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Ideen, Reformen und Innovationen: Warum ein Kreisliga-Kicker zum Nachdenken anregt

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Von: Michael Nickolaus

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Für den SV Schwalheim am Ball: Jan Hofmann. © Andreas Chuc

Kreisliga-Kicker Jan Hofmann ist besorgt angesichts der Entwicklung im Amateurfußball. Er regt zur Diskussion an und präsentiert im Interview Ideen und Lösungsansätze.

(mn). Jan Hofmann ist Amateurfußballer. Mittlerweile zweite Mannschaft, Kreisliga C. In Schwalheim ist er verwurzelt, hier hat er in seiner Jugend gespielt, hierhin zog es ihn nach einem kurzen Abstecher in höhere Spielklassen auch wieder zurück. Beim SV Germania kümmert sich der 32-Jährige als Vorstandsmitglied um den Bereich Sponsoring und Marketing. Für einen »Offenen Brief« zu seiner Sicht des derzeitigen Zustands des Amateurfußballs hat er jüngst in den sozialen Medien reichlich Zuspruch erhalten. Im Interview mit unserer Redaktion schildert Hofmann Eindrücke, nennt Lösungsansätze und will vor allem eines; zum Nachdenken anregen.

Jan Hofmann, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, Ihre Gedanken zu verfassen?

Ich möchte einen Anstoß geben und zum grundsätzlichen Nachdenken anregen. Vielleicht lassen sich Veränderungen initiieren, damit wir uns nicht in fünf, sechs Jahren vorwerfen müssen, nicht schon früher etwas gemacht zu haben. Ich habe das schon lange auf dem Herzen, und die Entwicklung betrifft ja nicht nur den SV Schwalheim oder den Kreis Friedberg, sondern viele Vereine in Deutschland. Die Themen Ehrenamt und auch Talentförderung kommen beispielsweise immer mal auf, wenn die Nationalmannschaft mal wieder ein schlechtes Turnier spielt. Wie es aber tatsächlich um die Amateurklubs steht, geht in der Öffentlichkeit unter.

Zuletzt waren viele Spiele abgesagt worden. Fehlt den Fußballern von heute die Motivation?

Ich bin sicher, dass es durchaus vorkommt, dass einige Spiele etwas zu leichtfertig abgesagt werden. Andererseits können einem Verein tatsächlich auch mal die Spieler ausgehen. Wir in Schwalheim hatten zuletzt doch zahlreiche englische Wochen, und mit den ungewöhnlichen, zusätzlichen Belastungen kamen auch Verletzungen hinzu. Zudem ist es gegen Ende der Saison nicht mehr so einfach, Spieler zwischen den beiden Mannschaften hin- und herzuschieben. Deshalb hatten wir auch ein Spiel unserer ersten Mannschaft absagen müssen. Aber so etwas entscheidet man nicht leichtfertig, weil es ja auch finanzielle Konsequenzen mit sich bringt.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der vergangenen fünf bis zehn Jahre, gerne am Beispiel Schwalheim?

Wenn früher Spieler in den Herrenmannschaften aufgehört haben, sind sie dem Verein oftmals in anderer Funktion erhalten geblieben. Als Soma-Spieler, als Jugendtrainer, als Funktionär im Vorstand. Das hat sich geändert. Wer seine Laufbahn beendet, kehrt heutzutage dem Fußball oftmals vollständig den Rücken. Unser Vorstand in Schwalheim besteht zu 60 bis 80 Prozent aus aktiven Spielern, früher waren das fast ausnahmslos Ehemalige. Die Generation der 40- bis 60-Jährigen ist weggefallen. Es kommt nichts nach.

Warum ist das so?

Das ist ein gesellschaftliches Thema, hat mit einem Interessenswandel zu tun. Junge Väter beispielsweise wollen heute mehr Zeit für die Familie. Vor 20 Jahren hat das Familienleben auf dem Sportplatz stattgefunden. Der Vater hat gespielt, die Mutter Kuchen gebacken, die Kinder haben gekickt. Ausflüge wurden zu Auswärtsspielen unternommen. Jetzt ist die Interessenslage eine andere. Wenn die Familienplanung einsetzt, entfernen sich viele immer mehr vom Fußball und der ehrenamtlichen Arbeit. Und wenn einer erstmal nicht mehr aktiv ist, dann ist er ganz schnell weg aus dem Klubumfeld. Das ist eine Entwicklung, die ich absolut nachvollziehen kann und die für das Familienleben sicherlich von Vorteil ist. Der Amateurfußball muss sich hiermit abfinden und Lösungen um diese Entwicklung herum erarbeiten.

Was macht einen Verein aus?

Ein Verein steht und fällt mit dem Vorstand. Wenn hier nicht engagiert gearbeitet wird, schlägt das durch. Wie ein Kreislauf. Ich denke, es gibt trotz Smartphones und anderer Alternativen viele Kinder, die kicken wollen. Aber dann fehlt es an Organisation dahinter, an Trainern, Jugendleitern. Und dann kommt irgendwann nichts mehr nach an jungen Spielern.

Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie?

Sie hat den Prozess sicher etwas beschleunigt. Viele haben erkannt, sonntags ohne Sportplatzbesuch leben zu können. In einigen Vereinen wird es immer schwieriger, eigenständig Teams melden zu können, gerade ohne Unterbau. In Schwalheim haben wir noch einen stabilen Stamm. Mal schauen, wie lange wir noch zwei Mannschaften melden können, wenn dieser Stamm irgendwann, nach und nach, aus welchen Gründen auch immer, wegbrechen sollte.

Wie können Vereine gegensteuern?

Das Zusammengehörigkeitsgefühl hat unter der Pandemie gelitten. Das muss wieder größere Bedeutung gewinnen. Das fängt bei Spielersitzungen an. Man saß donnerstags nach dem Training beim Bier zusammen, war gesellig. Das ist einfach weggefallen, teils auch den Spielen in den englischen Wochen geschuldet. Im Verein muss man wieder näher zusammenrücken. In Schwalheim hatten wie auch all die Jahre eine stabile Soma-Mannschaft. Auch da sieht man immer mehr Spieler, die kommen, kicken und gehen; auch die Bindung zu den Aktiven ist nicht mehr so, wie dies einmal war. Gerade kleine Vereine, die keine Gelder zahlen, leben vom Gemeinschaftsgefühl. Und wenn ich mich für den SV Schwalheim entscheide, dann weiß ich das, dann mache ich mit, helfe bei der Organisation, bringe mich ins Vereinsleben ein, denn davon leben Vereine. Wer nur für sich Sporttreiben möchte, ist woanders besser aufgehoben.

Was wünschen Sie sich vom Verband?

Die Einführung von Reservespielen in Konkurrenz war sicher vor vielen Jahren eine gute Idee. Heute ist das in meinen Augen aber überholt. Sicher, da gibt’s immer mal Umfragen, aber wer reagiert darauf? Nur die Vereine, die eine stabile Reserve und ein Interesse am Spielbetrieb in Konkurrenz haben. Wer will, der soll das so machen. Wir waren schon immer dagegen, weil ein enormer Aufwand dahintersteht. Wenn beide Mannschaften zu Hause spielen, mag das zu bewältigen sein, auswärts ist’s sehr schwer.

Sie haben in Ihrem Offenen Brief den Freitag als Hauptspieltag ins Spiel gebracht. Warum? Und was spricht dagegen, sich individuell um Verlegungen auf Freitag zu bemühen?

Individuelle Verlegungen bedeuten immer wieder sehr viel Aufwand. Und bei Heimspielen mag man sich auch mit dem Gegner einigen können. Doch, warum soll ein anderer Heimverein das Spiel seiner beiden Mannschaften auseinanderreissen wollen, wenn wir als SV Schwalheim als Gast dort sind. Ich denke, zwei Spiele um 18.30 und 20.15 Uhr an einem Freitag oder auch einem Trainings-Donnerstag würde den Familien die Möglichkeit zur gemeinsamen Zeit am Wochenende geben. Man könnte als Fußballkreis Friedberg doch als Pilotprojekt für zwei, drei Jahre aus dem festen Konstrukt ausbrechen und Erfahrungen sammeln.

In 30 von 32 Fußballkreisen im Hessischen Fußball-Verband haben sich der Spielbetrieb mit Reserven in Konkurrenz durchgesetzt. Zuvor hatten kleine Ligen wenige Anreize geboten.

Ich kann die Argumente nachvollziehen. Zugleich denke ich, dass derzeit kaum mehr als ein halbes Dutzend Klubs wirklich mit der Reserve in Konkurrenz spielen wollen. Der Rest macht’s, weil er’s muss.

Ohne geregelten Spielbetrieb könnte Fußball für Reservespieler an Attraktivität verlieren.

Auch in Reserveliegen gibt’s Tabellen, auch dann will ich vorne stehen, das sind für mich keine klassischen Freundschaftsspiele. Natürlich will der ein oder andere den Aufstieg als Anreiz. Und wenn eine Reserve zwei, drei stabile Jahre hat, kann man auch über den Schritt in den Spielbetrieb in Konkurrenz nachdenken. Dies sollte aber jeder Verein für dich individuell entscheiden können.

Wie sehen Sie das Norweger-Modell?

Das ist keine Lösung. Wir haben zweimal jeweils zu neunt auf dem Großfeld gespielt. Das hat mit Fußball nichts zu tun. In der Reserve spielen meist die, die weniger trainiert sind, aber den gleichen Raum abdecken müssen. Nach 20 Minuten verteidigen beide Mannschaften ihren Strafraum, und die laufstarken Spieler überbrücken das Mittelfeld. Das ist vielleicht besser als eine Spielabsage, Spaß macht’s aber nicht.

Die vielen englischen Wochen im Frühling sind dem Rahmenterminkalender geschuldet.

Ja, das mag auch für die oberen Ligen sinnvoll sein. Aber auf Kreisebene? Wir beenden die erste Saisonhälfte traditionell Mitte November, obwohl der Winter immer später kommt und wir noch spielen könnten. Zugleich werden Spiele Ende Februar/Anfang März wegen der Witterung verschoben, so dass sich im April/Mai alles ballt, da haben wir sechs oder sieben englische Wochen. Warum beispielsweise müssen wir Amateurfußballer so früh fertig sein, unter zusätzlichen Belastungen? Warum können wir nicht noch im Juni spielen? Ich rege an, zumindest einmal darüber nachzudenken, ob man generell auch einen Spielbetrieb von März bis Oktober anbieten kann. Niemand im Kreis hat eine Rasenheizung, die wenigsten spielen auf Kunstrasen, und an heißen Sommertagen kann man durchaus abends spielen. Sicher entstehen Probleme, die Ligen mit den überregionalen Klassen zu synchronisieren. Aber ein Nachdenken, auch über unkonventionelle Ideen sollte möglich sein, mit dem Ziel den Amateurfußball, wie wir ihn lieben, am Leben zu erhalten. Ich befürchte, sonst werden wir in den nächsten Jahren viele Vereine sehen, die sich aus dem Spielbetrieb verabschieden werden. Sollte ich vollkommen falsch liegen, lasse ich gerne auch mit mir diskutieren.

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