Psychiater erklärt, warum ADHS, Autismus und Tourette auf Tiktok so gut ankommen
Soziale Medien sind gefüllt mit Videos von Tieren, Schminktipps, Tanzeinlagen – und Ratgebern rund um psychische Krankheiten. Warum dies gefährlich werden kann.
„Hast du ADSH?“, „Die lustigsten Momente mit Tourette“, „Zehn Anzeichen von Autismus“ heißen die unterhaltsamen Clips und verzeichnen rekordverdächtige Aufrufzahlen. 14,8 Millionen mal wurde allein das Video „Trying to do a covid test with tourettes“ (Der Versuch, sich mit Tourette auf Corona zu testen) auf Tiktok angeschaut.
Doch kaum eines dieser Videos stammt von einem Experten auf diesem Fachgebiet. Es sind die Betroffenen selbst, meist Teenager oder junge Erwachsene, die von ihren Symptomen und ihrem Alltag mit psychischen Erkrankungen berichten. Sie zählen etwa auf, woran sie erkannt haben, dass sie eine psychische Erkrankung haben und wie sie sich dadurch von „neurotypischen“ Menschen unterscheidet. Im Internet werden ADHS, Borderline oder das Autismus-Spektrum mit Asperger-Syndrom zum Identitätsmerkmal. Der Psychiater Knut Schnell erklärt im Interview, warum man solche Videos mit Vorsicht konsumieren sollte.
ADHS, Tourette, Autismus – Kann man sich über Social Media anstecken?

Es sind Videos, die Risiken bergen, so Knut Schnell, Ärztlicher Direktor des Asklepios Fachklinikums für Psychiatrie und Psychotherapie Göttingen im Interview mit IPPEN.MEDIA. „Bei einem Menschen, der die Erkrankung gar nicht hat, kann sich der Eindruck fälschlicherweise verfestigen: Ich bin krank.“
Denn wer sich einmal so ein Video ansieht und etwas länger verweilt, dem wird der Algorithmus immer wieder ähnliche Inhalte vorschlagen, erläutert der Psychiater. Wohin das führen kann, zeige ein Fall aus der Zeit der Corona-Pandemie. Während des ersten Lockdowns verzeichneten Neurologen in Kanada einen Anstieg junger Patienten, die sich mit Tourette-Symptomen bei ihnen vorstellten, berichtet Schnell. Viele von ihnen glaubten, ebenfalls Tourette zu haben. Sie hatten sich zuvor Videos in sozialen Netzwerken von Menschen mit Tourette angeschaut. Doch die Patienten hatten tatsächlich kein Tourette – sondern nur eine sogenannte funktionelle oder dissoziative Störung.
Wie am beste zu handeln ist, wenn man sich als Zuschauer in den Videos wiedererkennt und was für positive Effekte die Tiktoks trotz allem haben, erläutert der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Videointerview.
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unserer Redaktion leider nicht beantwortet werden.