deutschland noch deutsche Soldaten an der russischen Grenze. Was wir brauchen ist Diplomatie, Kooperation und ein Ende der Sanktionen. Das wäre auch weit eher im europäischen Interesse als uns im Schlepptau der USA in eine weitere Eskalation des Konflikts mit Russland hineintreiben zu lassen.

Aktuell steht auch die Finanzkrise in Griechenland wieder im Fokus. Warum können sich die „Gläubiger“ nicht auf einen Schuldenerlass einigen, sondern lediglich auf Schuldenerleichterungen?

WAGENKNECHT: Es war ein fataler Fehler, dass Deutschland 2010 dazu beigetragen hat, dass die Schulden eines überschuldeten Landes den europäischen Steuerzahlern auf die Schultern geladen wurden. Genützt hat das nur den kreditgebenden Banken, denen so Milliardenverluste abgenommen wurden. Denn schon damals war klar: Griechenland ist pleite, und ein überschuldetes Land braucht nicht neue Kredite, sondern einen Schuldenschnitt. Der wird auch irgendwann kommen – faktisch läuft ja die jetzige Vereinbarung darauf hinaus – aber die Politik seit 2010, die ja nichts anderes war als teure Konkursverschleppung bei weiterer Verarmung Griechenlands, hat alles dafür getan, dass er für die europäischen Steuerzahler so teuer wie möglich wird.

Blick ins Ausland: In den USA könnte Donald Trump der nächste Präsident werden? Was ist von dem Mann für Europa zu erwarten?

WAGENKNECHT: Natürlich nichts Gutes. Er ist ein unberechenbarer Demagoge. Leider ist Clinton, die sowohl von der Wall Street als auch von der Rüstungsmafia finanziert wird, auch keine erfreuliche Wahl. Eine echte Alternative wäre Bernie Sanders, der für das soziale und friedliche Amerika steht und erstaunlich viel Zuspruch vor allem bei jungen Leuten bekommt. Das macht Hoffnung. Wenn die Demokraten sicher gehen wollten, dass der nächste Präsident nicht Trump heißt, müssten sie Sanders zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten machen. Alle Umfragen zeigen, dass Trump gegen ihn keine Chance hätte.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass Sie im Laufe Ihres Politikerlebens „liberaler“/verbindlicher geworden sind. Stimmt der Eindruck?

WAGENKNECHT: Jeder Mensch entwickelt sich und es sollte normal sein, dass man im Laufe seines Lebens hinzu lernt. Es gibt Dinge, an die ich früher geglaubt habe und die ich heute für falsch halte. Aber dass man sich mit einer Wirtschaftsordnung, die wachsende Ungleichheit produziert, nicht abfinden darf, ist meine feste Überzeugung.

Sahra Wagenknecht, Reichtum ohne Gier: Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten, Campus-Verlag, Frankfurt, 2016, 292 Seiten, 19,95 Euro

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