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Videobeweis - Abschaffen oder einführen?

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Fussball 1.Bundesliga, FSV Mainz 05 - Hannover 96
Grün gegen Schwarz: Fast die ganze Hannoveraner Mannschaft protestierte in Mainz gegen die Elfmeter-Entscheidung von Schiedsrichter Hartmann (links). © Jan Huebner

Der Videobeweis sorgt in regelmäßigen Abständen für Kontroversen in der Fußball-Bundesliga. Dort, wo er noch nicht eingeführt ist, sehnen sich Spieler und Verantwortliche danach.

In der Fußball-Bundesliga hat neben dem sportlichen Wettstreit um Siege, Punkte und Tore längst eine neue Disziplin Einzug gehalten: Schimpfen auf den Videobeweis! Mitmachen dürfen Spieler, Trainer und Funktionäre. Ziel ist: Möglichst laut über die technische Hilfe zu wettern und deren sofortige Abschaffung zu fordern. So oder so ähnlich könnte man die immer wieder aufflammende Debatte um den Video Assistant Referee (VAR) in der höchsten deutschen Spielklasse zumindest deuten.

„Der Videobeweis ist und bleibt ein Skandal. Die Leute machen definitiv keinen guten Job“, wütete Hannovers Stürmer Niclas Füllkrug nach dem 1:1 seines Teams beim FSV Mainz 05. Grund dafür war ein höchst fragwürdiger Elfmeter, den Schiedsrichter Robert Hartmann nach einer leichten Berührung gegen Mainz-Stürmer Jean-Pierre Mateta gab – und damit das 1:1 durch Daniel Brosinski ermöglichte. Der Assistent in Köln griff nicht ein. Der Fall erhitzte derart die Gemüter, dass sich die 05er gezwungen sahen, später noch eine Stellungnahme Matetas auf ihrer Homepage zu veröffentlichen. „Ich kann mich nicht für eine Schwalbe entschuldigen, die keine war“, kommentierte der Franzose die strittige Szene in der Schlussphase.

Ein Pionier des energischen Wütens mit Kraftausdrücken ist Horst Heldt. Über den Videoschiedsrichter merkte Hannovers Sportvorstand an, dieser „soll die Klappe halten“. Zum Elfmeterpfiff in der Szene mit Mateta polterte er, „der ganze Scheiß“ sei „wirklich nicht mehr akzeptabel“. Der DFB-Kontrollausschuss hat als Folge der heftigen Schelte Ermittlungen gegen Heldt eingeleitet. Im ersten Schritt wurde er schriftlich um eine Stellungnahme gebeten.

Abstimmung

Was Heldt allerdings nicht erwähnte: Ohne den Einsatz der Technik hätte Hannover das Spiel nicht gewonnen, sondern mit 1:2 verloren. Schließlich hatte erst die kalibrierte Linie das zweite Mainzer Tor wegen einer Abseitsstellung als irregulär entlarvt. Bei Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic entlud sich der Ärger nach einem verweigerten Elfmeter beim 0:1 bei Hertha BSC so: „Ob man in Köln sitzt oder Jerusalem, das muss man sehen. Das macht vieles kaputt, was der Videobeweis erreichen will – mehr Gerechtigkeit.“

Der Videobeweis sorgt in regelmäßigen Abständen für Kontroversen in der Bundesliga. Der ehemalige Weltklasse-Referee Markus Merk sprach schon am ersten Spieltag vom „Videobeweis-Chaos“ und monierte, dass er das Spiel so „nicht gerechter, sondern willkürlicher“ mache.

Das bei den Fans ohnehin unbeliebte Hilfsmittel hat auch weiter seine Schwächen. Im Vergleich zur WM, bei der der Videobeweis als Vorbild gelobt wurde, fehlt die völlige Transparenz, weil die Szenen auf den Leinwänden nicht angezeigt werden können. Reviews und Korrekturen nehmen Zeit in Anspruch, strapazieren die Nerven von Anhängern und Verantwortlichen. Und dann werden trotz dieser Tortur noch nicht einmal alle Fehlentscheidungen korrigiert?

Wie ein Trainer klingt, der von einer richtigen Entscheidung profitiert hat, konnte man am Wochenende bei Julian Nagelsmann hören. Das 2:2-Ausgleichstor seiner TSG 1899 Hoffenheim war in Wolfsburg ursprünglich wegen Abseitsposition aberkannt worden. Der Video-Assistent griff ein, das Tor zählte doch. „Dafür haben wir die Männer in Köln. Die Schiedsrichter haben heute einen guten Job gemacht“, befand Nagelsmann. Von einem „Scheiß“ oder einem „Skandal“ war nichts zu hören, er erzählte aber von der gleichen Technik wie einen Tag später Heldt und Füllkrug.

  Das fordern Benachteiligte beim Videobeweis:

Abschaffen! Als Wut-Ventil, gerade in Krisen und Misserfolgsfällen, taugt der VAR und sein fehlendes oder falsches Eingreifen immer wieder. André Breitenreiter, betroffener Trainer des Tabellen-17. Hannover, meinte am Sonntag: „Wenn wir diese Situation in Ruhe im Keller in Köln nicht als Schwalbe bewerten, dann können wir aufhören. Dann können wir diesen Video-Assistenten abschaffen. Dann ist es weder gerecht und es macht auch keinen Spaß mehr.“

Große Hoffnungen muss sich Breitenreiter aber nicht machen: Denn der Videobeweis wird ab kommendem Frühjahr nicht abgeschafft, sondern zusätzlich in der Champions League eingeführt.

„Ich bin überzeugt, dass dies den Fußball auch auf internationaler Ebene fairer und seriöser machen wird“, sagte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge dazu.

  Das fordern Benachteiligte ohne Videobeweis:

Einführen! Um den Wert des Videobeweises zu beziffern, lohnt ein Blick auf das vergangene Wochenende in der 2. Liga und der Premier League. Darmstadts Fabian Holland holte für sein Team mit einer lupenreinen Schwalbe einen Elfmeter heraus, im Gegensatz zum Mateta-Fall gab es überhaupt keinen Kontakt. Der Strafstoß brachte den Hessen das 1:1 und einen Punkt gegen Ingolstadt.

„So ein Elfmeter ist extrem bitter. Jeder im Stadion und am Fernseher hat gesehen, dass das definitiv kein Elfmeter war“, sagte Ingolstadts Robert Leipertz. Nur der Schiedsrichter eben nicht – und eine Kontrollinstanz gibt es in Liga zwei nicht. Newcastles Trainer Rafael Benitez, der sich beim 1:2 gegen Wolverhampton benachteiligt fühlte, wurde noch deutlicher: „Wir brauchen den Video-Assistent - und zwar jetzt.“

Von Patrick Reichhardt und Andreas Schirmer

Kommentar Von Christian Heimrich:

Der Europäische Fußballverband Uefa hat Anfang Dezember beschlossen, den Videobeweis noch in dieser Champions-League-Saison einzuführen. Vom Achtelfinale Mitte Februar an soll auch in der Königsklasse aus einem mit Fernsehern bestückten Keller heraus im Einzelfall über strittige Situationen auf dem Platz geurteilt werden. Man weiß nicht, ob das ein Grund zur Freude ist, oder ob man die Ankündigung nicht doch eher als Bedrohung auffassen soll. Stand jetzt.

Denn das zurückliegende Bundesliga-Wochenende hat genügend Hinweise und Belege dafür geliefert, dass der Videobeweis in seiner jetzigen Handhabung nicht tragbar ist. Er sollte das Spiel gerechter machen. Tatsache ist, dass die Entscheidungswege der Schiedsrichter undurchsichtiger geworden sind.

Mal meldet sich der Video-Assistent in kniffligen Situationen, mal nicht. Mal hat er recht, mal nicht. Trotz der TV-Bilder.

Letzteres ist umso ärgerlicher, wenn es sich um eine folgenschwere Unterlassung handelt – wie im Fall des nicht gepfiffenen Strafstoßes für die Frankfurter Eintracht in Berlin. Auch eine frisch ernannte Weltschiedsrichterin wie Bibiana Steinhaus ist also als Video-Assistentin nicht vor groben Schnitzern gefeit.

Und die Zahl der Spieler und Funktionäre, die Benachteiligungen durch den Videobeweis anprangern, ist höher als jene der Dankbaren. Kein Wunder, wenn selbst bei einem so elementaren Delikt wie Handspiel keine Eindeutigkeit bei der Regelauslegung herrscht.

Der frühere Frankfurter Vorstandschef Heribert Bruchhagen hat einmal die Weisheit formuliert, dass sich Fehlentscheidungen der Schiedsrichter im Lauf der Saison unter den Clubs ausgleichen. Momentan lässt sich nur feststellen, dass sie sich häufen.

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