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Harry Lange im Interview: Das sind die Potenziale und Baustellen

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Von: Michael Nickolaus

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Trainer Harry Lange hatte den Eishockey-Zweitligisten EC Bad Nauheim zuletzt in das Playoff-Halbfinale geführt. © Andreas Chuc

Harry Lange ist Trainer und Kaderplaner beim EC Bad Nauheim. Im Sommer-Interview spricht der 38-Jährige über persönliche Enttäuschungen und personelle Baustellen beim Eishockey-Zweitligisten.

Einige sind schon zurück, andere trudeln in den nächsten Tagen ein! Für die Eishockey-Profis des EC Bad Nauheim beginnt Anfang August die »Winterzeit«. Nach medizinischen Checks und Fitness-Tests wird am 11. August erstmals auf dem Eis trainiert; in Lauterbach. Im Interview sagt Trainer Harry Lange, was ihn positiv stimmt, was ihn ärgert und welche Potzenziale er sieht.

Der Einzug in das Playoff-Halbfinale hat die Erwartungshaltung vor der Saison 2022/23 erhöht. Wie gehen Sie mit den gehobenen Ansprüchen um?

Ich bin ja nun schon etwas länger in Bad Nauheim. Als wir uns in Kassel noch über den Einzug in das Halbfinale gefreut haben, wusste ich schon, dass man dies auch in der kommenden Saison von uns erwarten wird. Hier wird jetzt sicher schnell von Tiefstapelei gesprochen, aber man muss nur einmal die Augen aufmachen und realistisch bleiben. Idealerweise hat man eine Mannschaft, die unter die Top-Sechs oder mindestens in die Top-Ten kommt - und dann kann alles passieren. Das hat Pre-Playoff-Teilnehmer Heilbronn mit dem Einzug in das Halbfinale bewiesen. Bei uns hatte letztlich alles gepasst, und der Verein hatte auch alles dafür getan.

Sie meinen die Nachverpflichtungen?

Ja. Sei es, dass wir früh mit Niko Dobryskin noch einen Mann geholt haben, um in der Verteidigung die nötige Quantität für ein strukturiertes Training zu verfügen. Sei es, dass Daniel Ketter oder Andrej Bires zurückgeholt wurden, sei es, dass wir auf den letzten Drücker noch einen fünften Kontingentspieler verpflichtet haben - am Ende ist die Rechnung aufgegangen. Dass das Halbfinale dabei herausgekommen ist, das ist dem Charakter der Mannschaft zuzuschreiben. Wenn jetzt wieder einer das Halbfinale erwartet - na gut, aber wir fangen wieder bei Null an.

Hat sich der Erfolg auch finanzell bemerkbar gemacht? Haben Sie im Sommer mehr Geld in den Kader investieren dürfen?

Wenn du als EC erfolgreich bist - gemessen an den eigenen Erwartungen - und die Mannschaft halten willst, wird der Kader teurer. Das ist das Los, wenn Du Erfolg hast. Die Kosten sind nun zu Saisonbeginn genauso hoch wie am Ende der vergangenen Saison - aber der Kader ist kleiner. Das Herz der Mannschaft ist aber geblieben. Und natürlich hoffe ich, dass wir noch etwas in der Hinterhand haben, um reagieren zu können.

Sie haben den Kader nur auf wenigen Positionen verändert. Man hat den Eindruck, die Konkurrenz verstärkt sich und zieht an Bad Nauheim, das ein hohes Level gehalten hat, vorbei.

Wenn wir ein hohes Level halten könnten, haben wir gut gearbeitet. Sind wir auf der Torwart-Position schlechter aufgestellt? Wir haben Felix Bick gehalten. Dahinter ist ein Philipp Maurer sicher weiter als ein Rihards Babulis, den wir nun geholt haben. Wo genau dieser steht, werden wir sehen. Aber wir haben in Bad Nauheim schon viele positive Erfahrungen mit jungen Torhütern gemacht. In der Verteidigung sind wir stärker besetzt als zu Beginn der Vorsaison. Allein schon, weil wir einen Spieler mehr auf dieser Position haben als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Im Sturm sind wir aktuell schlechter aufgestellt. Da haben wir im Vorjahr mit Andreas Pauli, Mick Köhler, und Stefan Reiter in der dritten Reihe begonnen. Da fehlt’s uns. Dafür sind wir durch Tim Coffman in den vorderen beiden Blöcken besser aufgestellt. Im Vorjahr hatten wir zudem die Hoffnung auf das Comeback von Marc El-Sayed. In diesem Jahr kommt erstmal niemand zurück. Eines ist aber auch klar. Wenn wir noch einen Spieler holen, dann muss dieser uns sofort besser machen.

Im Frühjahr wurde die weitere Zusammenarbeit mit Jordan Hickmott bekannt, der vom Umfeld sehr kritisch beurteilt wurde. Was schätzen Sie an ihm?

Als uns mit Taylor Vause und Tristan Keck in der ersten Saisonhälfte zwei Schlüsselspieler mal über eine Phase von drei, vier Partien gefehlt haben, hat er gemeinsam mit Jerry Pollastrone das Eis gerockt. Ebenso in den Playoffs. Da war er im Spiel nach vorne wie nach hinten einer der stabilsten Spieler. Vielleicht erwartet mancher von ihm mehr Punkte. Ich sehe ihn täglich im Training, sehe, was er umsetzt, welchen Beitrag er leistet. Ich weiß um seine Anerkennung in der Kabine. Er hat seinen Anteil am Erfolg. Vielleicht ist es uns aber auch nicht gelungen, ihn richtig einzusetzen, effektiver bespielsweise im Powerplay. Ich bin auch kein Trainer, der personell schnell alles über den Haufen wirft. Ich möchte anders sein, schenke den Spielern mein Vertrauen so lange es geht.

Nach dem überraschenden Wechsel von Stefan Reiter ist eine Ü23-Stelle im Kader frei. Ist Andreas Pauli ein Thema?

Andreas Pauli ist in einer Umschulung. Da muss man abwarten, ob sich das vereinbaren lässt. Er hält sich fit, geht in Bad Nauheim mit uns auf das Eis, wann immer es die Zeit zulassen wird. Vor Oktober/November werden wir - wenn überhaupt - aber sicher nicht mit ihm rechnen können.

Wie soll der Abgang von Reiter kurzfristig kompensiert werden?

Der deutsche Markt gibt aktuell keinen adäquaten Ersatz her. Wir haben alle möglichen Berater und Spieler kontaktiert. Vielleicht werden wir die jungen Spieler vorne reinwerfen, um ausgeglichene Reihen zu haben Mit Huba Sekesi und Mick Köhler haben wir zudem noch zwei gelernte Stürmer in der Verteidigung. Da müssen wir auch abwarten, wie schnell Leo Hafenrichter als Förderlizenzler zur Verfügung steht. Er hofft, nach seiner Verletzung noch im August ins Eistraining einsteigen zu können.

Sie haben sich im Bereich der Kontingentspieler nur auf einer Position verändert und sind bei der Verpflichtung von Tim Coffman noch den Kompromiss eingegangen, dass dieser mit dreiwöchiger Verspätung eintrifft. Was hat Sie an ihm überzeugt?

Er hat bei all seinen bisherigen Stationen seine offensiven Qualitäten unter Beweis gestellt; er wird uns stärker machen und gerade unser Powerplay bereichern. Und je enger und ausgeglichener die Liga, desto wichtiger sind Über- und Unterzahl-Formationen. Da muss man eingestehen, dass wir im Vorjahr nicht zu den Top-Vier gehört haben. Natürlich nervt’s dass Coffman in den ersten drei Wochen fehlt, aber er steht in Nordamerika permanent auf dem Eis und wird topfit hier eintreffen.

In Bad Nauheim steht erst eine Woche vor dem DEL 2-Start Eis zur Verfügung. Inwiefern müssen Sie während der Vorbereitung improvisieren?

Ich habe mich mehrfach mit meinem Trainerkollegen Tim Kehler ausgetauscht. Er hat im Vorjahr diese Erfahrung machen müssen (die Kassel Huskies waren mehrere Wochen nach Lauterbach gependelt/Anm. d. Red.) und keinen guten Start in die Saison. Natürlich kann ich nicht mir der gewünschten Intensität trainieren. Im vergangenen Jahr hatten wir drei Wochen lang zwei Eiszeiten täglich. Das geht jetzt nicht. Die Fahrerei von A nach B raubt Energie. Es ist etwas Anderes, zu Hause zu trainieren mit eigener Kabine und geregelten Abläufen. Viele Kleinigkeiten beschäftigen die Köpfe der Spieler. Und wir können es uns nicht erlauben, am 16. September mental ausgelaugt in die Saison zu starten. Wir werden weniger trainieren und mehr Freizeit haben. Grundsätzlich ist die Vorbereitung ohnehin vergleichsweise kurz. Die Spieler kommen gut vorbereitet an, wir haben sieben Spiele, um Wettkampfpraxis zu haben und werden einen großen Fokus auf Taktik und System legen. Da ist’s wichtig, dass so viele Spieler aus dem Vorjahr wissen, wie wir spielen wollen. Die taktische Basis ist gelegt. Darauf wollen wir aufsetzen.

Sie hatten im vergangenen Winter mit Hugo Boisvert einen in der DEL2 als Cheftrainer erfahrenen Assistenten an Ihrer Seite. Jetzt arbeiten Sie mit Adam Mitchell zusammen, einem Trainer-Neuling, der im Frühjahr als Spieler den DEL 2-Titel gewonnen hat. Was steckt hinter dieser Entscheidung?

Adam lebt Eishockey durch und durch. Er kennt die Liga in- und auswendig, er kann das Spiel lesen und ist bei den Spielern von seinem Naturell her unheimlich beliebt. Adam will lernen. Mir hat man damals eine Chance gegeben. Das will ich so weitergebem. Als klar wurde, dass Hugo nicht mehr zur Verfügung steht, wollte ich Adam an meiner Seite haben.

Hugo Boisvert hat Tristan Keck und Philipp Maurer mit nach Kassel gelotst. Wie ist Ihr Verhältnis zu Boisvert heute?

Wir haben keinen Kontakt. Jürgen Klopp hat einmal gesagt. »Es ist egal, was Menschen über Dich denken, wenn Du kommst. Wichtig ist, was sie über Dich denken, wenn Du gehst.«

Die Konkurrenz hat Ihre Spielidee kennengelernt, hatte Zeit, sich darauf einzustellen. Wie wollen Sie die Mannschaft entwicklen, um überraschen zu können?

Wir wollen noch aggressiver sein, noch mehr Druck ausüben. Wobei wir das gegen Kassel in den Playoffs schon extrem ausgeführt haben. Es gibt immer Dinge, die sich verbessern lassen. Wie kommen wir schneller aus der eigenen Zone? Wie können wir in der neutralen Zone die Scheibe erobern? Kann es gelingen, mit verschiedenen Reihen unterschiedliche Systeme zu spielen? Wir wollen variabel sein, uns mit kurzen Ansagen auf der Bank auf eine neue Spielsituation einstellen können. Mal mehr puckbesitz-orientiert, mal gradliniger. Wir hatten sehr viel Speed im Umschaltspiel, haben durch die Abgänge von Keck und Reiter an Geschwindigkeit verloren. Aber Coffman wird Wind reinbringen, ein Vause wird nicht langsamer, und ein Pollstrone wird topfit hier auftauchen. Wir sind nicht schlecht, aber wir haben auch noch Baustellen, die uns wehtun.

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