"Von den Mächtigen verachtet": Die Geschichte der "Frankfurter Zeitung"
Wenn Zeitungen unter Repression leiden, wenn sie von Bürgern als Wahrheitsverdreher und vom Staat als Vaterlandsverräter gebrandmarkt werden, dann mögen sie aus Sicht von Leopold Sonnemann einiges richtig gemacht haben. Heute vor 150 Jahren erschien zum ersten Mal unter seiner Herausgeberschaft die „Frankfurter Zeitung“. Sie wurde zu einer Legende der freien und kritischen Berichterstattung.
Leopold Sonnemann feierte kurz zuvor Geburtstag. Als die „Frankfurter Zeitung“ im November 1866 zum ersten Mal erschien, hatte der 35-jährige Sohn eines Webers schon die Tuchhandlung seiner Familie erfolgreich in ein Bankhaus umgewandelt, ein Millionenvermögen an der Börse verdient und das damals noch ferne Amerika bereist. Er soll persönlich im Jahr 1848 die Nationalversammlung besucht haben und geprägt gewesen sein vom Glauben an Demokratie und Freiheit.
Als Verleger hatte er bereits 1856 einen Börsendienst und später die Vorläuferzeitung „Frankfurter Geschäftsbericht“ publiziert, erstens, weil es ein ähnliches Produkt schlicht noch nicht gab und zweitens, um „auf die Gefahren des Aktienwesens“ aufmerksam zu machen.
Auf Unrechtes aufmerksam machen, das wird eine Triebfeder für Sonnemanns journalistisches Arbeiten gewesen sein. Als Sohn einer jüdischen Familie hatte er die üblichen Diskriminierungen der Zeit mehrfach erfahren. So siedelte die Familie von seinem Geburtsort bei Würzburg nach Offenbach um, als die Berufsrechte der Juden in Bayern per Gesetz eingeschränkt wurden. Nach Frankfurt zog er erst, als die Stadt im Jahr 1849 den Zuzug von Juden erlaubte.
Laut der 1906 veröffentlichten „Geschichte der Frankfurter Zeitung“ lagen seine journalistischen Beweggründe „in dem Drucke, welchen die politischen Verhältnisse auf seinen Stand und auf die Verkehrswelt ausübten“. Erzählt wird die Anekdote, wie er auf einer Reise von Bremen über Köln nach Frankfurt mehrmals wegen Unstimmigkeiten mit seinem Pass verhört wurde. Auf einer anderen Fahrt steckte man ihn kurzerhand über Nacht ins Gefängnis. Empört schrieb Sonnemann danach seinen ersten journalistischen Artikel mit dem Titel „Abenteuer im Spessart“. Er wurde von keiner Zeitung angenommen.
Die Zurückweisung eines anderen Artikels über fragwürdige Praktiken im Aktiengeschäft einer Eisenbahngesellschaft motivierte ihn schließlich zur Gründung eines eigenen Organs. Sonnemann notierte: „Ich fühlte, dass hier eine Lücke in der Tagespresse bestand und dass ich vielleicht berufen sein könnte, an der Ausfüllung derselben mitzuwirken.“
Die liberale „Frankfurter Zeitung“ brachte die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeitern zur Sprache, sie stritt für Bildungschancen und bessere hygienische Bedingungen.
Soziale Frage
Lange bevor der Begriff der „sozialen Frage“ im politischen Sprachgebrauch auftauchte, fand der Diskurs darüber in der „Frankfurter Zeitung“ (FZ) statt. Bernhard Guttmann, der von 1899 bis 1930 Redaktionsmitglied, Korrespondent und unter anderem Leiter des Berliner Büros der FZ gewesen ist, bezeichnete ihre Kernaufgabe im Rückblick als „eine Art gesellschaftliche Ausgleichsarbeit“.
Mit Leopold Sonnemann und dem ersten Wirtschaftsredakteur der Zeitung, Max Wirth, wurde zeitgleich eine Tradition kritischer Wirtschaftsberichterstattung begründet, wie es sie in Deutschland zuvor nicht gegeben hatte. Die Redaktion wies auf die volkswirtschaftlichen Gefahren ungezügelter Geldschöpfung hin, pochte auf Regulierung im Aktienhandel und betrieb eine systematische Konjunkturbeobachtung, als vielerorts Marktschwankungen noch als Gott gegeben angesehen wurden. Als die Industrialisierung auch im bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eher rückständigen Deutschland richtig Fahrt aufnahm, begleitete die FZ die technologischen und ökonomischen Veränderungen stets mit einem ruhigen, distanzierten Optimismus. Die Frage lautete: Wer gewinnt und wer verliert?
Im reaktionären Klima des Deutschen Reiches stand die Zeitung unter ständiger Beobachtung. Guttmann schrieb dazu später: „Die Idee, der die FZ entsprang, wurde sechzig Jahre lang von den Mächtigen in Deutschland mit Verachtung behandelt.“ Regelmäßig landeten ihre Redakteure im Gefängnis. Mehrfach hieß die Straftat schlicht: „Bismarckbeleidigung“. Regelmäßig kam es zu Zeugniszwangsverfahren und zu polizeilichen Beschlagnahmungen ganzer Auflagen. In einem Sonderheft der Zeitschrift „Gegenwart“ aus dem Jahr 1956 heißt es: „Die Redakteure lösten einander in der gesetzlichen Verantwortung ab und gingen abwechselnd ins Gefängnis.“ Drei Monate musste zum Beispiel der Philologe Josef Stern sitzen, letztlich weil sich Bismarck im Jahr 1878 über die FZ-Kritik an den Sozialistengesetzen geärgert hatte.
Als Wilhelm II. in seinem krankhaft übersteigerten Machtgedanken auf den Ersten Weltkrieg zutaumelte, „war es für eine Zeitung wie die Frankfurter schwer, in der Hochflut des kriegerischen Nationalismus ihre unabhängige Meinung zu Gehör zu bringen“. Während sie versuchte, für Besonnenheit und die europäische Gemeinschaft zu plädieren, erntete sie vielfach Vorwürfe von Bestechung, Verrat und Verschwörung.
Die „Frankfurter Zeitung“ hatte den Deutschen Bund überdauert, Bismarcks Deutsches Reich und die Weimarer Republik. Am 31. August 1943 setzten die Nationalsozialisten dem Blatt auf persönlichen Befehl Hitlers ein Ende. Bis heute ist nicht geklärt, ob die Nazis die Frankfurter haben machen lassen, weil sie vor der Weltöffentlichkeit ein liberales Deckmäntelchen erhalten wollten oder weil sie schlicht die Reaktionen auf eine Schließung fürchteten. Es gilt als Tatsache, dass die Gestapo es nie geschafft hat, einen Spitzel in der Redaktion zu gewinnen oder einzuschleusen.
Kritik als „Klopfzeichen“
Kritische Artikel waren dennoch seit der Machtergreifung nicht mehr möglich. Benno Reifenberg, der ehemalige Leiter der Politikressorts, sprach nach dem Krieg von verschlüsselten Botschaften an die liberale Leserschaft; er nannte sie „Klopfzeichen“, in Anlehnung an die Kommunikation von Gefängnisinsassen. Der Historiker Ephraim Maron analysierte später alle Ausgaben der „Frankfurter Zeitung von 1933 bis 1943. Er kam zu dem Ergebnis: „Indirekt und verblümt hat die ’Frankfurter Zeitung’ mit ihren Artikeln bis zum Schluss Widerstand gegen das Naziregime geleistet.“
Acht Jahrzehnte lang prägte die linksliberale Zeitung die öffentliche Debatte in einem Deutschland, das sich erst finden musste. Der „Spiegel“ sah in der „Frankfurter Zeitung“ gar die Weltpresse verkörpert und stellte sie in der Rückschau gleich mit der „Times“ aus London, der „New York Times“ und „Le Temps“ aus Paris.
Es bleibt eine winzige Randnotiz der Geschichte, aber es ist schon ein bemerkenswerter Zufall, dass am Dienstag, einen Tag vor diesem Jubiläum, in der „Frankfurter Neuen Presse“ und vielen anderen deutschen Zeitungen ein Hilferuf der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ erschien. „Cumhuriyet“ soll in unseren Tagen zum Schweigen gebracht werden, weil der türkische Staat sie nicht auf Linie bringen kann. 13 Journalisten und Verlagsmitarbeiter sind in den vergangenen zwei Wochen verhaftet worden. Die Geschichte wiederholt sich, wieder und wieder – deswegen ist es unabdingbar, sich mit ihr zu beschäftigen.