Der dienstälteste DEL-Manager: Im Gespräch »Charly« Fliegauf

Sein Großvater war 25 Jahre lang Bürgermeister in Peiting, der Vater hatte ein Malergeschäft, Karl-Heinz »Charly« Fliegauf (62) sollte es in dritter Generation führen. Doch er wurde Eishockey-Profi. Und danach Manager. In der DEL, die in ihre 30. Saison geht, ist er der dienstälteste Manager, er war von Anfang an dabei. Seit 2007 leitet er die Grizzlys Wolfsburg.
Charly Fliegauf, 1994 wurde aus der Eishockey-Bundesliga die DEL. Sie waren Spieler in Augsburg. Empfanden Sie die DEL als Schritt in ein neues Zeitalter?
Für uns Spieler war es mehr eine Umbenennung. Aber die erste Saison wurde für mich persönlich sehr speziell. Im Sommertraining habe ich mir beim Umheben eines Gewichts einen Bandscheibenvorfall geholt, der auch operiert werden musste. Ich hab’s noch einmal probiert, 17 Spiele, und gemerkt, dass ich es sportlich nicht mehr schaffe. Mit Lothar Sigl, dem Augsburger Hauptgesellschafter, hatte ich aber schon abgesprochen, dass ich mal ins Management rutschen könnte. Ich hatte Groß- und Einzelhandelskaufmann gelernt und immer nebenzu im kaufmännischen Bereich gearbeitet. In Berlin in einer Autolackiererei, in Augsburg im Reisebüro. Man fand als Titel für mich bei den Augsburger Panthern zunächst Organisationsleiter. Kurios: Lothar und ich sind die einzigen in der gesamten DEL, die vom Start weg dabei waren.
In Augsburg sprangen Sie sogar mal als Präsident des Stammvereins ein, als der niemanden fand.
Bis auf Zamboni-Fahrer war ich dort alles. In Augsburg habe ich vor allem gelernt, mit Geld umzugehen. Es gab auch Zeiten, in denen man uns aus der Liga draußen haben wollte, das war kurz vor knapp.
War die Liga in ihren Anfängen professionell?
Vieles war hausbacken, nicht zu vergleichen mit der Entwicklung der letzten zehn Jahre. In Augsburg hatten wir lange einen Standortvorteil, die offene Halle, in der es auch mal minus 15 Grad haben konnte, da hatten Gegner oft keinen Bock zu spielen.
Sie waren kaum Manager, da kam 1995 das Bosman-Urteil.
Ein Einschnitt für die Struktur des gesamten Sports. Im Eishockey bedeutete es: Wir konnten Spieler, weil sie keine Ablöse kosteten, in den Bilanzen nicht mehr als Werte aktivieren.
Die DEL wurde von schwedischen, finnischen, italienischen, französischen Spielern überflutet. Deutsche Spieler haben dann plötzlich sehr viel weniger verdient, oder?
Einige Zeit schon. Wir hatten auch die kuriosesten Ausländerregelung: open house, 15 Ausländer, 13, 11, jetzt neun. Wir haben vieles produziert, auch diverse U-Regelungen, um jüngere Spieler in die Teams zu bringen. Die Liga war in einem Wellental, sie erlebte Konkurse: in Kaufbeuren in den 90er-Jahren, in Kassel und Frankfurt 2010 ausgerechnet, als wir gerade Heim-WM und eine starke Nationalmannschaft hatten. Oder Hamburg war trotz schöner Halle und guter Zuschauerresonanz plötzlich weg (2016, d. Red,), weil Besitzer Anschutz keine zwei Löcher mehr stopfen wollte (der US-Investor betreibt auch noch die Eisbären Berlin, d. Red.). Aber in den letzten Jahren war nichts mehr. Wir haben halt eine große Schere in der Liga, eine Zwei-Drei-Klassen-Gesellschaft.
Warum sind Sie aus Augsburg weg?
Ich hatte immer Anfragen, aber es gefiel uns in Augsburg, wir hatten drei Kinder und gebaut. 2005 waren die Panther im Viertelfinale, aber ich fragte mich: Warum geht nicht mehr? Es kam das Angebot aus Frankfurt, die Lions waren Meister geworden. Mein Plan war, dort eine stärkere deutsche Komponente reinzubringen. Wir haben den Cut gemacht und im ersten Jahr die Playoffs verpasst. Im zweiten Jahr eine Woche vor Weihnachten erfuhr ich, dass Frankfurt nicht die Zeit aufbringen wollte, die ich gebraucht hätte. Dann hat sich Wolfsburg gemeldet, damals noch in der 2. Liga. Ich stieg im März 2007 ein, wir haben bis zum Aufstieg kein Spiel verloren. Ab dem zweiten DEL-Jahr wurde Wolfsburg bis heute zur Erfolgsgeschichte. Ich sehe uns in der oberen Mittelklasse.
Sie haben Volkswagen im Rücken.
Es gibt keinen Übernahmevertrag wie im Fußball, wo ein negatives Ergebnis ausgeglichen wird und ein Gewinn an VW geht. Wir sind eigenständig, ich kann alleine Entscheidungen treffen. Volkswagen ist Hauptsponsor, der wissen will, was wir mit seinem Geld anfangen. Wir haben einen Schulterschluss mit dem Werk, waren drin, haben am Band mitgearbeitet. Und bei der Zusammenstellung der Mannschaft gilt: Grundtenor ist Arbeit. Das hier ist eine Arbeiterstadt. Drei Schichten. Alles andere als Arbeit ist Gift für die Stadt und die Leute.
Taucht München in Ihren Träumen auf?
(lacht) Ja, schon.
Bis auf einmal sind Sie in den Playoffs immer am EHC gescheitert, zuletzt im Frühjahr denkbar knapp.
Auch 0:4-Klatschen haben wir gekriegt. Dieses Jahr waren wir am nächsten dran mit Spiel sieben im Halbfinale. Wenn man sieht, dass bei München bis Spiel fünf Frederik Tiffels, der später ein WM-Halbfinale entscheidet, überzählig auf der Tribüne sitzt, zeigt das, wo beide Clubs stehen. Wir haben tolles Eishockey gespielt, aber am Ende war die Kaderstruktur nicht da, um den großen Wurf zu landen. Wir hatten im Viertelfinale gegen Straubing mit sieben Spielen schon viele Körner gelassen.
Im Jahr 2021 wäre Wolfsburg unter Pat Cortina als Coach fast Meister geworden.
Die große Chance hatten wir, als die Playoffs wegen Corona im Best of Three ausgespielt wurden. Es hat lange gedauert, bis ich mich von der Finalniederlage erholt habe. Das erste Spiel hatten wir auswärts in Overtime in Berlin gewonnen und eigentlich die Hand schon am Pokal, dann aber Angst vor der eigenen Courage bekommen. In Berlin verloren wir knapp. Wir waren wieder der Vizemeister.
Wolfsburg verliert immer wieder gute Spieler.
Unsere elementaren Spieler gehen nicht nach Schwenningen, sondern nach Mannheim, Berlin oder München. Das tut weh, aber ich gratuliere ihnen. Ich sehe das ohne Emotion: Wir sind eine Durchgangsstation.
Wenn München einen Spieler von Ihnen will - haben Sie eine Chance?
Keine Chance.
Was zahlt München mehr? Ein Drittel?
Fast das Doppelte. Bei Chris DeSousa (wechselte 2022 zum EHC) wurde ich kritisiert, ihm keinen Zweijahresvertrag gegeben zu haben. Wollte ich ja. Doch der ist nicht doof und weiß, dass es für ihn weiter geht, wenn er hier gut ist. Wolfsburg ist nicht der Nabel der Welt, das wissen wir. Unser Faustpfand ist der soziale Aspekt, das familiäre Umfeld mit Schule, Kindergarten, das ist hier richtig gut. Und Frauen entscheiden zunehmend mit, wohin es geht. Die weichen Faktoren werden mit der Zeit immer härter. Und schlecht zahlen tun wir auch nicht. Für die neue Saison haben wir in Andy Miele wieder einen hochdekorierten Spieler bekommen.
Seit einem Jahr assistiert Ihnen Sebastian Furchner, der über 1000 DEL-Spiele absolviert hat.
Der hat erst einmal gestaunt, was ich alles allein gemacht habe. Diese Wahrnehmung bekommt ein Spieler aber erst, wenn er auf die andere Seite wechselt. Da sieht er: Es wurde alles für ihn erledigt, er musste nur rausgehen und liefern. Furchner als Teammanager hilft mir wahnsinnig. Bei mir kam dazu, dass ich voriges Jahr den Schicksalsschlag hatte, dass meine Frau verstarb. Es war ein sensationeller Halt, wie der Club mich dann unterstützt hat; die Frauen der Spieler haben mir Essen nach Hause gebracht.
Unter Münchner Fans haben Sie mal für Aufregung gesorgt, als Sie über Steve Pinizzotto, den dortigen Publikumsliebling der Jahre 2015 bis 18 sagten, so einen würden Sie nicht mal nehmen, wenn er gratis spielt.
(lacht) Es ist immer besser, so einen Spieler in den eigenen Reihen zu haben als beim Gegner. Als Club muss man abwägen, ob so jemand ins Mannschaftsgefüge passt. Unbestritten war das ein guter Spieler, aber auch ein Provikaeur. Es gab ein paar Situationen, die grenzwertig waren, nicht umsonst hat die Liga ihn einbestellt. Vielleicht kannst du ihn in einer Topmannschaft eher verkraften. Ich weiß nicht, ob es bei uns funktioniert hätte.
Interview: Günter Klein