Start der UN-Klimakonferenz in Bonn: Der Streit um fossilen Ausstieg und Finanzen
Zehn Tage und so viel Arbeit wie noch nie: Bei der UN-Zwischenkonferenz SB58, die heute beginnt, sollen die Weichen für die COP28 gestellt werden: Global Stocktake, Loss-and-Damage-Fonds, Emissionsreduktion.
Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Climate.Table am 05. Juni 2023.
Der Streit um fossilen Ausstieg und Finanzen schwelt weiter. Die Zeit drängt, diesmal noch mehr als sonst: Bei der diesjährigen „kleinen COP“ in Bonn werden abends die Türen schon um 18 Uhr geschlossen. Denn im Etat der Konferenz fehlt nach Informationen der UN etwa eine Million Euro. Gespart wird also an den Abendschichten des Personals. Und Finanzen werden wieder einmal zu einem zentralen Thema.
Die 58. Sitzung der UN-Organisationen und Unterorgane zum Klimaschutz (SB58) startet am Montag mit einem Programm, das so voll ist wie noch nie. Vom 5. bis 15. Juni werden die Delegierten aus den knapp 200 Staaten der UN-Klimarahmenkonvention um Fortschritte für die COP28 ringen, die im November in Dubai stattfinden wird.
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UN-Klimakonferenz: Weichenstellungen und harte Fronten
Konkrete und bindende Beschlüsse sind auf der Konferenz am Sitz des UN-Klimasekretariats UNFCCC traditionell nicht zu erwarten – wichtige Weichenstellungen allerdings sehr wohl. Die Delegierten und Experten haben sich wie üblich in den vergangenen Monaten in vielen Einzelforen, Arbeitsgruppen und bei Veranstaltungen wie dem Petersberger Klimadialog getroffen und kommen nun wieder offiziell und als umfassende Konferenz zusammen.
Auf der offiziellen Agenda steht besonders der dritte „technische Dialog“ zur Globalen Bestandsaufnahme („Global Stocktake“, GST) im Fokus. Dabei werden sich Delegierte und Beobachter zur Bilanz und Fortschritten bei zentralen Fragen von Emissionsreduzierung, Anpassung und Finanzierung austauschen. Der GST wird praktisch das „Dach“ über allen anderen Verhandlungen:
- Für das „Glasgow-Sharm-el-Sheik-Arbeitsprogramm“, bei dem es unter anderem darum geht, ein globales Ziel für die Anpassung an den Klimawandel zu formulieren.
- Für die Verhandlungen im „Übergangskommittee“, das über Umfang, Zugang und Struktur des „Loss and Damage“-Fonds berät, der als „historischer Durchbruch“ auf der COP27 im November 2022 beschlossen wurde.
- Für das Klimaschutz-Sofortprogramm („Mitigation Work Programm“), bei dem Wege gesucht werden, um etwa die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 weltweit um gut 40 Prozent zu senken. Nur so bleibt nach IPCC-Berechnungen der Weg zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels offen.
- Für Finanzierungsfragen rund um Anpassung, „Loss and Damage“ und den „gerechten Übergang“.
- Für technische Fragen zu Emissionsdaten und der Arbeit des IPCC.
UN-Klimakonferenz: Weniger Zeit, mehr Themen
Vor Beginn der Konferenz haben die Konferenzleiter, die derzeitigen Vorsitzenden der UN-Organisationen für Wissenschaft (SBSTA) und Umsetzung (SBI), Harry Vreuls und Nabeel Munir, in einem „Szenario“ ihre Erwartungen ausgebreitet. Darin beschwören sie die Delegierten, angesichts der knappen Zeit und der drängenden Fragen, effizient und konsensorientiert zu arbeiten. „Zeit-Management ist von absoluter Wichtigkeit in unserem Prozess“, schreiben sie, „während die Arbeitsbelastung immer größer zu werden scheint und die Ressourcen begrenzt sind.“
Weil 70 Events mit jeweils drei Stunden angesetzt seien, so die Konferenzleiter, müsse man eine Regel aus der SB56 aufgeben – dass keine Veranstaltungen parallel zu den Verhandlungen stattfinden sollen, um allgemeine Teilnahme zu garantieren. „Wir erwarten von allen Parteien, dass sie die Zeit während der Verhandlungen effizient nutzen und sich darauf konzentrieren, die Arbeit voranzubringen und Übereinstimmung zu erreichen“, so Vreuls und Munir.
Ob die SB58 mit den üblichen Verzögerungstaktiken und Zeitüberschreitungen der Konferenzen bricht, ist indes fraglich. Und auch der angemahnte „konstruktive Geist“ wird wohl dringend nötig sein bei den teilweise heftig umstrittenen Themen vor und hinter den Kulissen. Die Erwartungen an Dubai haben die Präsidentschaften von COP27 und COP28 zusammengefasst: Sie zeigen die ganze Bandbreite der üblichen Forderungen von schnellem Fortschritt bis hin zu „keine neuen Regeln“.
Strittig: Fossiler Ausstieg, CCS, Differenzierung, Geld
Beobachter erwarten auch, dass auf der Bonner Konferenz, wie üblich, der Ton fordernder und konfrontativer sein wird, ehe er auf der COP in Richtung Konsens umschwenken wird. Es wird um teilweise konträre Vorstellungen gehen:
- Die EU und Verbündete der „High Ambition Coalition“ wollen auf der COP28 einen Beschluss erreichen, der den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, einen Zeitplan dafür und für das Ende fossiler Subventionen vorsieht.
- Dagegen schmieden Ölstaaten unter der Führung des designierten COP28-Präsident Sultan al Jaber eine Front, um nur die CO₂-Emissionen und „Fossile Treibstoffe ohne CO₂-Abscheidung“ (unabated fossil fuels) zu eliminieren – und öffnen damit den Raum für umstrittene Techniken wie CCS.
- Ein globales Ziel für den Ausbau der Erneuerbaren wird eine Herausforderung in der Umsetzung (Verdreifachung des jetzigen Tempos) und der Finanzierung (eine Billion Dollar aus fossilen Subventionen umleiten, schlagen die kleinen Inselstaaten (AOSIS) vor).
- Der Streit um „Differenzierung“ zwischen alten Industrieländern („Annex I“) und dem Rest der Welt lebt wieder auf. Nun auch, wenn es um Pflichten beim „gerechten Übergang“ zu kohlenstofffreien Gesellschaften geht – also um die Idee, dass reiche Länder noch stärker die grüne Transformation der armen Staaten finanzieren sollen.
- Hinzu kommt eine Debatte um Arbeit und Finanzierung des UN-Klimasekretariats, das ein neues Budget braucht und nach zwei Vorschlägen entweder mit Null-Wachstum oder einem Plus von 42 Prozent rechnen kann.
- Es gibt eine Auseinandersetzung um Wege und Finanzierung von CO₂-Entfernung aus der Atmosphäre („CDR“). Neben einem umstrittenen Vorschlag des Sekretariats soll CDR nun auch bei den Marktmechanismen diskutiert werden.
- Immer wieder geht es um die Finanzierungsfragen: Die Aussage der Industriestaaten, die für 2020 versprochenen 100 Milliarden Dollar an Klimahilfen würden schließlich in diesem Jahr erreicht, sind bisher nicht mit Fakten unterlegt worden.