Sommer-Serie (IX): Wie die Roten Teufel in neue Dimensionen vorstoßen

Wachstum, Entwicklung, Wandel. Die Roten Teufel haben sich in den zehn Jahren seit dem Aufstieg in die zweite Liga strukturell und organisatorisch stark verändert. Teil IX unserer Sommer-Serie beleuchtet den EC Bad Nauheim damals und heute.
Andreas Ortwein lacht. »Vieles von damals ist heute unvorstellbar; und das betrifft im Grunde genommen sämtliche Bereiche«, sagt der Geschäftsführer des EC Bad Nauheim. Der 45-Jährige hat die Roten Teufel durch ein komplettes Jahrzehnt in der Deutschen Eishockey-Liga 2 begleitet, Wandel erlebt und geprägt.
2019 sei für den Standort das bedeutendste Jahr gewesen, sagt Ortwein rückblickend. Die Umwandlung der Spielbetriebs GmbH in eine GmbH und Co. KG während der Sommermonate sowie das Winter-Derby im Dezember hatten den ECN gepusht. Vom »Glücksfall« spricht Ortwein mit Blick den Wechsel der Rechtsform, die die Kapitaldecke stabilisiert habe. Mehr als 70 Kommandisiten (Einlage: jeweils 1946 Euro) wurden seitdem gefunden. Tendenz steigend. Durch das Open-Air-Event in Offenbach, das Spiel vor 15 000 Zuschauern gegen die Löwen Frankfurt, seien derweil »heutige Premiumpartnerschaften entstanden« und das Image des Kleinstadt-Standorts nachhaltig positiv beworben worden. »Auch dadurch ist die GmbH inzwischen so groß geworden, dass wir interne Strukturen überdenken müssen«, sagt Ortwein, an dessen Seite Tim Talhoff seit rund eineinhalb Jahren als gleichberechtigter Geschäftsführer tätig ist.
Mit ehrenamtlicher Unterstützung
Rückblende, 2013: Bad Nauheim wird vom eigenen Erfolg überrascht. Thomas Korff, Jörg Semmler, der Nachwuchs- und der Förderverein hatten im Winter eine GmbH gegründet, die anstelle der GmbH von Wolfgang Kurz mit dem Nachwuchs kooperieren und den Profisport verantworten solle. Den Aufstieg in die DEL2 hatte niemand ernsthaft auf der Rechnung.
Trotz eines Etats von 1,8 Millionen Euro, der zu stemmen war: Vieles basierte auf ehrenamtlicher Unterstützung. Der Mannschaft hatte keinen hauptamtlichen Betreuer, anfangs keinen klassischen Fitness-Coach, in der zweiten Saisonhälfte keinen bezahlten Assistenzcoach. Ein Physiotherapeut stand nur temporär zur Verfügung. Medien- und Öffentlichkeitsarbeit lief quasi nebenbei. An Spieltagen war die GmbH bezüglich Kassen- und Ordnungsdiensten ausschließlich auf wohlwollende Unterstützung aus der Eishockey-Familie angewiesen. Zwei Ärzte kümmerten sich um die medizinische Versorgung. Geschäftsstellen-Mitarbeiter wie Dirk Schäfer und Jan Stockbauer sprangen dort ein, wo es erforderlich war.
Auf professionellem Fundament
Zehn Jahre später scheint diese Zeit kaum mehr vorstellbar. Mehr als ein Dutzend Gesellschafter schaffen den Roten Teufeln ein solides finanzielles Fundament und Netzwerke.
Die Anfragen nach VIP-Karten haben die ursprünglichen Kapazitäten gesprengt. Der eigentlich nur zu den Playoffs 2021/22 konzipierte zweite VIP-Raum ist längst zu einer Dauereinrichtung geworden.
Eis-Discos, Grillabende, Stammtische, vielfältige Sponsoren- und Kommanditisten-Events begleiten den Klub inzwischen durch die Saison, außergewöhnliche Auswärtsfahrten, ob mit Bussen oder Bahn, werden professionell-dokumentarisch verfilmt.
Zehnköpfiges Team
In der Geschäftsstelle kümmert sich ein inzwischen zehnköpfiges Team um Mannschaft, Fans, Sponsoren, um Betreuung und Abwicklung. Mehr als 150 Werbepartner wollen gepflegt werden. Längst ist die Millionen-Marke im Bereich Sponsoring geknackt worden. Der Gesamt-Etat der GmbH hat sich nach zehn Jahren annähernd verdoppelt.
Seit fünf Jahren steht dem Team ein hauptberuflicher Assistenz-Trainer zur Verfügung. Die Verpflichtung von Wolfgang Janout, der über 20 Jahre Erstliga-Erfahrung als Teambetreuer aus Österreich mitgebracht hatte, beendete das Job-Hopping auf dieser Position. In der medizinische Betreuung sind die Roten Teufel mit Achim Patzak, Daniel Patzak, Michael Piske, Caroline und Murat Pak ebenso deutlich bereiter aufgestellt wie in der Physio-Betreuung durch Florian Patzak und sein Praxis-Team. In Ausschüssen (wie beispielsweise für die Bereiche Finanzen, Marketing, Catering, Sport) unterstützen die Aufsichtsratsmitglieder beratend
Facebook und Co.
In andere Dimensionen sind die Roten Teufel inzwischen auch in punkto Außendarstellung vorgestoßen; insbesondere seitdem Dag Heydecker nach 20 Jahren in der Fußball-Bundesliga und der DEL, zu seiner Jugendliebe, dem EC Bad Nauheim, zurückgekehrt ist. Mit seinen Facebook-Posts hat der Klub inzwischen teils messbare Reichweiten im sechsstelligen Bereich, die die Wucht des Klubs unterstreichen. Führend in der vergangenen Saison war die Nachricht vom Einzug in das Finale mit einem Teamfoto aus der Kabine (Reichweite: 193 000 Personen). Bemerkenswert: Mit einem Beitrag zum Finalspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der-WM generierte der EC Bad Nauheim mehr Likes (6200) als mancher Erstligist, der die Nationalspieler stllt und aufgrund der Größe und DEL-Zugehörigkeit weitaus mehr Follower hat. Auf der Plattform Instagram wurde das Video der Fans vor Spiel fünf in Kassel mehr als 38000-mal angesehen. Auf der Business-Plattform LinkedIn ist der EC Bad Nauheim nach den Kölner Haien und Red Bull München der Eishockey-Klub mit den meisten Followern. Die Playoff-Dokumentation »Uns schickt der Teufel« wurde bei YouTube binnen 14 Tagen rund 7000-mal angeklickt.
Eines aber, das ist in all den Jahren nahezu konstant geblieben: der Zuschauerschnitt. In der Hauptrunde der Saison 2013/14 kamen 2391 Zuschauer, im vergangenen Winter wurden wöchentlich 2449 Fans vor dem Playoff-Start gezählt Allerdings kämpft auch kein ein anderer Zweitligist unter vergleichbar widrigen Bedingungen, sprich: fehlendem Komfort, um seine Fans. Dennoch: Mehr als 1600 Dauerkarten wurden für die Saison 2023/24 verkauft. Damit hat sich die Zahl der Saisonticket-Käufer in den vergangenen drei Jahren verdoppelt.