Fit gegen Multiple Sklerose: Hochintensives Intervalltraining zeigt vielversprechende Ergebnisse in neuen Studien

Neue Studien zeigen, dass Hochintensives Intervalltraining (HIIT) eine vielversprechende Methode sein kann, um den Fortschritt der Multiplen Sklerose (MS) zu stoppen und sogar umzukehren.
Es war ihm schon lange aufgefallen, dass manche Patientinnen und Patienten viel fitter waren, als die Bilder aus dem Kernspintomografen es vermuten ließen. „Auf dem Röntgenbild sah man viele Nervenschäden und ich rechnete mit einem Patienten in einem schlechten Zustand. Aber dann kam jemand herein, der gerade für einen Marathon trainiert“, erzählt der Neurologe Prof. Peter Rieckmann. „Es waren zumeist Frauen, die sich ihren Spaß an der Bewegung nicht nehmen lassen wollten und trotz gegenteiligem ärztlichem Rat die Anstrengung suchten, weil sie merkten, dass es ihnen guttut“, erzählt Prof. Rieckmann. Er habe sie unterstützt – weil er sah, dass es wirkt.
„Zugleich bemerkte ich bei vielen Patienten eine Art antrainierte Hilflosigkeit – sie blieben körperlich weit unter ihren Möglichkeiten und genau dies schien ihren Zustand weiter zu verschlimmern“, sagt Prof. Rieckmann. Insofern gab er den Patienten, die trotz MS weiter trainieren wollten, seinen ärztlichen Segen und mahnte sie lediglich, auf ihre körperlichen Grenzen zu hören.

Hochintensives Intervalltraining: Kurzzeitige Anstrengung mit langfristigem Nutzen gegen MS
Dass er recht hatte, zeigen neue Studien. Diese stellen die bisher geltenden Prinzipien bei der Therapie auf den Kopf. Denn statt sich zu schonen, sollen sich die Patienten nach den neuesten Erkenntnissen nun regelmäßig kräftig anstrengen, erklärt Prof. Rieckmann. „Hochintensives Intervalltraining (HIIT-Training) ist der Schlüssel, wie wir die Erkrankung in vielen Fällen aufhalten und sogar zurückdrehen können“, dieser Erfahrung mache er selbst in der täglichen Praxis in der Reha-Klinik.
Der Grund ist, dass die Körperzellen dann, wenn man sich kurzzeitig extrem anstrengt, das Protein BDNF bilden. Die Abkürzung stammt aus dem Englischen von den Worten „Brain-derived neurotrophic factor“, deutsch etwa: „Vom Gehirn stammender neurotropher Faktor“. Es handelt sich um einen Botenstoff, in der Fachsprache nennt er sich Neurotrophin. „Diese Botenstoffe bewirken, dass sich Nervenzellen zielgerichtet untereinander verbinden“, erklärt Prof. Rieckmann.
Prof. Rieckmann: „Hochintensives Intervalltraining kann MS sogar zurückschrauben.“
Indem BDNF die Vernetzung der Zellen untereinander stärke, bewahre es Nervenzellen vor der Zerstörung. Zudem kurbelt BDNF die Zell-Neubildung an. Durch diese Wirkungsweisen stoppt es MS, sodass sich die Erkrankung langfristig nicht verschlechtert. „Die Beweglichkeit wird erhalten und sogar wiederhergestellt“, beobachtet Prof. Rieckmann bei seinen Patienten. „Damit kann der durch MS eingetretene Schaden kompensiert und sogar teils repariert werden.“
Gebildet wird das Wachstum allerdings nur, wenn sich der Patient wirklich extrem anstrengt. Ob er dafür geeignet ist, müsse vorher ein Arzt klären. Insbesondere für Herzpatienten sei HIIT-Training nur nach vorheriger intensiver ärztlicher Untersuchung möglich.
So funktioniert der HIIT-Training gegen die tückische Nervenkrankheit
Das HIIT-Traning funktioniert folgendermaßen, erklärt Prof. Rieckmann: „Trainiert wird in sechs bis acht Intervallen, es wechseln sich extreme Belastung und aktive Erholung ab. Rund 30 Sekunden soll der Patient an seine persönliche Schmerzgrenze gehen und sich so stark anstrengen, dass es wehtut und er nach Luft schnappt. Der Puls kann dann kurzzeitig auf 140 bis 160 Schläge pro Minute ansteigen. Danach kommen zwei Minuten aktive Erholung, bei denen der Patient in Bewegung bleiben soll.“
Trainiert werden könne auf einem Fitnessrad, einem Stepper oder auch an einer Treppe oder im Schwimmbad. Für gute Ergebnisse reiche es, wenn man zweimal pro Woche HIIT-Training mache, so Prof. Rieckmann. Schon nach sechs bis acht Wochen zeigten sich positive Wirkungen.
Aber das Intervalltraining alleine reicht bei MS-Patienten nicht, um deren Zustand zu verbessern, betont Prof. Rieckmann: „Grundvoraussetzung dafür, dass sich der positive Effekt des hochintensiven Intervalltrainings entfalten kann, ist eine effiziente medikamentöse Unterdrückung der Entzündungsreaktion im Körper der MS-Patienten.“
Patientin Manuela Hutter: „Dank Intervall-Training kann ich jetzt sogar Bergsteigen“
Jammern, das kann Manuela Hutter nicht ausstehen. Die 44-jährige zweifache Mutter bekam die Diagnose Multiple Sklerose (MS) schon im Alter von 25 Jahren. Das war 2002. Damals hatte die Erzieherin aus Mainbernheim bei Würzburg keine Lust, sich über ihr Schicksal zu beklagen.
Sie blieb aktiv und machte weiter Sport – auch wenn die Ärzte teils davon abrieten. „Das war nicht immer einfach. Ich hatte sehr schlimme Phasen, aber ich mache für mein Leben gerne Sport, und das Joggen wollte ich mir nicht nehmen lassen, auch wenn es viele Ärzte gab, die prognostizierten, dass ich bald im Rollstuhl sitze“, erzählt sie.

Es kam anders – im Rollstuhl sitzt sie bis heute nicht. Wegen der MS kann Manuela Hutter zwar ihre rechte Körperhälfte nicht mehr so gut spüren und kann nicht mehr Tennisspielen. Aber dafür hat die Powerfrau jetzt ihre Liebe zum Wandern entdeckt. „Das war auf der Reha vor zwei Jahren, die hat mir die Augen geöffnet“, erzählt Manuela Hutter. Sie habe sich lange nicht für eine Reha entscheiden können „Eigentlich fühlte ich mich zu fit für eine Reha“, erzählt sie. Aber dann kam die Corona-Zeit und Manuela Hutter ging doch zu einer Reha in den Medical Park Loipl in Bischofswiesen bei Berchtesgaden. „Ich merkte schon nach kurzer Zeit, dass ich eigentlich noch viel mehr leisten kann, als ich dachte“, erzählt sie. Nach einigen Wochen hochintensiven Intervall-Trainings bei Prof. Peter Rieckmann (siehe Text oben) konnte sie sogar Höhenwanderungen machen. „Jetzt wandere ich gerne in bis zu 2000 Metern Höhe, ich habe das Gefühl, dass mir auch die Höhenluft guttut.“
Was sie trotz MS so hoch hinaufbringt, ist neben der Therapie durch Medikamente und dem Training ihr eiserner Wille. „Ich kämpfe seit 20 Jahren gegen die Krankheit an“, erzählt die 44-Jährige. Auch wenn ihr die MS manchmal übel mitspielt, gehe sie seit Jahren konsequent jeden Tag Joggen. Früher sei sie dabei regelmäßig gestürzt. Das passiere ihr jetzt nur noch ganz selten, seit sie regelmäßig Intervall-Training macht.
Multiple Sklerose: Entstehung und Symptome und klassische Therapievarianten
Die Multiple Sklerose (kurz MS) ist eine chronisch-entzündliche neurologische Erkrankung. Sie betrifft das zentrale Nervensystem, also das Gehirn, das Rückenmark und den Sehnerv, erklärt MS-Spezialist und Neurologe Prof. Peter Rieckmann. Die Krankheit verursacht zwei Arten von Schäden im Körper: Einerseits wird die Nervenisolierschicht beschädigt, in der Fachsprache nennt man das Demyelinisierung. Zudem werden Nervenfasern und -zellen abgebaut.
Das Tückische an MS ist, dass die Erkrankung unvorhersehbar und sehr unterschiedlich verläuft. „Zum einen gibt es Schübe, bei diesen können die Symptome auch wieder verschwinden. Zudem gibt es eine Form, die von Beginn an schleichend verläuft“, erklärt Prof. Rieckmann. Die Ursache für MS ist bis heute unbekannt. Es werde angenommen, dass es sich um eine Fehlreaktion des körpereigenen Abwehrsystems handelt, also um eine Autoimmunerkrankung. Da Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer, vermute man auch hormonelle Einflüsse, sagt Prof. Rieckmann.
Die Krankheit macht sich von Patient zu Patient unterschiedlich bemerkbar, erklärt der Neurologe. Häufige Symptome sind Taubheitsgefühl oder Kribbeln in den Beinen oder Armen, schnelle Erschöpfung und bleierne Müdigkeit. Weiterhin haben die Betroffenen oft Probleme bei der Darm- oder Blasenentleerung, Gleichgewichtsstörungen und Sehstörungen auf einem Auge. Seltener leiden sie schon früh auch an Lähmungserscheinungen.
Die klassischen Therapien gegen MS: Enorme Fortschritte dank Immuntherapien
Multiple Sklerose ist bis heute nicht heilbar, erklärt der Neurologe Prof. Peter Rieckmann. Doch lässt sich der Verlauf der Erkrankung mit Medikamenten verlangsamen und abschwächen. Bei der Behandlung gibt es unterschiedliche Formen, erklärt der Experte.
Bei der Schubtherapie geht es darum, einen akuten Schub, also eine plötzliche Verschlechterung, einzubremsen. Hierbei werden hauptsächlich Kortisonpräparate eingesetzt.
Bei der Basistherapie, auch langfristige Immuntherapie genannt, ist das Ziel, den Verlauf von MS zu beeinflussen. Hier soll insbesondere Schüben vorgebeugt werden, um so eine mögliche spätere Behinderung zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Da es sich bei MS um eine Autoimmunerkrankung handelt, spielt bei den Betroffenen die körpereigene Abwehr verrückt. Hier greifen die Immunmedikamente ein und verhindern, dass die Krankheit voranschreitet. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Forschung große Fortschritte gemacht, sodass Patienten dank neuartiger Medikamente ein fast normales Leben führen können.
Hierzu setzt man Medikamente ein, die das körpereigene Immunsystem beeinflussen. Es gibt sogenannte Immunmodulatoren, die das körpereigene Abwehrsystem verändern. Außerdem gibt es sogenannte Immunsuppressiva, die das Abwehrsystem so unterdrücken, dass es nicht mehr dem Körper selbst schadet.
In der symptomatischen Therapie werden Beschwerden wie Erschöpfung, Muskelkrämpfe oder Darmentleerungsstörungen gelindert. Dies gelingt durch Medikamente, Physiotherapie, Ergotherapie und auch Logopädie.
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unserer Redaktion leider nicht beantwortet werden.