Das fette Lächeln von Ryo

In der alten Kaiserstadt Kyoto in Japan das WM-Vorrundenspiel Deutschland gegen Japan sehen zu können, dürfte am Mittwoch nicht gerade vielen Deutschen möglich gewesen sein. Einer, der in diesen Genuss kam, ist der langjährige Verlagsmitarbeiter Oliver Vogler. Sein Erfahrungsbericht ist außergewöhnlich!
Als mir bekannt wurde, dass ich während der Fußball-Weltmeisterschaft auf Leica-Dienstreise in Japan und am Spieltag in Kyoto sein werde, war schnell klar - wow, das Spiel Deutschland gegen Japan läuft gerade zu der Zeit, wenn du da drüben bist! Nachdem die organisatorischen Fragen zur Reise geklärt waren, wurde auch ganz schnell von meinen japanische Kollegen bestätigt, dass wir in einem Pub das Spiel zusammen anschauen werden. Gesagt, getan!
Nach einem gemeinsamen Abendessen führte uns der Weg in einen britischen Pub in Kyotos Altstadt, in der auch Engländer, Australier und Dänen das Spiel der DFB-Elf verfolgten. Ich stellte schnell fest, dass ich der einzige Deutsche war in diesem Pub. Viele Japaner hatten sich für das Spiel eine japanische Flagge auf die Wange gemalt, ansonsten waren sie jedoch schlicht gekleidet - keine Fantrikots oder Schals, lediglich einer hatte sich eine japanische Nationalfahne umgehängt.
Empfangen wurde ich mit einem großen »Hallo«, erst recht, als bekannt wurde, dass ich Deutscher bin. Und ja, mein Kollege Ryo hatte es natürlich »brühwarm« allen Gästen erzählen müssen. Die in Deutschland gerade viral gehende One-Love-Binden-Diskussion interessierte hier übrigens keinen, das habe ich schnell herausbekommen, auch in den TV-Berichten war dieses laut meinen Kollegen kaum erwähnenswert.
Zu Spielbeginn noch zurückhaltend und eher ehrfurchtsvoll vor dem deutschen Team, waren alle Japaner eher darauf bedacht, ihre Zurückhaltung zu bewahren. Was aber dann auf mich zukommen könnte, wurde mir beim zurückgenommenen Abseitstor der Japaner in den ersten Minuten klar. Doch erst einmal verlief das Spiel ganz anders, das Elfmeter-Tor von Ilkay Gündogan wurde mit Applaus versehen - Ehre und Respekt ist eine der Tugenden der japanischen Bevölkerung. Ich wurde gar von einigen der Gästen mit Gratulationen überschüttet, eben jenem Ehrgefühl, das Japaner ihren Gästen entgegenbringen, von schlechten Stimmungen gegenüber mir keine Spur.
Als ich während der Halbzeit kurz vor der Türe war, um etwas Luft zu schnappen, wurde mir bewusst: Mensch, die Straßen hier in Kyoto sind ja menschenleer. Da, wo sonst reges Gewusel herrscht, keine Menschenseele. Jeder war irgendwo zum Fußballschauen, ob zu Hause oder mit Freunden in einer Lokalität.
Das Spiel kippte - und beim 1:1 tobte der Pub, welches sich natürlich wenig später exorbitant ausdehnen sollte, als das Tor zum 2:1 für Japan fiel. Nun hatten alle ihre Zurückhaltung vergessen und flippten regelrecht aus. Als der Schlusspfiff ertönte, wurde nochmals im Kollektiv gejubelt, doch schnell hatten sich alle wieder beruhigt, und froh gelaunt wurde das Ergebnis belächelt.
Nach Spielende wurde auch schnell von den Pub-Gästen der Abend beendet, man zahlte seine Rechnung und ging nach Hause. Verständlich, denn es war vor Ort schon nach Mitternacht, und auch der japanische Fußballfan musste ja auch am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Ich wurde von so ziemlich jedem Gast in den Arm genommen und getröstet, als sich diese auf den Weg nach Hause machten. Auch mein japanischer Kollege Ryo und ich sind zurück in unser Hotel, Ryo natürlich mit einem fetten Lächeln im Gesicht und stolzgeschwellter Brust.
