Der Kandidat

Am Wochenende gibt es an der Spitze des Landessportbunds Hessen einen Wechsel. Der Gießener Sportkreisvorsitzende Prof. Heinz Zielinski steht zur Wahl. Privat und beruflich ist er seit Jahrzehnten dem Sport verbunden. Kurz vor seinem 75. Geburtstag ist der Lindener gewillt und hoch motiviert, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren.
Beim Treffen im traditionsreichen Café Geißner in der Gießener Plockstraße wirkt Prof. Dr. Heinz Zielinski unaufgeregt. Wie immer. Morgens noch eine Videokonferenz. Nachmittags die Übergabe eine Bewilligungsbescheides. Dazwischen bei einer Wiener Melange und einem Stück Kuchen aus der gewohnt einladenden Kuchentheke 90 Minuten Zeit für ein Gespräch über eine Kandidatur, die von Motivation und elementaren Zielsetzungen geprägt ist. Von Hektik und Nervosität keine Spur.
Dabei wirft der 74-Jährige am Wochenende beim 29. ordentlichen Sportbundtag des Landessportbundes Hessen immerhin seinen Hut in den Ring. Der Lindener kandidiert trotz seines Alters (»Das ist mir bewusst«) für die Nachfolge von Dr. Rolf Müller als Präsident der größten Personenvereinigung in Hessen. Für das Führungsamt bewirbt sich im RheinMainCongress Center zudem die 44 Jahre alte Diplom-Agrarökonomin Juliane Kuhlmann aus Steinbach im Taunus. Eine hochinteressante Konstellation.
Kuhlmann kommt aus dem Kampfsport und war über 19 Jahre hinweg Vorsitzende der Sportjugend Hessen und zugleich LSBH-Vizepräsidentin für Kinder- und Jugendsport. Prof. Dr. Heinz Zielinski war als ehemaliger Fußballer bis 2014 leitender Ministerialrat im hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Seine zahlreichen bisher ausgeübten Ehrenämter sind vielfältig, er ist u. a. seit über 25 Jahren Vorsitzender des Sportkreises Gießen, aktuell im Vorstand der Sportstiftung Hessen sowie Vorsitzender der LSBH-Bildungsakademie.
Nach 25 Jahren an der Spitze des organisierten Sports in Hessen wird Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) am Samstag sein Amt als Präsident zurückgeben. Zum Sportbundtag der mit zwei Millionen Mitgliedern größten hessischen Personenvereinigung werden 300 Delegierte erwartet. Neben der Wahl um die Nachfolge Müllers wird es in den Bereichen Kommunikation und Marketing, Leistungssport sowie Schule, Bildung und Personalentwicklung jeweils ebenfalls zwei Kandidat/innen geben; für das Finanzmanagement und die Sportentwicklung hat sich jeweils ein Kandidat aufgestellt. Die bereits neu gewählte Vorsitzende der Sportjugend Hessen, Malin Hoster, die in Gießen lebt, muss vom Sportbundtag als Vizepräsidentin Kinder und Jugend demgegenüber nur bestätigt werden.
Ruhig und souverän, rhetorisch geschliffen und inhaltlich hochkompetent, stellt sich Zielinski vor dem Wahlgang in der Landeshauptstadt den Interview-Fragen:
Herr Zielinski, welche Kernbotschaft haben Sie an die Delegierten beim Sportbundtag?
Die Kernaufgabe des Sports ist und bleibt, auch in Zukunft die richtigen Angebote zu machen. Dazu gehören erstens der Erhalt der Sportanlagen und -räume, auch für den nicht organisierten Sport, sowie der Schwimmbäder. Zum zweiten die unabdingbare Qualifikation von Übungsleitern/innen und Trainern/innen. Drittens die Förderung und das Stützen des Ehrenamtes. Das sind die Schwerpunkte, die im Kontext mit den Themen Kindeswohl, Integration, Inklusion und vielem anderen den Rahmen setzen. Den Schwerpunkt muss aber - und da grenze ich mich bewusst von anderen ab - die Angebotsorientierung an der Basis bilden.
Muss das Ehrenamt in Zukunft stärker durch Hauptamtlichkeit unterstützt bzw. entlastet werden?
Ich bin davon überzeugt, dass das Hauptamt immer stärker wird. Das wollen wir auch unterstützen. Aber nicht zulasten des Ehrenamtes, sondern als sinnvolle Ergänzung. Wir brauchen weiterhin das Ehrenamt in den Vereinen und Verbänden, wir benötigen viel mehr junge Menschen, die sich in den Vereinen und Clubs engagieren. Ich sehe keine Alternative, wir müssen Ehrenamt und Hauptamt zusammenbringen. Wir benötigen ein besseres Ehrenamt-Management.
Wie bedeutsam ist die Eigenständigkeit der Vereine für Sie?
Das ist ein elementarer Bestandteil der Identifikation. Keine Frage. Aber ich werbe seit Jahren auch für verstärkte Zusammenarbeit der Vereine, nicht nur im Wettkampfsystem, sondern vor allem auch im administrativen Bereich. Da gibt es viel Potenzial, das wir verstärkt nutzen müssen. Die Kooperation über die Vereinsgrenzen hinaus ist ein ganz wichtiges Thema.
Sind Sie einer Annäherung des organisierten an den nicht organisierten Sport gegenüber aufgeschlossen?
Ich vermute, auch wenn das bislang noch nicht untersucht wurde, es gibt sogar eine gemeinsame Schnittmenge. Wir sollten versuchen, diejenigen, die außerhalb des organisierten Sportes unterwegs sind, in die Vereine zu holen. Das gilt übrigens auch für Schulen und Kindergärten sowie die vielen derzeit entstehenden Freizeitsport-Parcours in den Kommunen. Da gilt es Potenziale zu nutzen, flexibler zu agieren, was wir in dem Maße bisher noch nicht tun.
Welche thematischen Zukunftsfelder betreffen alle Verbände innerhalb des Landessportbundes?
Das Ehrenamt ist für alle Fachverbände ein zentrales Thema. Die Finanzierung des Sports ebenfalls - und auch die Ausdifferenzierung des Sports. Es entstehen immer mehr Sportarten, denen gegenüber die Verbände aufgeschlossen sein sollten. Das ist für alle von Bedeutung.
Prof. Dr. Heinz Zielinski positioniert sich. Klar und deutlich. Die Basis liegt ihm am Herzen, der Sport in den Vereinen, egal ob in der Großstadt oder auf dem Land, egal ob im sozialen Brennpunkt oder im Villenviertel. »Bewegung bewegt mich«, sagt er und denkt dabei an Gesundheits- und Reha-Sport ebenso wie an Jugend- und Schulsport, an Breitensport wie Leistungsport. Den Nährboden dafür liefern aus seiner Sicht die Vereine, deren Existenz es zu erhalten gelte, »vom Kassierer, Platz- und Zeugwart bis zum Vorsitzenden und Präsidenten«.
»Ohne die Vereine wäre der Sport nicht lebensfähig«, ist der Familienvater überzeugt, »ob als Mehrspartenclub oder Dienstleister. Alle sind wichtig. Alle, die - wie er es immer wieder formuliert - ein Angebot machen. An die Gesellschaft. An Kinder, Erwachsene, Senioren, an Behinderte, an Migranten. Und all die will Zielinski weiter unterstützen. Integration, Inklusion, Kindeswohl, Digitalisierung sind natürlich zeitgemäß ebenfalls stark zu besetzende Themen. Zur Digitalisierung bedarf es externer Fachkompetenz, Toleranz und Fairplay müssen gelebt werden. All das sei ja selbstverständlich. Davor aber stünde die Basis, stünden die Angebote, ohne die diese Themen ja gar nicht zu Themen würden.
All dies sind Kernbotschaften, die der politisch unabhängige 74-Jährige seit Jahren aussendet, für die er sich auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene seit über zwei Jahrzehnten auch projektbezogen starkmacht. Erst kürzlich war der Lindener mit einer DOSB-Organisation in Slowenien, um dort - wie schon in Südafrika - Breitensportideen zu entwickeln und für die Autonomie des Sports zu werben.
Als die Rechnung beglichen ist, stellt er umherblickend zufrieden fest, dass es dem Café Geißner gelungen ist, über Jahrzehnte hinweg nachhaltig Tradition zu bewahren und sich dennoch in der Gegenwart mit der veränderten Gastronomie zu behaupten und der Zukunft zuversichtlich entgegenzublicken. Exakt das wünscht sich der Kandidat für das LSBH-Präsidentenamt auch für den hessischen Sport. Wozu er - falls er das Votum erhält - als künftiger LSBH-Präsident einen elementaren Beitrag leisten möchte.
