Als Ursache von CFS und LCS gilt ein Zellenergie-Defizit-Syndrom. Wie dieses zustande kommt, erläutert Dr. Dickreiter im ersten Teil seines Buches. Detailliert geht er auf die Grundlagen der Zellbiologie ein – in auch für den Laien sehr verständlicher Sprache. Grafiken geben zusätzliche Einblicke.
In seinem Buch gibt Dr. Dickreiter dann im Folgenden einen Überblick über die in Frage kommende Diagnostik – und hier wird es für Patienten interessant, wenn sich die Betroffenen beispielsweise bei ihrem Arzt nicht in den richtigen Händen fühlen und sich über mögliche Blut- und andere Tests informieren wollen. Der Autor geht zudem auf Krankheiten ein, die ausgeschlossen werden müssen. Alles mit dem Hinweis, dass neue Forschungen und deren Ergebnisse zu berücksichtigen sind.
Die zweite Hälfte des Buches ist der ganzheitlich-systembiologischen Therapie gewidmet. Hier finden Patienten viele Tipps, was sie selbst für ihre Regeneration tun können. Funktionen beispielsweise von Vitaminen und Mikronährstoffen werden erläutert und wie diese dem Körper zugeführt werden können. Nicht zuletzt macht ein „Blick hinter die Kulissen“ den Ratgeber interessant: Fallbeispiele und Interviews mit der Leiterin einer Selbsthilfegruppe oder dem Psychologen in einer Reha-Klinik zeigen Missstände im Umgang mit CFS und LCS auf.
In seinem Buch geht Dr. Dickreiter außerdem auf Mikronährstoffe, Säure-Basen-Regulation, Darmsanierung, Sauerstoff- und Physiotherapie ein.
Herr Dr. Dickreiter, es gibt Menschen, die nach einer Covid-Infektion nicht mehr richtig auf die Beine kommen. Warum?
Wir müssen hier grob drei Gruppen unterscheiden. Bei der Ersten wurden durch die Infektion Organe geschädigt, zum Beispiel Lunge oder Herz. Das hat natürlich langwierige Folgen. In der zweiten Gruppe sind Menschen, die schon zuvor nicht ganz gesund waren. Sie brauchen folglich länger für die Regeneration. In Gruppe drei finden wir aber Patienten, die an einem Long-Covid-Syndrom (LCS) leiden, das einem postviralen Erschöpfungssyndrom entspricht. Dessen Symptomatik entspricht eins zu eins jener des Chronic-Fatigue-Syndroms (CFS).
Was bedeutet das für die Therapie?
Für die beiden ersten Gruppen ist die übliche Vorgehensweise in der Reha angemessen, also schrittweise Steigerung der Belastung. Aber bei der dritten Gruppe kann dies sogar gefährlich werden. Diese Patienten haben oft eine systemische Belastungsintoleranz. Eine zu hohe körperliche Belastung führt bei ihnen zu langwierige negativen Folgen, wie man vom Chronic-Fatigue-Syndrom weiß. Um richtig vorzugehen, muss der Arzt also dieses Krankheitsbild kennen und diagnostizieren. Das ist auch wichtig für die sozialmedizinische Beurteilung und für das Umfeld, denn beim Chronic-Fatigue-Syndrom können diese Menschen oft nie mehr das leisten, was sie zuvor leisten konnten.
Die Diagnose liegt in den Händen des Arztes. Welche Möglichkeiten aber hat der Patient?
Chronic-Fatigue-Syndrom oder Long-Covid-Syndrom sind zwei Namen für ein und dieselbe Krankheit. Die Betroffenen sagen oft: „Ich habe das Gefühl, mein Akku ist leer und lädt sich nicht mehr auf.“ Das sollte für den behandelnden Arzt ein Hinweis sein, dass hier ein Long-Covid-Syndrom beziehungsweise ein CFS vorliegen könnte. Wenn man als Patient das Gefühl hat, nicht verstanden zu werden, dann sollte man sich einen anderen Arzt suchen.
Ist das Long-Covid-Syndrom heilbar?
Es gibt dazu noch keine Zahlen, aber vom Chronic-Fatigue-Syndrom ist bekannt, dass die Fälle einer kompletten Heilung im unteren einstelligen Prozentbereich liegen. Aber diese wenigen Fälle zeigen, dass Selbstheilung möglich ist. Zumindest kann eine Verbesserung der Symptome erreicht werden. Dazu kann der Patient selbst mit seiner Lebensweise sehr viel beitragen.
In den Reha-Kliniken scheint man sich nicht immer dessen bewusst zu sein, dass unterschiedliche Therapien für die sogenannten Long-Covid-Patienten nötig sind.
Das ist eine traurige Tatsache. Denn wie gesagt, kann eine Steigerung der körperlichen Belastung richtig gefährlich werden. Wer sich in den falschen Händen fühlt, ob beim Arzt oder in der Reha, sollte sofort einen Stopp einlegen. Bei der Suche nach Informationen oder einem anderen Arzt können Selbsthilfegruppen Ansprechpartner sein – besonders solche für das Chronic-Fatigue-Syndrom.
Mit Ihrem Buch wenden Sie sich auch an Mediziner und Therapeuten. Was erhoffen Sie sich?
Das LCS und das CFS sind primär körperliche Erkrankungen und müssen als solche gesehen werden. Auch wir Ärzte haben die Symptome oft als psychosomatisch abgetan. CFS-Patienten berichten, dass die Diagnose ihrer Erkrankung bis zu sieben Jahre gedauert hat. Durch die falsche Therapie, bei der die Belastungsintoleranz nicht beachtet wurde, sind manche zu Pflegefällen geworden. Das ist erschütternd. Ich hoffe, dass Patienten mit dem Long-Covid-Syndrom differenzierter behandelt werden und durch den rasanten Anstieg der Patientenzahl mehr in die Erforschung dieser Krankheiten, ihrer Ursachen und möglichen Therapien gesteckt wird.