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Fußball auf Kreisebene: Juliana Fuss ist die Frau unter Männern

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Juliana Fuss setzt sich in dieser Situation gegen die Rosbacher Mert Karasu (10) und Timo Dietz durch. © Agentur Andreas Chuc

Juliana Fuss hat Neuland betreten und spielte als erste Fußballerin im Kreis Friedberg in einem Männerteam mit. Sie lief für die Reserve von BG Friedberg auf. Wir blicken auf Eindrücke und Meinungen.

Noch di ck eingemummelt in der Winterjacke verfolgte Juliana Fuss im Friedberger Regen die erste Hälfte der Partie in der Fußball-Kreisliga C, Gruppe 2 zwischen ihrem SV Blau-Gelb Friedberg II und dem auswärts bis dato noch sieglosen SV Rosbach. Nach einem kurzen Vier-Augen-Gespräch mit Trainer André Morgenstern machte sich die ehemalige Nachwuchsspielerin des 1. FFC Frankfurt in der Halbzeitpause warm und ersetzte in Abschnitt zwei Marco Gelsebach beim Stand von 1:2 aus Sicht der Kreisstädter.

A ls »Zehnerin« merkte man der Torjägerin der Kreisoberliga-Frauen des VfB Friedberg in den ersten Minuten vor rund 60 Zuschauern die Nervosität noch an. »Ich hatte ein bisschen Muffensausen«, schmunzelte Fuss. Danach wusste die »Buntige« mit der Rückennummer 15 auf dem künstlichen Geläuf mit Spielverständnis zu überzeugen, verbuchte zwei Schüsse und band Gegenspieler, die sich oft nur mit einem Foulspiel behalfen. Die 1:3-Niederlage von BGF konnte sie aber nicht verhindern.

Völlig akzeptiert, völlig integriert

» Das große Problem bei uns war heute die Mentalität der anderen Spieler - nicht ihre. Sie hat eigentlich mit sonst spielstarken Mitspielern auf dem Platz gestanden. Die Pässe auf sie haben gefehlt, dadurch ist ein Zusammenspiel nicht richtig zustande gekommen. Sie musste sich die Bälle selbst holen«, kritisierte Morgenstern die Leistung seiner Mannen. Rosbachs Tim Nürnberger hatte indes nur Lob für die Frau im gegnerischen Jersey übrig: »Sie war eine der besseren Friedberger.« Und das, weil die 1,70m große Fuss den Kontrahenten auch von der Physis her gewachsen war. Diese zogen im Zweikampf in keinster Weise gegenüber der weiblichen Debütantin zurück, zeigten keine Berührungsängste.

»Da gab es tatsächlich keine andere Herangehensweise, als wenn man gegen einen Mann spielt. Sie war ja fast meine direkte Gegenspielerin. Unser Trainer hat vor dem Match ganz klar gesagt, dass auf sie genauso Druck erzeugt, gegen sie gepresst und sie gedeckt werden soll, als wäre sie ein Mann«, gab Nürnberger zu Protokoll. »Ich fand das gut, weil dadurch habe ich mich dazugehörig gefühlt und gemerkt, dass ich gut mithalten kann. Mir war klar, dass es in den unteren Klassen härter und rassiger zugeht. Qualitativ ist es dennoch besser als in der Frauen-KOL«, sagte die 20-Jährige.

Fuss trainiert seit dem Frühjahr bei BG; auch mit der ersten Mannschaft, die in der B-Liga beheimatet ist und gute Chancen im Aufstiegsrennen hat. Davor gehörte sie bereits der Trainingsgruppe des damals noch in der KOL spielenden Männerteams des VfB Friedberg an. Nach dem Umbruch in deren Kader im Sommer entschied sie sich aus persönlichen Gründen für Blau-Gelb. Ihr Freund, Elvin Chamsin, ist dort auch Keeper.

»Ich wurde sehr gut aufgenommen«, blickte Fuss zurück. Trainer Morgenstern gab derweil preis: »Beide haben eine sehr gute Technik und einen sehr guten Schuss. Das hat bei den Jungs natürlich Eindruck gemacht. Die hatten im Training große Augen und haben erkannt, dass die beiden mithalten können. Für viele war das dann der Aha-Effekt.« Beide? Ja! Mit Hannah Marx ist eine zweite Frau und VfB-Mitspielerin von Fuss mit im Boot. Marx ist zurzeit krank, will aber in der Rückrunde mitwirken. Sowohl sie als auch Fuss machen von dem seit Juli diesen Jahres bis 2026 ins Leben gerufenen Pilotprojekt des Deutschen Fußball-Bundes Gebrauch, das es Fußballerinnen ermöglicht, mit einem Sonderspielrecht in Herrenmannschaften zu agieren. Laut Kreisfußballwart Karl-Ernst Kunkel ist das bis in die höchste Klasse auf Kreisebene möglich. »Die Frauen spielen einen sehr guten Fußball. Deswegen finde ich das einen Fortschritt, dass sie bei uns dabei sein können. Wir sind alle keine Profis. Da sollte der Spaß im Vordergrund stehen«, meinte BGF-II-Kapitän Benjamin Weber.

Zweimal in der Woche nimmt Fuss an den Übungseinheiten der Frauen teil, freitags geht es dann zum Training mit den Männern. Separate Kabinen und Duschmöglichkeiten seien am Burgfeld vorhanden. Auswärts müsse sie improvisieren, die sanitären Einrichtungen als Umkleide benutzen. An den Wochenenden werden bald zwei Partien für Fuss, die bei den Herren auch gerne höher mitwirken möchte, anstehen. Eine Doppelbelastung? Das sei kein Problem, da »ich für den Fußball lebe.« Eigentlich war geplant, dass Fuss ihren Einstand beim Gastspiel der »Ersten« gegen Inter Reichelsheim feiern sollte. Technische Probleme bei der Spielerlaubnis machten einen Strich durch die Rechnung.

Unbegründete Bedenken?

Die ehrgeizige Kickerin hat nach der Jugend im Leistungssportbereich nun den Amateursport schätzen gelernt und dafür sogar eine Sommer-Offerte vom ehemaligen Frauen-Zweitligisten und heutigen Regionalligisten FSV Hessen Wetzlar ausgeschlagen. »Mein Augenmerk liegt nicht darauf, woanders noch mal höher zu spielen; es sei denn mit Friedberg. Ich bin beim VfB, weil wir dort eine unglaubliche Familie sind. Früher hat jeder immer für sich allein gekämpft«, erklärte Fuss.

Bedenken und Vorbehalte in Sachen höherer Verletzungsanfälligkeit für Frauen in gemischt-geschlechtlichen Teams, anatomisch bedingter Leistungsunterschiede und belächelnden Sprüchen liegen einerseits in gewisser Hinsicht nah und wurden von den Gesprächspartnern auch geäußert; andererseits stehen diesen bisher nur positive Erfahrungswerte gegenüber. Auch die »Befürchtung« von Kunkel, dass Klubs Frauen nur einsetzen, um spielfähig zu sein oder das Spielen mit verminderter Anzahl zu verhindern, trifft bei BG nicht zu. Die Bank war mit vier Männern besetzt.

Fuss, die wie andere Interessierte »auf ihren Körper hören und eine Entscheidung für sich treffen sollte« (Morgenstern), bekam das Lächeln nach der sonntäglichen Begegnung kaum mehr aus dem Gesicht. Bei aufreißendem Himmel gebührte ihr im Mannschaftskreis nach einer ganz speziellen Premiere der Applaus. FOTO: UC

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_20231105_FB_Frdbg_Rosba_4c_8 © Agentur Andreas Chuc

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