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Intoleranz und billiges Gemüse

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Es sind 55 bleischwere Grad in der Sonne, die meinen vier Pfadfinderfreunden und mir auf den Kopf knallen. Es ist der Sommer 2015 in Rumänien.

Von CARA VON STOCKERT

Es sind 55 bleischwere Grad in der Sonne, die meinen vier Pfadfinderfreunden und mir auf den Kopf knallen. Es ist der Sommer 2015 in Rumänien. Langsam schleppen wir uns eine Landstraße entlang. Es ist der heißeste Sommer seit etwa zwölf Jahren.

Wasserknappheit herrscht. Und trotzdem bekommen wir immer kühles, sauberes Wasser aus den privaten Brunnen, wenn wir an einem der vereinzelten Häuser klingeln.

Oft erzählen uns die Leute, dass sie Freunde und Familie in Deutschland haben, dass sie selbst manchmal in Deutschland sind oder dass sie jemanden kennen, der Deutsch spricht.

Ein freundliches, großzügiges Volk sind die Rumänen. Und da fallen mir düster wieder die Vorurteile ein, die ich über dieses Land, diese Menschen gehört habe, bevor ich mit den Pfadfindern zum Wandern dorthin aufgebrochen bin. Sätze wie „Die betteln ja alle hier“ oder „Die kommen hierher und nehmen uns die Jobs weg“ schwirren in meinem Kopf herum.

Es gibt durchaus Problemzonen in Städten wie in Duisburg, Dortmund oder auch in Offenbach, wo die rumänischen Mitbürger nicht gut in den Arbeitsmarkt integriert sind und Arbeitslosigkeit die Folge ist. Im Durchschnitt allerdings sind Rumänen in Deutschland gut in den Arbeitsmarkt integriert, das belegen Statistiken.

Etwa 460 000 Rumänen leben in Deutschland. Seit für sie die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU gilt, seit Januar 2014 also, ist ihre Zahl stark gestiegen, und zwar um mehr als 50 Prozent. Rüdiger Wapler vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist, sagt: „Das ist ein recht starker Zuwachs. Das hängt natürlich mit vielen Faktoren zusammen. Wir haben ja gerade aus anderen EU-Ländern einen starken Zuwachs. Der deutsche Arbeitsmarkt ist im europäischen Vergleich ziemlich stark.“

Die Arbeitslosenquote der Rumänen liegt laut IAB bei etwa 7,5 Prozent, das sind zwei Prozent unter dem Durchschnitt aller EU-Ausländer. Zwar beziehen überdurchschnittlich viele Rumänen Hartz-IV-Leistungen, darunter sind aber auch viele sogenannte Aufstocker, das heißt Personen, denen ihr Gehalt nicht zum Leben reicht und die deshalb staatliche Zuschüsse beantragen müssen. Das deutet darauf hin, dass Rumänen oft unter ihrer Qualifikation beschäftigt und ausgenutzt werden.

Letitia Türk ist Rumänin und arbeitet als Beraterin für Arbeits- und Sozialrecht beim Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Frankfurt. Die Initiative will helfen, gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa durchzusetzen. Türk sagt zu den Gründen, warum so viele Rumänen nach Deutschland kommen: „Die Menschen hoffen auf besser bezahlte Arbeitsverhältnisse als in Rumänien, auf mehr Sicherheit und bessere Bildungschancen für ihre Kinder.“

Türk fügt hinzu, rumänische Arbeitnehmer würden in Deutschland häufig ausgenutzt, zum Beispiel in der Baubranche: „Rumänen sind für Ausbeutung anfällig. In der Bauwirtschaft ist das gang und gäbe. Dort gibt es kaum saubere Arbeitsverhältnisse.“ Wenn ein rumänischer Arbeiter 1000 Euro in der Lohnabrechnung stehen habe, sei das nach ihrer Erfahrung schon gut, sagt Türk. Meistens seien es weniger. „In Wirklichkeit bekommen die Arbeiter mehr, vielleicht 2000 Euro im Monat, aber die Unternehmen wollen Sozialabgaben sparen und zahlen schwarz. Das geht dann zulasten der Arbeitnehmer, denn entsprechend weniger Geld für die Altersvorsorge oder die Arbeitslosenversicherung wird eingezahlt“, erklärt Türk. Da viele nicht gut Deutsch sprächen, wüssten sie nicht, dass sie über den Tisch gezogen werden oder wo sie sich beschweren könnten.

Lange Arbeitstage

Was die rumänischen Saisonarbeiter in der Landwirtschaft angehe, so hätten sie lange Arbeitstage. Doch damit seien sie einverstanden, sagt Türk. Denn durch die viele Arbeit erhielten sie ein gutes Einkommen. „Damit sind sie auch zufrieden.“ Doch vielen drohe die Altersarmut. „Nachteile sind, dass die Saisonarbeiter für die Zeit ihrer Beschäftigung in Deutschland nicht in die Sozialkassen einzahlen, später dann auch weniger Rente beziehen“, so Türk.

In Rumänen liegt das Lohnniveau viel niedriger als bei uns. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt dort umgerechnet etwa 1,30 Euro pro Stunde, in Deutschland liegt er in der Landwirtschaft bei 8,00 Euro.

Was das Vorurteil betrifft, Rumänen nähmen Deutschen Arbeit weg, sagt Türk: „In der Landwirtschaft trifft man heute kaum noch auf Deutsche, welche die Arbeit machen würden. Es gibt fast keine Deutschen mehr, der Spargel stechen oder Erdbeeren pflücken. Das machen in der Regel osteuropäische Arbeitskräfte.“

Wie kann man Vorurteilen gegen Rumänen begegnen? Türk sagt: „Nicht nur auf die Bettler schauen, sondern das ganze Bild in den Blick nehmen. Die Mehrheit der Menschen ist zum Arbeiten hier. Der Großteil der Gebäude, die bei uns entstehen, werden mit der Arbeitskraft von Rumänen mitgebaut. Viele ältere Menschen werden von Rumänen gepflegt. Mein Obst, mein Gemüse, das geht alles durch die Hände von Rumänen. Aber leider sehen das viele nicht.“

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