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Reine Vertrauenssache

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Noch mehr Einfühlung und Empathie als ohnehin schon sind auf einem sehbehinderten Pferd nötig: Marie Pröfrock mit ihrem »Traumpferd« Fürst Fröhlich. © pv

Eine Dressurprüfung auf einem Pferd bestreiten, das kaum etwas sieht: Geht das? Ja. Marie Pröfrock und Fürst Fröhlich haben ihre erste Saison gemeistert. Obwohl der Fürst auf einem Auge blind ist.

In der Stallgasse des Reitstalls Beck im Karbener Stadtteil Rendel steht ein schmucker Schwarzbrauner neben seiner Besitzerin. Marie Pröfrock stellt der Besucherin stolz ihr Pferd vor. Neugierig, aber unaufdringlich öffnet Fürst Fröhlich seine weichen Nüstern und schnuppert an der unbekannten Hand. Ein bisschen hält er den Kopf dabei schief, denn der Wallach ist auf dem linken Auge blind.

Eine »periodische Augenentzündung« (siehe Info-Kasten) ist der Grund für die Erblindung. Pröfrock kaufte Fürst Fröhlich fünfjährig mit dem Wissen um dieses Handicap. »Ich dachte mir, das kriege ich schon hin«, lacht die sympathische 23-Jährige und tätschelt den Hals ihres Vierbeiners.

Nachdem ihr langjähriges Turnierpferd verletzungsbedingt in den Ruhestand ging, suchte die Bad Vilbelerin einige Zeit später eine neue Herausforderung. »Ganz ohne Reiten, das war mir doch zu langweilig«, gesteht die Psychologiestudentin. Seit sie fünf ist, sitzt sie im Sattel. Ob sie aus einer reitbegeisterten Familie kommt? »Nein, gar nicht. Ich bin die Einzige, die bei uns reitet.«

Nun also der Fürst, auf den sie durch eine Anzeige im Internet gestoßen ist. Sie wusste gleich: »Das ist mein Traumpferd.« Die beiden arbeiten viel vom Boden aus. »Da ist er unheimlich aufmerksam und sensibel.«

Sogar ins Wasser einer nahe gelegenen Furt folgt der Braune seiner Besitzerin nach kurzem Zögern. »Ich finde es immer wieder unglaublich, wie sehr er mir vertraut«, sagt Pröfrock, und ihre Augen strahlen. Beim ersten Reitversuch allerdings landete die junge Frau direkt auf dem Hosenboden. »Er hat sich erschreckt«, bekennt sie. Pferde, die auf einem Auge blind sind, erschrecken sich eben noch schneller. Doch Ross und Reiterin rauften sich zusammen.

Vor anderthalb Jahren musste Pröfrock wegen einer Handverletzung mit dem Reiten pausieren. Den Beritt übernahm in dieser Zeit Pferdewirt Danny Bartel. Sein erster Eindruck vom Fürst: »Er war vom Ausbildungsstand wie ein Kind, das erst mit acht eingeschult wird.«

»Ganz klassisch, nach der Skala der Ausbildung« hat der 43-jährige Berufsreiter aus Massenheim Fürst Fröhlich unter seine Fittiche genommen. Takt, Losgelassenheit, Schwung und Anlehnung sind die ersten Voraussetzungen in diesem Regelwerk der klassischen Reiterei, um das Pferd ins Gleichgewicht zu bringen.

Ist das mit einem sehbehinderten Sportpartner schwieriger? »Ich glaube, der Wallach orientiert sich als Ausgleich mehr über seine anderen Sinne«, sagt Bartel über seinen vierbeinigen Schüler. »Natürlich muss man bei ihm immer darauf achten, dass er links nichts sieht.« Und etwa genügend Abstand von der Hallenbande halten. »Aber wenn man sich erst daran gewöhnt hat, fühlt es sich ganz normal an. Das ist auch Vertrauenssache.«

Mittlerweile trainiert Bartel zwei- bis dreimal pro Woche mit dem heute siebenjährigen Fürst und erteilt Pröfrock Reitunterricht. Seine Idee war es auch Anfang des Jahres, die beiden auf ihr erstes Turnier zu schicken. »Man braucht Demut und Geduld. Das Pferd bestimmt das Lerntempo«, erklärt der Fachmann.

Pröfrock ist gut vorbereitet auf den ersten Start in einer Dressurprüfung der Klasse L. Online ordert sie Aufnäher mit dem Blindensymbol für die Satteldecke. Außerdem trägt der Fürst eine rote Schleife im Schweif: Ein Zeichen für die anderen Teilnehmer, Abstand zu halten, vor allem auf dem Abreiteplatz.

Mit anderen Pferden hat der Fürst nämlich schon schlechte Erfahrungen gemacht. Zweimal kam es zum Zusammenstoß. Deshalb achtet Pröfrock auch im Training darauf, dass nicht zu viele Pferde gleichzeitig mit ihm in der Halle sind. Mit den vierbeinigen Stallkollegen ist der tägliche Umgang jedoch kein Problem. Als sein Kumpel von gegenüber aus der Box geführt wird, tritt der Fürst brav und ohne Hektik einen Schritt zur Seite.

Regeln oder Vorschriften, wie ein sehbehindertes Pferd beim Turnier gekennzeichnet werden muss, gibt es nicht - obwohl ihre Teilnahme bei Wettbewerben gar nicht so ungewöhnlich ist. Sogar bei Vielseitigkeits- und Springturnieren sind schon Pferde mit solchen Handicaps angetreten. Für Aufmerksamkeit sorgt das Symbol auf der Schabracke dennoch. »Ich werde öfter angesprochen, ob ich selbst blind sei«, erzählt Pröfrock.

»Auf unserem ersten Turnier war mein Fürst total artig, auch beim Abreiten hat er sich nicht von den fremden Pferden und der Umgebung ablenken lassen«, sagt die Reiterin, »aber ich war total nervös.« Gleich beim zweiten Start wird das Paar Vierter. »Ich muss selbst sicher sein, ihm Ruhe vermitteln. Das ist ganz wichtig, er verlässt sich auf mich«, weiß Pröfrock. Das Vertrauen, das Fürst Fröhlich ihr entgegenbringt, will sie auf keinen Fall enttäuschen. »Dieses Pferd bringt mich auch als Persönlichkeit in jeder Hinsicht weiter.« Sie lächelt: »Er ist einfach ein Glücksgriff.«

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