1. Startseite
  2. Sport
  3. Lokalsport

Lisa Mayer: »Der Druck, wenn man unten auf der Bahn steht, ist riesig«

Erstellt:

Kommentare

imago1014092147h_270822_4c_1
Gold-Sprinterin Lisa Mayer, die 100-m-Staffel-Europameisterin. © IMAGO

Die Goldmedaille von Lisa Mayer mit der 4x100-m-Staffel bei den European Championships in München war eine mit Vorgeschichte: Lange Jahre der Absagen, der Probleme, der Ausfälle. Doch am letzten Sonntag kam alles zusammen - Atmosphäre, Harmonie, Emotionen und vielleicht auch Schicksal.

Vor wenigen Wochen stand noch gar nicht fest, ob die mittelhessische Sprinterin Lisa Mayer überhaupt nach München fährt. Im Interview erzählt die Niederkleenerin nun, wie es dennoch dazu kam, wie sie die Atmosphäre in München erlebt hat und was ihr der Erfolg bedeutet.

Lisa Mayer, der Gold-Lauf ist nun einige Tage her. Hatten Sie schon Zeit, alles sacken zu lassen?

Nach Sonntag ist eigentlich gar nicht viel passiert, weil ich sagen muss, dass die Gefühle von Sonntagabend so überwältigend waren. Klar habe ich die Nacht dann wenig geschlafen. Und am Montag war ich einfach leer. Ich konnte auf keine Nachrichten antworten, wollte mit niemandem Kontakt haben und musste einfach mal für mich sein. Ich glaube, so ganz realisiert hat man es immer noch nicht. Aber dann ist am Dienstag das ganz normale Training schon weitergegangen. Viel Feiern ist eigentlich gar nicht, die Saison ist noch nicht vorbei.

Wer hat sich denn alles nach dem Lauf gemeldet? Wer war im Stadion?

Es gab eine Flut von Nachrichten sei es auf WhatsApp oder Instagram. Es ist unglaublich schön, dass so viele Menschen mitgefiebert haben und zu sehen, wie sehr sie sich für mich gefreut haben. Ich glaube, die TV-Bilder haben erahnen lassen, wie emotional das Ganze für mich war. Ich habe schon im Stadion meinen Freund und Trainingspartnerinnen gesehen, die ich in den Arm nehmen konnte.

Wie ist der Erfolg im Vergleich zu Ihren bisherigen einzuordnen?

Ich würde schon sagen, dass es mit der größte Erfolg ist. Einen Titel bei der A-Nationalmannschaft bei den Erwachsenen hatte ich bis auf die Staffel-WM auf den Bahamas noch nicht. Man muss auch den Kontext der letzten Jahre mit vielen Tiefs sehen. Und jetzt auch wieder eine schwierige Saison gehabt zu haben. Ich war vor vier Wochen wirklich näher dran, meine Saison zu beenden, als sie weiterzuführen. Und jetzt stehe ich hier als Europameisterin. Diese Medaille zu Hause in München vor vollem Stadion und dieser Moment entschädigt für ganz, ganz viel.

Das heißt, Sie hatten schon die Lust an der Saison verloren?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe schon schwer reingefunden und konnte nach dem Lauf in der Schweiz mit 11,28 s zwei Wochen gar nicht trainieren. Dann hieß es, ich könne nochmal drei Tage nach Hamburg zum Doc fahren. Ich dachte mir dann: ›Ja das kann ich machen, aber eigentlich habe ich auch keine Lust dazu. Ich bin leer und kraftlos. Aber ihr habt ja Recht, es ist noch nichts verloren‹. Ich bin dann nach Hamburg zu meinem Doc gefahren und ihm für seine Bemühungen sehr dankbar. Hätte ich das nicht gemacht und hätte er nicht alles in Bewegung gesetzt, hätte ich am Wochenende nicht auf der Bahn gestanden.

Mit welcher Form sind Sie dann in die EM gegangen?

Ich würde sagen, die letzten Wochen, auch vor Wattenscheid, habe ich gemerkt, dass mein Körper wieder belastbar ist. Ich habe natürlich ein Talent, was mir in solchen Momenten unglaublich hilft. Die letzten Einheiten liefen nochmal sehr gut, es wurde von Tag zu Tag besser. Ich wusste, dass es sehr gut sein kann, dass ich im Vorlauf zum Einsatz komme. Damit, dass es im Finale auch der Fall ist, habe ich aber nicht gerechnet.

Wann haben Sie denn erfahren, dass Sie im Finale laufen?

Das habe ich am Samstagnachmittag erfahren. Dass ich dort laufen durfte, hängt auch damit zusammen, dass Tatjana Pinto verletzungsbedingt nicht laufen konnte. Das war relativ schnell klar, nachdem sie gesagt hatte, es geht nicht. Und dann habe ich das Vertrauen geschenkt bekommen.

Mit welcher Zielstellung sind Sie dann ins Finale?

Naja, einerseits kann bei einer Staffel von ›DSQ‹ bis Gold alles passieren. Nichtsdestotrotz war klar: Wir wollen eine Medaille gewinnen. Und eigentlich war auch klar, dass wir Gold gewinnen wollen. Man ist schon mit diesem Ziel reingegangen, darf sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Weil der Druck, wenn man unten auf der Bahn steht, der ist riesig.

Haben Sie wahrgenommen, dass Großbritannien und Frankreich neben Ihnen den Wechsel verhauen haben?

Frankreich gar nicht, aber die Britinnen habe ich sogar während dem Lauf mitbekommen. Dass da plötzlich zwei Britinnen neben mir relativ langsam sind. Das nimmt man wahr, realisiert es aber nicht wirklich. Ich habe einfach gemerkt, dass der Wechsel mit Alex besser als im Vorlauf, aber nicht gut war. Ich war dann froh, dass der Wechsel mit Gina reibungslos ging - und Bekkis Zielgerade war gefühlt endlos.

Wie haben Sie die Atmosphäre in München erlebt?

Wir haben das komplett aufgesogen, ich glaube, da kann ich für alle sprechen. Es ist unglaublich, in so ein Stadion reinzukommen und vorgestellt zu werden. Das ist eine Energie, die sich überträgt - und dafür sind wir sehr dankbar. Ich kann für mich sagen, dass ich diese Meisterschaft auch schon im Vorlauf in vollen Zügen genossen habe. Es war für uns auch sehr schön, dass fast alle Zuschauer im Stadion geblieben sind und uns auf der Ehrenrunde gefeiert haben. Zur Siegerehrung kamen viele Angehörige leider nicht mehr rein, das war etwas schade.

Welchen Mehrwert bringt diese Medaille für Sie generell? Auch bezüglich medialer Präsenz?

Ich habe in den letzten Jahren gemerkt: In aller erster Linie macht man das Ganze für sich selbst. Es ist schön zu sehen, dass sich so viele mit einem freuen und dass man andere inspirieren kann. Und dass man zeigen kann: Jeder durchlebt mal schwierige Phasen, aber kämpfen lohnt sich. Was mediale Präsenz angeht: Ich hatte immer das Gefühl - und dafür bin ich auch dankbar - dass sehr viel Wertschätzung da war, obwohl es sportlich nicht wie gewünscht gelaufen ist. Und dass ich als Sportlerin mit Potenzial gesehen wurde. Deshalb hatte ich auch über die Jahre das Gefühl, präsent zu sein.

In Anbetracht der Umstände haben Sie also alles richtig gemacht in diesem Jahr?

Ich bin Europameisterin, vielleicht sollte alles so sein. Vielleicht kann ich durch die Umstände den Erfolg noch mehr genießen. Es ist alles gut, so wie es gelaufen ist.

Zum Abschluss: Was steht noch an in dieser Saison? Das ISTAF?

Ich möchte noch zwei Wettkämpfe machen. Bei einem warte ich noch auf eine Zusage. Das ISTAF wird auf jeden Fall der letzte Wettkampf meiner Saison sein. Ich werde über 100 m an den Start gehen, ich glaube, es steht sogar im Raum, dass wir eine Staffel laufen.

Auch interessant

Kommentare