Mehr Hessen, weniger Bundespolitik: Wie sich Faeser bei der Landtagswahl Chancen ausrechnet
Trotz schwacher Umfragen hält SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser einen Wahlsieg der Sozialdemokraten noch für möglich – sollte die Bundespolitik den Wahlkampf weniger dominieren.
Offenbach – Als Bundesinnenministerin steht Nancy Faeser stark im Licht der Öffentlichkeit in Berlin. Doch in diesen Tagen möchte die 53-Jährige lieber über Hessen sprechen. Denn dort will die Sozialdemokratin ihre Partei nach 25 Jahren wieder in die Regierung führen. Wie sie das trotz niedriger Umfragewerte noch erreichen möchte, erklärt sie im Interview.
Sie leiten eines der bedeutendsten Ministerien in Berlin, wollen aber lieber hessische Ministerpräsidentin werden. Warum? Ist der Wind zu rau in Berlin?
Für mich war Hessen immer Herzensangelegenheit. Ich möchte die erste Ministerpräsidentin in meinem Heimatland werden. Ich weiß, was wir alles bewegen können, wenn wir eine Regierung anführen. Das ist mein Ziel.
Noch vor wenigen Monaten haben Sie in Hessen keinen Dreikampf um die Macht gesehen, sondern ein Duell mit der CDU. Inzwischen liegen die Grünen in Umfragen gleichauf mit ihrer Partei und die CDU hat einen Vorsprung von mehr als zehn Prozent. Wie wollen Sie das Ruder noch herumreißen?
Die Hälfte der Wählerinnen und Wähler ist noch unentschlossen. Da ist noch alles drin. Sobald hessische Themen in den Vordergrund rücken, werden sich viele neu orientieren. Jetzt dominiert die Bundespolitik noch sehr stark. Wenn es gelingt, dass mehr über Hessen gesprochen wird, haben wir sehr gute Chancen.

Landtagswahl Hessen: Nancy Faeser im Interview zur Causa Schönbohm
Steht Ihnen Ihre Doppelrolle nicht doch ein bisschen im Weg? Allein die Termine in Hessen bringen Sie immer wieder in die Bredouille, wie zuletzt in der Causa Schönbohm. Krank im Bundestag, aber ein Interview in Hessen - das ist schwer vermittelbar...
Ich war nicht mehr krank, ich hatte nach meiner Corona-Erkrankung einen wichtigen Arzttermin in meiner Heimatstadt. Es war doch klar, dass die CDU mich angreifen wird. Dass sie aber wider besseres Wissen bewusst die falsche Behauptung aufstellt, hier sei der Verfassungsschutz instrumentalisiert worden, hätte ich mir nicht vorgestellt. Ich habe das im Plenum des Bundestages sehr klar zurückgewiesen und werde das im Innenausschuss wieder tun. Und übrigens war ich schon zuvor drei Mal im Innenausschuss, wo die CDU ihre Fragen hätte stellen können - die hat aber jetzt im Wahlkampf erst das Bedürfnis.
Sie haben sich aber viel Zeit gelassen, die genauen Gründe für Schönbohms Versetzung zu präzisieren. War das nicht viel zu spät?
Ich habe schon, nachdem die Entscheidung im Oktober 2022 fiel, gesagt, dass ich kein Vertrauen in seine Amtsführung.
Erst jetzt kamen aber neue Details ans Licht ...
An den Gründen für die Entscheidung hat sich nichts geändert. Die jetzigen Fragen betreffen eine anschließende Prüfung, um die Herr Schönbohm selbst gebeten hat. Und die ist ordnungsgemäß gelaufen.
Nancy Faeser: Bildung als Alleinstellungsmerkmal der SPD bei der Landtagswahl Hessen
Die Kritik an der Ampelkoalition ebbt nicht ab. Das Heizungsgesetz ist höchst umstritten, ebenso wie Ihre Asylpolitik. Ihre jüngsten Initiativen gegen Clankriminalität und Schleuser werden bisweilen als Wahlkampftaktik abgetan, ohne dass sich konkret etwas bewegt...
Wir haben als Bundesregierung sehr viel bewegt: Innerhalb kürzester Zeit haben wir nach Beginn des russischen Angriffskriegs die Energieversorgung neu organisiert, den Mindestlohn erhöht und das Bürgergeld eingeführt. Auch in meinem Bereich haben wir viel erreicht: Wir haben mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz endlich die Grundlage geschaffen, um die Fachkräfte ins Land zu holen, die unsere Wirtschaft so dringend braucht. Ich habe die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ins Parlament gebracht. Ich habe in harten Verhandlungen eine Einigung für ein gemeinsames Asylsystem erreicht - und damit künftig den Schutz der Außengrenzen und eine Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Damit habe ich in zwei Jahren mehr geschafft als viele meiner Vorgänger.
In den Kommunen kommt das aber nicht an. Einen Rückgang der Flüchtlingszahlen konnten Sie nicht bewirken - im Gegenteil. Viele Landräte schlagen Alarm...
Wir haben ja auch mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Das ist ein riesiger Kraftakt. Der Bund hilft mit Milliarden an Unterstützung, mit Unterkünften, mit Einsätzen des THW und vielem mehr. Im Übrigen haben wir die Maßnahmen an den Grenzen deutlich verstärkt, um unerlaubte Einreisen zu verhindern.
In Hessen zeichnet sich kein Wahlkampfthema ab, das man wirklich einer Partei zuschreibt. Was ist das Alleinstellungsmerkmal der SPD?
Die SPD hat das ganze Land im Blick. Wir werden den Fachkräftemangel bekämpfen: An Kitas, in Schulen, bei Ärzten, Pflegern und im Handwerk. Darum hätte sich die Landesregierung viel früher kümmern müssen. Unser Alleinstellungsmerkmal ist vor allem die Bildungspolitik. Für mich stehen unsere Kitas und unsere Schulen an erster Stelle. Wir wollen Bildungsland Nummer eins werden.
Die Bildungspolitik steht aber auch bei allen anderen Parteien stark im Fokus...
Das spiegelt sich aber überhaupt nicht in deren Handeln wider. Die CDU hat in fast 25 Jahren in der Regierung viel zu wenig gemacht. Wir wollen echte Ganztagsschulen und kostenfreie Bildung auch für Unter-Dreijährige. Das gibt es nur mit der SPD. Der Schlüssel für bessere Bildung und mehr Bildungsgerechtigkeit sind zudem kleinere Klassen und mehr Lehrer. Auch die Durchlässigkeit des Systems, etwa von der Realschule ins Gymnasium, muss besser werden. Wir brauchen zudem mehr Berufsorientierung.
Dem Fachkräftemangel wollen Sie mit einem zusätzlichen Feiertag begegnen. Wird das reichen?
Das ist eine von 33 Maßnahmen, die ich vorgestellt habe. Wir müssen zum Beispiel auch die Berufsschulen stärken, Bauarbeiter bei öffentlichen Vergaben besser bezahlen und die Einhaltung von Tarifen stärker kontrollieren.
Der Traum von der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist weitgehend geplatzt. Warum?
Wir setzen jetzt auf Integration von Anfang an. Im letzten Jahr haben mehr als 400 000 Menschen einen Integrationskurs begonnen - mehr als in 2019, 2020 und 2021 zusammen. Über Integration und Deutschkenntnisse bringen wir auch mehr Menschen in Arbeit. Außerdem haben wir im Fachkräfteeinwanderungssystem einen Spurwechsel eingeführt, damit wir die beruflichen Potenziale von Flüchtlingen nutzen, die schon lange hier leben.
„Hessen braucht nach 25 Jahren CDU-Regierung den Wechsel“
Wie wollen Sie günstigen Wohnraum schaffen?
Wir werden die Spekulation auf Leerstand verbieten. Dafür brauchen wir ein Wohnraumzweckentfremdungsgesetz. Und es geht nichts über Bauen. Wir brauchen auch mehr Sozialbindung.
Sie hoffen auch im Land auf ein Bündnis mit Grünen und FDP als Machtoption. Wie wollen Sie den Hessen eine Ampel schmackhaft machen?
Hessen braucht nach 25 Jahren CDU-Regierung den Wechsel. Den gibt es nur mit einer SPD-geführten Landesregierung. Die Ampel ist dabei eine Option, für die es in Rheinland-Pfalz ein sehr gutes Beispiel gibt.
Interview: Christiane Warnecke und Sven Weidlich
Zur Person
Die SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser (53) ist seit Februar Spitzenkandidatin für die Landtagswahl. Seit Dezember 2021 führt sie das Bundesinnenministerium. Zuvor war Faeser seit 2019 SPD-Fraktionschefin im Landtag, dem sie seit 2003 angehörte. Sie lebt mit Mann und Sohn in Schwalbach. ch