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SPD-Chef Lars Klingbeil: Schwarz-Grün ist „keine gute Option für Hessen“

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Eine Neuauflage der schwarz-grünen Landesregierung in Hessen hält SPD-Chef Lars Klingbeil für „keine gute Option“. Im Interview spricht Klingbeil aber auch über die Bundeswehr, die Flüchtlingspolitik und die Ampel in Berlin.

Fulda - Ungeachtet schwacher Umfragewerte für die SPD sieht der Parteichef der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil, das Rennen bei der Landtagswahl in Hessen weiter offen. Im Interview mit der Fuldaer Zeitung stärkt der 45-Jährige Spitzenkandidatin Nancy Faeser den Rücken. Klingbeil sagt: „Ich erlebe viel Interesse an Nancy Faeser. Hier ist noch nichts entschieden.“

Gut drei Wochen vor der Hessen-Wahl deutet sich keine Wechselstimmung im Land an. Die CDU liegt in Umfragen weit vorn. Ist es auch eine Folge des Ampel-Zanks, dass die SPD-Kampagne nicht vorankommt?

Die Menschen fangen jetzt erst an, sich mit dieser Wahl zu beschäftigen. Auch vier Wochen vor der Bundestagswahl haben viele noch nicht gewusst, wo sie ihr Kreuz machen werden. Als SPD-Wahlkampfmanager bin ich belächelt worden, als ich gesagt habe, Olaf Scholz wird Kanzler. Jetzt, nach den Ferien hier in Hessen, geht es erst richtig los. Und ich erlebe hier viel Interesse an Nancy Faeser, die wahnsinnig bekannt ist. Im Gegensatz zum amtierenden CDU-Ministerpräsidenten.

Sie rechnen sich also noch eine Chance für ein Ampelbündnis aus? Nach CDU-Lesart wäre das das Schlimmste, was dem Land passieren kann.

Hier ist noch nichts entschieden. Ich glaube auch, dass viele in Hessen wahrnehmen, dass ihr Bundesland bundespolitisch gerade keine Rolle spielt. Mit einem Ministerpräsidenten, der gar nicht erst versucht, in Berlin mitzureden. Mit einer schwarz-grünen Regierung, die sich darin gefällt zu regieren, aber sonst im Stillstand verhaftet ist. Das ist keine gute Option für Hessen.

Mit welchen Themen wollen die Sozialdemokraten auf den letzten Metern punkten?

Was die Landespolitik angeht, hat Nancy Faeser sehr deutlich gemacht, dass es um die Fachkräftegewinnung geht, um mehr Ärztinnen und Ärzte, mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr Handwerkerinnen und Handwerker. Und das fängt bei guter Bildung an. 

SPD-Chef Klingbeil: Landtagswahl in Hessen noch nicht entschieden

Sie klammern bei den entscheidenden Themen die Asylpolitik aus. Kommunen sind am Limit. Turnhallen werden wieder zu Unterkünften. Wie wollen Sie illegale Einreisen effektiv unterbinden?

Als Bundesinnenministerin kümmert sich Nancy Faeser genau darum - nachdem die Jungs von CDU und CSU im Innenressort 16 Jahre lang starke Sprüche geklopft, sich aber ansonsten zurückgelehnt haben. Nancy Faeser hat auf EU-Ebene erreicht, dass die Reform des Asylsystems jetzt wirklich vorankommt. Und die Zahl der Abschiebungen ist unter ihrer Führung um 27 Prozent gestiegen.

Laut Ausländerzentralregister waren zum Jahreswechsel mehr jedoch als 300 000 Menschen ausreisepflichtig. Da ist bei Abschiebungen wohl noch viel Luft nach oben.

Wie gesagt, wir haben die Zahl der Abschiebungen bundesweit enorm gesteigert. Sie wissen aber auch, dass die Rückführungen in der Verantwortung der Länder liegen. Fragen Sie doch mal Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU, warum das hier in Hessen nicht klappt? Immerhin war er bis letztes Jahr hessischer Innenminister und als dieser dafür zuständig, diejenigen, die nicht hierbleiben können, in ihre Länder zurückzuführen.

Warum gelingt es Deutschland schlechter als anderen Ländern, anerkannte Asylbewerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Die entsprechenden Gesetze haben wir ja gerade geändert. Der sogenannte Spurwechsel zum Beispiel eröffnet Asylbewerbern, die eine qualifizierte Arbeit in Aussicht haben, ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Wir bringen also Menschen, die zu uns geflüchtet sind, jetzt schneller in Jobs. 

NameLars Klingbeil
Partei/FunktionSPD-Parteivorsitzender
Geburtstag23. Februar 1978
WohnortMunster (Niedersachsen)
WahlkreisHeidekreis/Landkreis Rotenburg

Können Sie sich stationäre Grenzkontrollen zu osteuropäischen Nachbarländern vorstellen?

Es gibt ja Kontrollen. Die Bundespolizei ist jeden Tag unterwegs an den Grenzen. Durch den verstärkten Einsatz der Bundespolizei wurden jüngst bereits zahlreiche Schleuserbanden zerschlagen. Aber das, was manchen vorschwebt, dass wir in Europa wieder die Grenzen komplett dichtmachen, Schlagbäume errichten und jedes Fahrzeug kontrolliert wird, das halte ich für falsch. Da gingen nicht nur die Wirtschaft und die Pendler in den Grenzregionen auf die Barrikaden.

Gewisse Länder lassen aber Flüchtlinge, die bei ihnen ankommen, ohne Registrierung nach Deutschland durchreisen. Da funktioniert das gesamte System doch nicht...

Genau deshalb ist die von Nancy Faeser erreichte Reform des EU-Asylsystems so wichtig. Sie wird dazu führen, dass Menschen an den EU-Außengrenzen registriert werden und diejenigen, die einen geringen Schutzstatus haben, dort ihr Verfahren bekommen. EU-Länder, die ihrer Verantwortung bei der Aufnahme von Geflüchteten nicht nachkommen, werden sanktioniert. Deshalb wehren sich Polen und Ungarn massiv gegen diese Reform.

Das Bundeskabinett hat gerade eine kräftige Erhöhung des Bürgergeldes beschlossen. Lohnt sich denn das Arbeiten in Deutschland noch?

Tatsache ist, dass jemand, der arbeitet, am Ende mehr hat als jemand, der Bürgergeld bekommt. Und wenn die Union auf Lohnabstand pocht, dann sage ich: Wir können gerne über höhere Löhne und eine Stärkung der Tariftreue in diesem Land reden, damit der Lohnabstand noch größer wird. Nebenbei bemerkt, ist die verfassungsmäßige Absicherung des Existenzminimums, die mit der Bürgergeld-Erhöhung umgesetzt wird, in der großen Koalition mit der Union beschlossen worden. Und ich wehre mich dagegen, dass Menschen, die in der Not Bürgergeld beziehen, gegen Menschen ausgespielt werden, die wenig verdienen.

Der Mindestlohn soll ab 2024 in zwei Schritten auf 12,82 Euro steigen. Das reicht Ihnen aber nicht. Welchen Sinn hat eine Experten-Kommission, wenn die Politik am Ende doch macht, was sie will? 

Erst einmal bin ich stolz darauf, dass die Ampel den Mindestlohn zum Start der Legislaturperiode auf 12 Euro angehoben hat. Das Leben ist teurer geworden. Und gerade deshalb habe ich mich geärgert, dass die Arbeitgeberseite in der Mindestlohn-Kommission nur eine minimale Erhöhung gegen die Arbeitnehmervertreter durchgedrückt hat. 

SPD-Chef Lars Klingbeil im Interview mit der Fuldaer Zeitung
SPD-Chef Lars Klingbeil hält die Hessenwahl noch nicht für entschieden. Schwarz-Grün bezeichnet er als „keine gute Option“. © Daniela Petersen/Fuldaer Zeitung

Die Löhne steigen deutlich, die Energiekosten gehen durch die Decke und die Inflation ist hoch. Wie groß ist die Gefahr einer Deindustrialisierung Deutschlands?

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann behauptet ja gern, Deutschland sei der kranke Mann der Welt. In diesen Niedergangs-Sound stimme ich nicht mit ein. Ich möchte, dass wir die Probleme und Herausforderungen lösen und anpacken. Ich bin es leid, dass viele politische Kräfte unser Land schlecht reden. Wir können doch was in Deutschland. Wir haben schon oft genug gezeigt, dass wir uns aus Krisen rausarbeiten. 

Seit Jahren befinden wir uns aber in einer Art Dauer-Alarmzustand. 

Die aktuell riesigen Herausforderungen sind vor allem dadurch bestimmt, dass uns Russlands Krieg gegen die Ukraine gezwungen hat, die Energieversorgung radikal neu aufzustellen. Zugleich subventioniert China massiv seine Industrie, ebenso, wie US-Präsident Joe Biden über den Inflation Reduction Act Milliarden in die US-Wirtschaft pumpt, um beim Ziel der Klimaneutralität voranzukommen. Da wird überall mit dem Geld gelockt.

Sie versüßen dem US-Chipgiganten Intel doch auch die Ansiedlung in Deutschland mit zehn Milliarden Euro.

Das sind wichtige Anreize. Auch damit wir uns nicht abhängig machen, brauchen wir diese strategischen Industrieansiedlungen. Wir müssen grundsätzlich schauen, dass keine Investitionsentscheidungen gegen Deutschland getroffen werden. Wenn industrielle Wertschöpfung im Land verloren geht, hat das auch Auswirkungen auf alle anderen Wirtschaftsbereiche. Bei mir in Niedersachsen etwa sind Mittelständler, Dienstleister und Familienunternehmer von einem großen Autokonzern abhängig. Da geht es um ganze Wertschöpfungsketten. Deshalb ist für mich auch der Industriestrompreis zentral. 

Droht durch den subventionierten Industriestrompreis nicht eine Wettbewerbsverzerrung zulasten des Mittelstandes?

Wir haben Industrieunternehmen, die ganz besonders im internationalen Wettbewerb stehen. Wenn die abwandern, wird auch der Mittelstand darunter leiden. Ich sehe aber auch die Sorgen eines energieintensiven Mittelständlers. Das will ich gar nicht gegeneinander ausspielen. Am Ende steht die Frage der Finanzierbarkeit. 

SPD-Chef Lars Klingbeil: Ampel hat viele Verbesserungen für das Land angepackt

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sprach der Kanzler von einer Zeitenwende. Geht die Nachrüstung der Bundeswehr zulasten des Sozialen?

Nein, weil wir für die Bundeswehr ein 100 Milliarden Euro umfassendes Sondervermögen beschlossen haben, das nicht den regulären Haushalt belastet. Aber ich nehme schon wahr, dass bei Bürgerveranstaltungen immer wieder die Frage gestellt wird, ob es sinnvoll ist, so viel Geld für die Truppe auszugeben. Ich halte das aber für sehr wichtig. Ein Land muss jede Sekunde den Bürgern garantieren, dass man in der Lage ist, sich zu verteidigen, wenn es ernst wird. Und die Bündnis- und Landesverteidigung ist über Jahre sträflich vernachlässigt worden.

Wird Deutschland der Ukraine demnächst auch die gewünschten Taurus-Marschflugkörper liefern?

Deutschland ist mittlerweile der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir an der Seite der Ukraine stehen und die Unterstützung auch weitergeht. Letztlich geht es darum, die Ukraine stark zu machen für potenzielle Verhandlungen. Denn am Ende wird dieser Krieg nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Verhandlungstisch entschieden.

Wann ist die Bundeswehr wieder in der Lage, das Land zu verteidigen?

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat dafür gesorgt, dass viele Prozesse wahnsinnig beschleunigt wurden. Aber es ist in der Rüstungsindustrie natürlich nicht so, dass der heute bestellte Panzer schon am nächsten Tag fertig ist. 

War es ein Fehler, die Wehrpflicht abzuschaffen?

Es war falsch, die Wehrpflicht zu kippen, ohne ein Konzept für die Freiwilligengewinnung zu haben. Dass die Wehpflicht in einer Nacht- und Nebelaktion abgeschafft wurde, das merken wir heute leider noch in den Strukturen der Bundeswehr. Eine allgemeine Dienstpflicht sehe ich aber nicht als Lösung. Es braucht ein attraktives Konzept für die Truppe als Arbeitgeber.

Hat es Sie mal gereizt, Verteidigungsminister zu werden?

Ich bin sehr gerne Parteivorsitzender. Natürlich ehrt einen das, wenn in der Zeitung steht, dass einem die Leute das Amt zutrauen. Ich betone aber deutlich, dass ich sehr zufrieden bin mit der Entscheidung für Boris Pistorius. Er macht einen super Job.

Der Kanzler hat einen „Deutschland-Pakt“ vorgeschlagen. Könnte da der Eindruck entstehen, dass die Ampel nichts auf die Reihe kriegt und nun die Opposition helfen muss?

Ich gebe selbstkritisch zu, dass wir in der Ampel manchmal durch öffentliche Debatten ein bisschen verdecken, was wir eigentlich alles auf die Beine stellen. Die Regierung hat in der ersten Hälfte der Legislaturperiode viele Verbesserungen fürs Land angepackt. Allein beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sind Meilensteine gelegt worden. 

Warum hat der Kanzler ausgerechnet jetzt einen solchen Vorschlag gemacht?

Wir sind doch hierzulande zum Glück noch in der Lage, in der politischen Mitte an einem demokratischen Konsens zu arbeiten. Das unterscheidet uns von Ländern wie Italien oder Frankreich, wo es mittlerweile wahnsinnig polarisiert ist, ein demokratischer Kandidat gegen einen Antidemokraten antritt. Warum sollen wir diese Kraft also nicht nutzen, um große Veränderungen voranzubringen? Ich will, dass Deutschland ein starkes Land bleibt. Und dafür müssen wir ein bisschen rauskommen aus den üblichen Schützengräben der Politik.

Lars Klingbeil stand der Redaktion der Fuldaer Zeitung Rede und Antwort. Die Fragen stellten Thomas Schafranek, Christof Völlinger, Daniela Petersen, Tobias Farnung, Hanns Szczepanek und Anne Burkard. Mit Arbeitsminister Hubertus Heil machte zuletzt ein weiteres SPD-Schwergewicht in Fulda Wahlkampf für die Sozialdemokraten vor der Landtagswahl in Hessen.

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