Brennpunkt Bundesliga

Die Tabelle lügt nicht. Das sind zwar gleich fünf Euro für das Phrasenschwein. Treffender könnte der Einstieg zum Brennpunkt- Thema im regionalen Bundesliga-Handball aber nicht sein. Die HSG Wetzlar und der TV Hüttenberg befinden sich jeweils auf Abstiegsplätzen.
Die junge HSG Wetzlar hat mit ihrem Stammverein TSV Dutenhofen bereits fast 40 Jahre Bundesliga-Handball auf dem Buckel, der noch traditionsreichere TV 05/07 Hüttenberg bereits über 50 (!). Finanziell stoßen beide Klubs nicht erst seit heute an ihre Grenzen. In der aktuellen Spielzeit der 1. und 2. Bundesliga ist für beide Klubs umso mehr sportlicher Abstiegs- und finanzieller Existenzkampf angesagt. Die prosperierenden, absoluten Spitzensport ermöglichenden Wirtschaftsregionen der Republik liegen eben nicht in Mittelhessen.
Ungeachtet dessen haben die Grün-Weißen vor drei Jahren fahrlässig das Wandschneider- Waufgekündigt und in ein Prozess- Pumgetauscht. Die Blau-Weiß-Roten haben die Personalkosten der Sklenak und Co. extrem nach unten gefahren, parallel dazu aber auch die sportliche Wettbewerbsfähigkeit. Aber auch die HSG Wetzlar kann sich keine spektakulären Neuverpflichtungen wie z. B. Erstligarivale TVB Stuttgart mit Kai Häfner mehr leisten und es gibt von Klubseite überdies noch immer keine Nachricht, dass die Bezüge von Ex-Trainer Benjamin Matschke nicht mehr den Etat belasten. Derweil ist der TV 05/07 Hüttenberg gezwungen, mit einer aufsehenerregenden Crowdfunding-Aktion zumindest einen wirtschaftlichen Rettungsschirm aufzuspannen.
Es bleibt die unangenehme Wahrheit, dass beide heimische Handball-Aushängeschilder in der Saison 2023/24 mehr denn je zuvor um den Status quo im Ober- und Unterhaus kämpfen.
HSG Wetzlar
Das ist ein Prozess. Hört man immer wieder. Seit Sommer 2021. Erst von der großen, längst erloschenen Trainer-Hoffnung Benjamin Matschke, dann von der erfolglosen Übergangslösung Hrovje Horvat jr. und jetzt auch von Neu-Trainer Frank Carstens. Stimmt. Jeder für sich kann diese Sport-Vokabel in Anspruch nehmen. Mitunter zu Recht. Ja. Aber in mittlerweile weit über zwei Jahren ist daraus ein nicht enden wollender, negativer Dominoeffekt entstanden. Nach dem 28:32 vom Freitag gegen den Bergischen HC steht die HSG Wetzlar dort, wo sie gut ein Jahrzehnt lang nie gestanden hat: auf dem letzten Platz der Bundesliga-Tabelle. Längst ist das mit dem Prozess eher so, dass den Wetzlarern im Oberhaus von der Konkurrenz der Prozess gemacht wird. Oftmals kurzer Prozess sogar, wovon die im Schnitt 30 Gegentore pro Partie zeugen.
Gegen den Bergischen HC um die Eins-gegen-eins-Spieler wie Lukas Stutzke oder Eloy Morante Maldonado schlossen die Mittelhessen zwar den beim Linden Cup noch durchlässigen Kreis, wählten dafür aber das noch größere Übel und kassierten von den Aufbauspielern der Löwen gar 20 (!) Treffer.
Es fehlen Stabilität und Kontinuität. Es fehlt die Qualität im Entscheidungsverhalten schon früh in jeder Partie. Es fehlt die Führung auf dem Parkett, die selbstmordende Fünf-Sekunden-Angriffe unterbindet. Es fehlen Abwehrexpertisen im 5:1, von 3:2:1-Lösungen ganz zu schweigen. Es fehlt die Form bei Stefan Cavor, nicht erst nach seiner Verletzung. Es fehlt die Offensiv-Integration von Hendrik Wagner, der trotz seiner 182-Erstliga-Tore-Empfehlung aus Ludwigshafen seit 16 Monaten kaum Angriffszeiten bekommt.
Keine Frage, dass das kämpferische Moment durch die Verpflichtungen von Vladimir Vranjes, Rasmus Meyer Ejlersen, Nemanja Zelenovic und Filip Kuzmanovski wiederbelebt wurde. Aber in der Spielsteuerung taucht ein Magnus Fredriksen immer dann ab, wenn seine durchaus vorhandenen Fähigkeiten eigentlich am dringendsten benötigt werden. Im Gegenstoß vergibt ein Emil Mellegard gerade immer dann 100-Prozentige, wenn sich wieder Chancen für die eigene Mannschaft eröffnen. Und am Kreis muss ein Drittliga-Backup wie Nikita Pliuto andeuten, was möglich ist, wenn über die ruhmreiche Wolfgang Klimpke-Robert Sighvatsson-Jannik Kohlbacher-Position die Basisdaten stimmen.
Und - so ketzerisch das klingen mag - gegen den THW Kiel gewinnt national momentan fast jeder Kontrahent. Mit der Partie an diesem Freitag beim Rückkehrer HBW Balingen/Weilstetten beginnt für die HSG Wetzlar der »Monat der Wahrheit«. In Balingen, gegen Erlangen, gegen Stuttgart, in Eisenach und gegen Gummersbach muss bis 20. November der Prozess beendet, müssen Punkte eingefahren sein. Danach geht es bis Weihnachten nämlich überwiegend gegen die Topteams RN Löwen, Füchse Berlin, SG Flensburg/Handewitt und MT Melsungen. Die Rote Laterne möchte jedenfalls niemand unter dem Christbaum liegen haben.
TV Hüttenberg
Ein Fernab der wirtschaftlich prekären Situation gibt es auch für die junge Zweitliga-Truppe des TV 05/07 Hüttenberg nicht. Das 33:35 gegen den VfL Eintracht Hagen vom Samstag, dem nächsten fehlgeschlagenen Versuch, die ersten Heimzähler der Saison einzufahren, hat gezeigt, dass es für das »Fohlenteam« noch einmal schwerer als im Vorjahr wird, in der wohl stärksten 2. Liga der Handball-Welt zu bestehen. Mit Vit Reichl steht nur ein Akteur im Kader, der bereits die 30-Jahre-Grenze erreicht hat. Beim 17:12 (28.) fehlte dem Sturm und Drang der Ian Weber und Co. ein Stück weit Coolness, um mehr als das 17:15 in die Pause zu retten. Direkt danach wurden beim 17:17 (32.) die Karten wieder neu gemischt. Auch körperlich werden Youngster wie die Niklas Theiß oder Philipp Schwarz zulegen müssen, um über 60 Minuten solch extrem intensive Auseinandersetzungen durchzustehen.
Dem Budget geschuldet, fehlen nach den enormen personellen Substanzverlusten der letzten Jahre (von Ragnar Jóhannsson über Tomas Sklenak bis Timm Schneider) in den Spitz-auf-Knopf-Phasen Routine und Ausgebufftheit, um das Spiel, den Ball und den Gegner zu beruhigen.
Apropos Etat: Neben den weiterhin zu lösenden finanziellen Probleme, für die den Statuten entsprechend mitunter bis zu schmerzhafte acht Punkte Abzug als Sanktionsmöglichkeit drohen können (!), haben die Schützlinge von Trainer Stefan Kneer bis Stichtag 1. November mit HSC 2000 Coburg, Dessau-Roßlauer HV und Eulen Ludwigshafen auch handballerisch drei knifflige Aufgaben vor sich. Zwei, drei Punkte sollten da schon her, um in der Tabelle den Anschluss an das Mittelfeld wahren zu können.
Handball-Mittelhessen und den beiden Aushängeschildern steht ein heißer Herbst bevor. Und den hat in beiden Fällen kein Schiedsrichtergespann verursacht.
