Der weiße Rausch
Das „Schneetreiben“ beginnt mitten in New York: mit einem Blick auf die Skyline von Manhattan. Die Hektik der pulsierenden Metropole weicht plötzlich der Idylle in einem Winterparadies. Die Kulissen der Ski-Show in St.
Das „Schneetreiben“ beginnt mitten in New York: mit einem Blick auf die Skyline von Manhattan. Die Hektik der pulsierenden Metropole weicht plötzlich der Idylle in einem Winterparadies. Die Kulissen der Ski-Show in St. Anton wechseln aber nicht wie von Geisterhand geschoben – verschiedene Bilder der multimedialen Zeitreise werden in den Schnee projiziert. Die spektakulären Darbietungen auf dem WM-Hang sind freilich echt. Tollkühne Artisten zeigen waghalsige Sprünge mit Salti und Schrauben, Männer in historischer Kleidung die Entwicklung des Skifahrens vom Gewichtsverlagern bis zum Carven. Demo-Teams der Skischule verblüffen mit temporeichen Choreographien, Pistenbullys schießen ein Feuerwerk ab. Zum Finale dann ein bisschen Gänsehautfeeling: Vor 50 Nationalflaggen singt das internationale Publikum „We are the World“.
Das Programm „Schneetreiben – The Snow must go on“ vermittelt die Geschichte des Skisports von den Anfängen bis zur Gegenwart – und immer spielt der Arlberg die Hauptrolle. Die Zuschauer sehen mittwochs in 45 Minuten, warum die Region als Wiege des Skilaufs gilt und welche Meilensteine hier gesetzt wurden. Warum die Legende noch heute das Nonplusultra für leidenschaftliche Skifahrer darstellt, erleben sie in wenigen Urlaubstagen. St. Anton und St. Christoph auf der Tiroler und Lech und Zürs auf der Vorarlberger Seite inklusive ihrer Nachbarorte wuchern zu Recht mit Superlativen. Keiner ist übertrieben. 97 Anlagen erschließen 340 Kilometer markierte Pisten und 200 Kilometer im tiefen Pulver für Variantenfahrer (das Skigebiet rund um St. Anton ist das sportlich anspruchsvollere). Hinzu kommen Funparks für Freestyler und Snowboarder.
Grandiose Aussichten
Arlberg-Fans schwärmen von den reizvollsten und vielfältigsten Abfahrten in den Alpen. Sie würden auch schwören, dass nirgendwo das Bergpanorama faszinierender, der Himmel blauer und der Schnee weißer ist . . . Die beiden letzten Punkte natürlich erst nach ein paar Jägertee . . . Tatsächlich liegt die weiße Pracht hier in der Regel höher und bleibt auch länger liegen. Und die Aussichten sind wirklich grandios.
Gläubige danken dem Herrgott für dieses besonders gelungene Stück Schöpfung; wenn sie zum Beispiel auf der Schindler-Spitze stehen und weit ins Klostertal blicken. Könner, die die steile und bucklige Route nahe der Felsen durch das Schindler Kar nehmen, danken für das außergewöhnliche Vergnügen. Fortgeschrittene danken unten ebenfalls – dass sie heil angekommen sind. Oder auf dem Kapall, wo die Menschen auch im wahren Wortsinn abheben – mit dem Paraglider. Rechts der 2811 Meter hohe Vallugagipfel (mit der längsten Abfahrt: neun Kilometer, Höhenunterschied 1350 Meter bis nach St. Anton), links die Fernsicht ins Stanzertal, geradeaus auf die Hänge am Galzig und ganz hinten am Rendl.
„Ich kenne kein schöneres Gebiet“, sagt Edi Haueis. Der 82-Jährige ist weit herumgekommen; er war im Auftrag der österreichischen Ski-Akademie Ausbildungsleiter in Japan und anderen Ländern und ist heute der älteste (noch fast täglich aktive!) Lehrer der Skischule Arlberg. Herbert Klimmer, Leiter der Dependance in St. Christoph, nickt zustimmend und erzählt, welche berühmten Rennfahrer und Promis am Arlberg Skifahren gelernt haben. „Lernen von den Besten“ lautet das Motto.
Haueis hat vor seiner Haustür im 1800 Meter hohen St. Christoph unter anderem den damaligen spanischen König Juan Carlos unterrichtet. Der Monarch wohnte ebenso wie die meisten VIPs im legendären Hospiz. Die Luxusherberge, die in einem 1386 errichteten Notquartier ihren Ursprung hat, ist das Paradebeispiel für die Entwicklung der Hotellerie und Architektur in St. Anton und St. Christoph: Ursprünglichkeit und Tradition vereinen sich aufs Angenehmste mit Weltoffenheit und Innovation. Immer mehr neue Gebäude setzen mit Glasfassaden moderne Akzente, die die alpenländische Atmosphäre keineswegs stören, sondern bereichern.
Schwerpunkt liegt auf der Kunst
Hospiz-Wirt Florian Werner hat nach dem Wein bereits vor Jahren die Kunst als neuen Schwerpunkt des Hotels etabliert; derzeit realisiert er nebenan für 26 Millionen Euro ein visionäres Kulturprojekt: eine Kunsthalle mit Konzertsaal und Konferenzräumen (und auch noch 16 Luxussuiten).
Vater Adi beobachtet es mit Freude. Der bald 79-Jährige führt nach wie vor mit großem Elan die „Hospiz-Alm“. Auf der Terrasse laben sich tagsüber 1000 Gäste in der Sonne, innen schlemmen abends Genießer in heimeligen Stuben. Auch Hausgäste essen im Rahmen der Halbpension auf Sterne-Niveau.
Adi Werner ist auf dem Balkon der Alm vielbeschäftigt, busselt die Damen und herzt die Männer. „Ihr müsst im Frühjahr unbedingt wiederkommen“, rät er.
Zur „Sonnenskilaufwoche“ vom 11. bis 18. April lockt St. Anton mit stark reduzierten Preisen. Den Kehraus zelebrieren die Gastgeber bei der „Schneekristallwoche“ vom 18. bis 25. April mit nochmals vergünstigten Pauschalen. Am 18. April steigt auch das Kult-Rennen „Der Weiße Rausch“, das an den gleichnamigen Film mit Leni Riefenstahl erinnert.
Wie schön, dass „Der Weiße Rausch“ Wirklichkeit ist. Jeder Skitag am Arlberg wirkt wie eine Droge – die Gefahr, danach süchtig zu werden, ist groß. Statt des Entzugs wünschen Skifahrer sich eine stärkere Dosis. Aufgrund der positiven Folgen müsste eigentlich die Gesundheitskasse ein paar Tage Winterurlaub in St. Anton finanzieren.
Joachim Heidersdorf