Die wahren Volkswagen

Wenn es darum geht, das Marktpotenzial des Carsharing zu beschreiben, drücken Öko-Aktivisten, politische Visionäre und Verkehrswissenschaftler seit jeher mächtig aufs Gas.
Wenn es darum geht, das Marktpotenzial des Carsharing zu beschreiben, drücken Öko-Aktivisten, politische Visionäre und Verkehrswissenschaftler seit jeher mächtig aufs Gas: „Hier arbeitet man am endgültigen Aus für die Autoindustrie“, hieß es schon vor 28 Jahren, als mit „Stattauto“ der erste Carsharing-Anbieter an den Start ging – 2,45 Millionen Kunden innerhalb von drei Jahrezehnten prophezeiten damals sogenannte Experten der Branche hierzulande.
Die Realität sieht indes anders aus: Zwar ist ausgerechnet Deutschland – das Land der großen Autokonzerne – prozentual der wichtigste europäische Markt: Rund die Hälfte aller Carsharing-Autos ist auf den hiesigen Straßen unterwegs. Aber davon abgesehen, dass die Wachstumskurve inzwischen deutlich abflacht, fahren letztlich nur 1,5 Prozent der Fahrberechtigten auf die automobile Kurzzeitautonomie ab. Zudem sind unter den 1,26 Millionen registrierten Nutzern zweifellos Mehrfachanmeldungen bei unterschiedlichen Anbietern und Karteileichen zu berücksichtigen. So ist in den vergangenen Jahrezehnten der Pkw-Bestand in Deutschland denn auch weiter gewachsen: von gut 30 Millionen Autos Anfang der 90er auf 45 Millionen.
Heißt: Auf dem Weg zu einer neuen Mobilitätskultur kommt das Carsharing-Konzept – dessen Autos eigentlich die wahren Volkswagen präsentieren – nur im Zuckeltempo voran, ist es noch weit davon entfernt, den Verkehr merklich zu entlasten. Und daran wird sich so bald nichts ändern.
Zwar haftet dem Carsharing-Nutzer nicht mehr das Image des fortschrittlichen Weltverbesserers an, der Smog- durch Snob-Schwaden ersetzt. Mittlerweile sind die ökonomischen Aspekte in den Vordergrund gerückt, die zumindest in der Großstadt eindeutig für Carsharing sprechen – Privat-Fahrzeuge warten hier im Schnitt 95 Prozent des Tages auf ihrem Parkplatz und werden so zu Stehzeugen.
Aber zum einen hat die Politik, allen voran das Bundesverkehrsministerium, es immer noch nicht vermocht, gesetzliche Regelungen zur Förderung des Carsharing zu schaffen – beispielsweise in Form rechtssicherer Stellplätze für des Volkes Wagen. Zum anderen endet der Wunsch der meisten Nutzer nicht beim Auto; sie wollen ein Gesamtangebot aus möglichst vielen Verkehrsmitteln.
Dazu ist ein Zusammenspiel aus Fernverkehr, öffentlichem Nahverkehr, Car- und Bikesharing, Taxis und schlichtem Fußweg nötig. Smartphones und Apps machen eine solche Vernetzung heutzutage zwar möglich. Aber entsprechende Angebote stecken noch in den Kinderschuhen. Erst wenn Mobilitätsdienstleister, Kommunen und Verkehrsverbände diese zusammen zur Reife gebracht haben, kann sich Carsharing durchsetzen, können wir die Probleme, die der Individualverkehr vor allem in den Großstädten verursacht, in den Griff bekommen.