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Friedensforscherin über Ukraine-Konflikt: „Sanktionen allein werden Krieg nicht stoppen“

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Ukraine-Konflikt - Kiew
Flammen und Rauch steigen aus den Trümmern eines Privathauses nach russischem Beschuss außerhalb der ukrainischen Hauptstadt auf. © Efrem Lukatsky/AP/dpa

Friedensforscherin Nicole Deitelhoff fordert im Interview „massiven Druck“ auf Russland. Sie sagt, Putin werde sich nicht mit dem Donbass zufriedengeben.

Frankfurt – Das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat den Angriff Russlands auf die Ukraine als eklatanten Bruch des Völkerrechts bezeichnet, der nicht ohne Folgen bleiben darf. Darüber haben wir mit Instituts-Leiterin Nicole Deitelhoff gesprochen.

Wie haben Sie als Friedensforscherin diesen Morgen erlebt?

Ich wollte mir eigentlich wieder die Decke über den Kopf ziehen und hoffen, dass ich in einer anderen Welt aufwache. Für eine Friedens- und Konfliktforscherin ist das heute ein schwarzer Tag.

Welche Reaktion des Westens halten Sie für geboten?

Wir müssen Russland massiv unter Druck setzen. Jetzt kann es keine abgestuften Sanktionen mehr geben. Es muss schnell ein hartes Maßnahmenpaket auf den Tisch kommen. Die Sanktionen müssen Putins Regime die Luft abschnüren. Das heißt das Abschneiden Russlands vom internationalen Finanzverkehr inklusive Swift, kein Zugang mehr zu Technologiegütern, Konten der Eliten einfrieren. Es wird zwar nicht gelingen, das, was passiert ist, zurückzudrehen. Wir müssen aber Druck aufbauen, damit sich Putin mittelfristig innenpolitisch nicht halten kann und überhaupt wieder bereit ist, mit uns in Gespräche darüber zu kommen, wie die Zukunft aussehen soll.

Hessische Friedensforscherin über Ukraine-Krieg: „Müssen Gesprächskanäle offenhalten“

Ihr Institut warnt, dass Sanktionen allein die Krise nicht lösen können...

Ich sehe momentan keine Möglichkeit, den Krieg zu beenden. Wir sehen an den Taten von Putin, dass er sich nicht von diesem Krieg abbringen lässt. Ich bin auch überaus skeptisch, dass er sich mit dem Donbass zufrieden geben wird. Es sieht danach aus, als wolle er in die gesamte Ukraine einmarschieren und sie besetzen. Davon wird er sich so lange nicht abbringen lassen, wie er nicht auf erhebliche Gegenwehr in der Ukraine stößt.

Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK/PRIF) bei einer Bundespressekonferenz 2021.
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK/PRIF) bei einer Bundespressekonferenz 2021. © imago

Halten Sie Gegenwehr für aussichtsreich?

Mittelfristig schon, wenn sich die ukrainischen Streitkräfte auf asymmetrische Kriegsführung verlegen. Konventionell ist die ukrainische Streitkraft der russischen klar unterlegen.

Was meinen Sie mit asymmetrischer Kriegsführung?

Ich meine damit eine Art Guerillakrieg. Dass die Aufständischen in die Städte gehen, versuchen, die feindlichen Truppen und ihre Nachschublinien im Hinterland zu treffen, dass man sie zermürbt und versucht, ihre Kampfkraft zu zersetzen. Damit macht man es ihnen unmöglich, solche Regionen dauerhaft zu befrieden. Das sehen wir oft in Kriegen gegen Großmächte. Sanktionen allein werden diesen Krieg nicht stoppen. Sie können aber Druck aufbauen, dass es für Putin zu teuer wird. Dann kann es wieder neue Chancen geben, zu verhandeln. Wir müssen Gesprächskanäle offenhalten, damit wir sofort einsteigen können, wenn es Signale aus dem Kreml gibt.

Hessische Friedensforscherin über Ukraine-Krieg: „Es wird keine Anerkennung geben“

Wie könnte es überhaupt möglich sein, in der jetzigen Situation zu deeskalieren?

Wir haben die OSZE, wir haben das Normandie-Format – diese Foren kann man wiederbeleben oder neue Kontaktgruppen entwickeln. Es kommt jetzt darauf an, den Druck so stark zu machen, dass Putin sich über kurz oder lang genötigt sieht, das Gespräch zu suchen. Weil er innenpolitisch stark unter Druck gerät und sich nicht mehr refinanzieren kann. Dann kann er auch seine Unterstützerkreise nicht länger ruhig halten. Diese Chancen müssen dann genutzt werden, um ihn an den Verhandlungstisch bringen.

Weitere Stimmen aus Hessen

Kritische Stimmen zum russischen Angriff und Solidarität mit der Ukraine gab es heute in weiten Teilen Hessen. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sprach beispielsweise von einem „Tag der Schande“.

Zu welchem Ergebnis könnte das führen?

Eine friedliche Koexistenz muss das Ziel sein, in der territoriale Integrität wieder etwas zählt.

Wird das zwangsläufig bedeuten, zumindest eine Teil-Annexion der Ukraine anzuerkennen?

Nein, es wird keine Anerkennung geben. Es könnte aber daraus hinauslaufen, dass die Ukraine zum Beispiel ein Staat mit dauerhafter Neutralität wird.

Hessische Friedensforscherin über Ukraine-Krieg: „UN-Generalversammlung gefragt“

Wie kann Friedenspolitik noch aussehen?

Um einer Blockade im UN-Sicherheitsrat zu begegnen, sollten wir uns um eine „Uniting for Peace“-Resolution in der UN-Generalversammlung bemühen, um die internationale Gemeinschaft geeint hinter ein Vorgehen gegen Russland zu bekommen. (Interview: Christiane Warnecke)

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