Warum sind gerade alle krank? „Immunschuld“ nach Corona als Ursache – Immunität fehlt zum Teil komplett
Grippe, RSV-Infektionen und grippale Infekte: 2022 kommt es vermehrt zu Krankheitsausfällen. Die Corona-Pandemie trägt ihren Teil dazu bei.
RSV-Infektionswelle, höchste Krankenstand-Zahlen in Unternehmen seit Jahren und Kliniken, die über Personalmangel durch Krankheitsausfälle berichten: Der erste Winter nach Abflauen der Corona-Pandemie hat es in sich. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Zahl der Patienten mit akuter Atemwegserkrankung in Deutschland auf zirka 9,3 Millionen – und das alleine in der zweiten Dezemberwoche 2022. Damit haben ungewöhnlich viele Menschen derzeit mit einem Atemwegsinfekt wie Influenza oder grippalem Infekt zu kämpfen. Die Grippewelle, die mit hohen Fallzahlen einhergeht, beginnt somit in dieser Saison früher als sonst im Januar.
Im wöchentlichen RKI-Bericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza mit Stand Mitte Dezember 2022 heißt es, dass die Zahl der Patienten mit Atemwegsinfekten „weiterhin sehr deutlich über dem Bereich der Vorjahre zu dieser Zeit“ liegt und das „Niveau, das zum Höhepunkt der starken Grippewelle 2017/18 beobachtet wurde, überschritten“ ist. Die meisten gemeldeten Krankheitsfälle entfallen dem Bericht zufolge auf eine Infektion mit Influenzaviren.
Forschende und Mediziner beschäftigen sich derzeit mit der Frage, ob und wie die Coronapandemie und die damit einhergehenden Infektionsschutzmaßnahmen mit der aktuellen Krankheitswelle zusammenhängen.

Viren bekämpften: Antikörper bleiben Jahre erhalten
In diesem Zusammenhang fällt derzeit häufiger der Begriff „Immunschuld“. Vertreter der These bezeichnen damit eine Schwächung des Immunsystems durch die Corona-Schutzmaßnahmen, die infolge aktuell zu mehr Krankheitsfällen führt. Doch können Masken, Ausgangssperren und verbotene Großveranstaltungen tatsächlich für die Welle an Atemwegserkrankungen verantwortlich sein?
Colin Furness, Epidemiologe an der Universität Toronto, verneint an dieser Stelle. Das Immunsystem funktioniere nicht wie ein Muskel, der ständig trainiert werden müsse, so der Experte. Wie ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) zitiert, funktioniert die körpereigene Abwehr eher wie eine Fotosammlung, die das Besondere der Erreger festhält. Nachdem das Immunsystem mit einem Virus in Kontakt kommt, werden im Idealfall Antikörper produziert, die den Krankheitserreger bekämpfen. Ist dies einmal geschehen, kommt das immunologische Gedächtnis zum Tragen: Nach erneutem Kontakt mit demselben Erreger „erinnert“ sich unsere Abwehr und baut schnell die individuell zum Virus passenden Antikörper nach. Gedächtnis-Zellen, die für das immunologische Gedächtnis sorgen, bleiben auch nach Abklingen der Erkrankung jahrelang im Körper und speichern wie eine Datenbank alle Informationen über den abgewehrten Erreger. So eine Information des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums. Man muss sich also nicht alljährlich immer wieder neu mit dem Virus anstecken, damit eine gute immunologische Abwehr gewährleistet ist.
Veränderte Viren als Herausforderung für das Immunsystem
Allerdings gibt es viele Erreger, die sich weiterentwickeln, etwa das Influenzavirus, das grippekrank macht. Daher müssen auch Grippeschutzimpfstoffe jährlich neu angepasst werden, um einen Schutz vor der Krankheit zu gewährleisten. Während der Pandemie waren viele Menschen durch Maske und andere Infektionsschutzmaßnahmen vor dem Virus geschützt. Der fehlende Kontakt mit den mutierten Viren führt dazu, dass dem Immunsystem die aktuellen Informationen über den entsprechenden Krankheitserreger fehlen. Das Immunsystem kann infolge nicht so schnell reagieren wie bei Erregern, deren Aufbau es gut kennt. Die Antikörper müssen erst produziert werden, die Viren haben daher mehr Zeit sich im Körper auszubreiten, was schwere Krankheitsverläufe wahrscheinlicher macht.
Fakt ist, dass sich in den vergangenen Corona-Jahren aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen weniger Menschen mit zirkulierenden Atemwegsinfekten angesteckt haben und entsprechend eine Immunität gegen bestimmte Viren ganz fehlt (wenn vorher noch nie Kontakt bestand) oder weniger ausgeprägt ist als noch vor der Pandemie, als man regelmäßiger mit sich verändernden Viren in Kontakt kam.