Süß und fettig: Kinder essen zu oft ungesund
Deutlich mehr Kinder und Jugendliche als noch in den 1990er Jahren gelten in Deutschland heute als zu dick. Kein Wunder, meinen Experten. Denn das Angebot an ungesundem Essen ist riesig.
Deutlich mehr Kinder und Jugendliche als noch in den 1990er Jahren gelten in Deutschland heute als zu dick. Kein Wunder, meinen Experten. Denn das Angebot an ungesundem Essen ist riesig.
„Heute kann man zu jeder Zeit und an jeder Ecke Softdrinks und Industrienahrung bekommen”, sagt etwa Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Sprecher der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten. Die Folgen seien verheerend, betont er mit Blick auf Diabetes und andere chronische Krankheiten. Von einem regelrechten „Tsunami an Krankheiten”, der auf die Deutschen und Europäer zurolle, warnt Stefanie Gerlach vom Vorstand der Deutschen Adipositas Gesellschaft.
Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie, Informationen und Aufklärung über gesunde Ernährung - all das reicht aus Sicht der Experten nicht mehr aus, um einen grundlegenden Wandel zu einem gesünderen Essverhalten von Kindern zu erreichen. Dabei sei es so wichtig, schon bei den Jüngsten anzusetzen. Schließlich würden hier die Grundlagen für das spätere Essverhalten gelegt. „Es wurde viel getan, aber die Strategie ist gescheitert”, sagt Garlichs.
Der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft verweist darauf, dass es beim Kampf gegen Übergewicht darum gehen müsse, gemeinsam sinnvolle Ansätze zu entwickeln, die nachhaltig wirken können. Das erklärt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). In der Mitteilung heißt es: „Wir brauchen Bildung, Bewegung und Balance, gerade für Kinder. Daran arbeiten wir intensiv mit.”
Garlichs unterstützt die Forderung der Verbraucherschutzorganisation nach einem Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) müsse dafür sorgen, dass nur noch gesunde Lebensmittel an Kinder vermarktet werden dürfen, sagt der Foodwatch-Experte für Kinderernährung Oliver Huizinga.
Aus Sicht von Gerlach wäre der jetzige Zeitpunkt günstig. Erst im Frühjahr habe die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Methode veröffentlicht, die die Einteilung von Lebensmitteln in gesund und ungesund erleichtere. Lange habe darüber Unklarheit geherrscht. Das Modell hilft, Lebensmittel je nach ihrem Gehalt an Fetten, Zucker und Salz in Kategorien einzuteilen. Regierungen könnten es als Grundlage für Werbeverbote nutzen, sagt Gerlach.
Große Hersteller haben sich bereits 2007 ein „verantwortungsvolles Marketing” für Kinderlebensmittel auf die Fahnen geschrieben. Doch die in dieser freiwilligen Selbstverpflichtung verankerten Nährwertgrenzen sind aus Sicht der Kritiker viel zu lasch. So erlaube die WHO beispielsweise bei Frühstücksflocken einen Zuckergehalt von 15 Prozent, die Selbstverpflichtung aber 30 Prozent, kritisiert Foodwatch. Eine Untersuchung der Organisation zeigt, dass 90 Prozent der Kinderlebensmittel der deutschen Unterzeichner nicht den strengeren WHO-Kriterien genügen. An die Selbstverpflichtung halten sich die Unternehmen laut einem Bericht aber weitgehend.
Der BLL kritisiert die Studie von Foodwatch als „unseriös und effektheischend”. Die Organisation verunglimpfe sichere und qualitativ hochwertige Lebensmittel aufgrund von Nährwertprofilen, die eine reine Empfehlung darstellten, sagt Minhoff laut der Mitteilung. Außerdem informierten die Hersteller über die Inhaltsstoffe und klärten auf.
15 Prozent der Kinder und Jugendlichen gelten laut Studien als übergewichtig. Daran, dass Kunden eigenverantwortlich immer richtig einschätzen, wie viel gesund ist, glauben die Experten nicht. „Die Menschen schaffen das nicht”, sagt Gerlach. Die Industrie stehe ebenfalls in der Verantwortung und müsse gesunde Lebensmittel herstellen, betont Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. Dass sie das angesichts der höheren Gewinnspannen bei zucker- und fetthaltigen Produkten zu wenig tue, sei nicht erstaunlich: „Dass hier mit Freiwilligkeit nichts zu holen ist, ist doch klar”.
Fettleibigkeit bei Kindern und Erwachsenen hat in denvergangenen 20 Jahren deutlich zugenommen. Die Fachbezeichnung fürdie extreme Form des Übergewichts ist Adipositas.
Ab wann gilt man als fettleibig?
Laut Weltgesundheitsorganisation gelten Menschen mit einemBody-Mass-Index (BMI) von 25 bis 30 als übergewichtig und mit einemBMI von mehr als 30 als adipös, also fettleibig. Den BMI erhält man,indem man sein Gewicht durch die Körpergröße zum Quadrat teilt. BeiKindern und Jugendlichen ist eine BMI-Kategorisierung schwieriger, daes große individuelle Entwicklungsunterschiede gibt.
Warum ist Adipositas so gefährlich?
Betroffene leiden oft unter Bluthochdruck, hohen Cholesterinwerten,einem erhöhten Diabetesrisiko, Herzschwäche, einer Fettleber undGelenkproblemen. Auch die Wahrscheinlichkeit, an bestimmtenKrebsarten zu erkranken, steigt. Wenn Betroffene ausgegrenzt werden,leidet häufig die Psyche. Allein durch Adipositas entstehen inDeutschland laut der Verbraucherorganisation Foodwatch etwa 20Milliarden Euro Zusatzkosten für das Gesundheitswesen.
Wo finden Betroffene Hilfe?
Es gibt spezielle Adipositas-Kliniken, wo sich Ärzte, Therapeuten undPsychologen um die Patienten kümmern. Die erste Maßnahme zurGewichtsreduktion sind ein maßvolles Essverhalten und ausreichendBewegung. Eine Operation gilt erst als ratsam, wennErnährungsberatungen und andere Methoden keinen Erfolg bringen.
(Von Anja Sokolow, dpa)