Chandler - ewige Frohnatur

(kil). Ganz bestimmt hat Timothy Chandler nicht diesen Pokal gemeint, als er vor mehr als einem Jahr gefragt worden war, welche Ziele er denn im Herbst seiner Karriere noch habe. Er wollte nochmals einen Pokal in den Händen halten. Mitte Dezember hat er, sogar als Kapitän, einen in die Luft stemmen dürfen, die Trofeo Bortolotti, nach einem Sieg im allerletzten Spiel dieses Jahres über Atalanta Bergamo.
Da hat er mal wieder mitgespielt, eine gute halbe Stunde, ein bisschen weniger als zuvor im Testkick gegen den SV Sandhausen. Auch da wurde der aus Altenstadt (Waldsiedlung) stammende und in der Jugend bei den Sportfreunden Oberau spielende Kicker eingewechselt. Das kam zuletzt eher selten vor.
Aber einen richtigen Pokal hat der 32-Jährige tatsächlich noch gewonnen, im Mai in Sevilla gegen die Glasgow Rangers, den Europapokal gar. Es war die Krönung der Karriere des Timothy Chandler. Ein Traum ist da für ihn in Erfüllung gegangen - selbst wenn er, was zuletzt meist der Fall ist, gar nicht am Ball war. Von der Bank drückt er in der Regel nur noch die Daumen - und verbreitet natürlich beste Stimmung. Wenn das einer kann, dann Chandler.
Es gibt kaum ein Foto, das geknipst oder erschienen ist, auf dem der Deutsch-Amerikaner nicht lacht, grinst oder super Laune hat. Nahezu jeder Spieler des Klubs nennt seinen Namen, wenn nach dem größten Spaßvogel, dem nettesten Kollegen, dem fröhlichsten Sitznachbarn gefragt wird. Timothy Chandler - das ist pure Lebensfreude, eine Frohnatur, er verbreitet gute Laune.
Das ist für die Kabine, für das Innenverhältnis in einer Mannschaft mit den unterschiedlichsten Charakteren und Herkünften, nicht hoch genug einzuschätzen. Bei Eintracht Frankfurt wissen sie um diese Fähigkeiten, der Ex-Oberauer ist deshalb hoch geschätzt, diese Softskills können entscheiden über Wohl und Wehe.
Mit einem Lächeln zum Training
Er komme, hat er vor langer Zeit mal gesagt, jeden Tag mit einem Lächeln zum Training. So was färbt ab. Dass Chandler, mit Makoto Hasebe längst dienstältester Frankfurter, seit 2001 (mit einer vierjährigen Unterbrechung beim 1. FC Nürnberg) im Klub aktuell sportlich nicht erste Wahl ist, nimmt der Familienvater professionell. Dazu kann er sich selbst zu gut einschätzen, dazu ist er ehrlich genug. Chancen ins Team zu rücken, hätte es gegeben, auf der linken wie auf der rechten Außenbahn. Es reichte nicht. In dieser Saison hat er kaum Pflichtspieleinsätze bekommen, vier kurze in der Liga, ein paar Augenblicke Champions League.
Er hat in 24 Pflichtspielen 110 Minuten gespielt - von 2160 möglichen. Am längsten einmal 45 Minuten, beim 0:3 gegen den VfL Bochum. Er steht aber in der Regel im Kader. Und fiebert mit, feuert an und unterstützt die, die auf dem Rasen stehen.
Ihn allein auf die Rolle als Gute-Laune-Onkel zu reduzieren, würde ihm nicht gerecht werden. Er ist fit, verpasst kaum eine Einheit, haut sich in jedem Training rein, er hält den Konkurrenzkampf hoch. Als er gebraucht wurde, etwa im Herbst 2021, war er da. Vorher schien er weg vom Fenster zu sein, keiner hatte ihn noch auf dem Zettel, und dann absolvierte er, der zuvor null Minuten gespielt hatte, drei komplette Partien in acht Tagen.
Die Eintracht ist sein Verein. Wenn er 2025 seine Karriere beendet, hat er in seinem ganzen Leben nur für drei Klubs gespielt, bei den Sportfreunden Oberau (in der Jugend), beim »Club« in Franken und bei der Eintracht. 185 Pflichtspiele, zehn Tore - von denen er in der Saison 2019/20 allein die Hälfte erzielte.
Chandler, der 29 Länderspiele für die USA bestritten und zum US-Kader bei der WM in Brasilien 2014 zählte, wird der Eintracht in anderer Funktion treu bleiben, wenn seine Laufbahn beendet ist. Angenehme Menschen kann man immer um sich gebrauchen.